Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Sentas Seelenqualen
Generalintendant Guy Montavon bringt Richard Wagners „Der fliegende Holländer“auf die Bühne des Theaters Erfurt
Die Premiere von Richard Wagners Oper „Der fliegende Holländer“am Theater Erfurt begann mit einem wirklich bewegenden Augenblick, der den Atem stockend machte. Während der Ouvertüre öffnete sich der glutrote Vorhang und man sah sich umflossen von stürmischer, videoprojizierter See, glaubte erwartungsfroh, über zwei Stunden von einem sensationellen OpernTsunami überrollt zu werden. Das wild aufschäumende Meer weckte Erwartungen. Was aber folgte, war ein Strandgut-Ambiente in Grau und Grauer, fest eingemauert im Rund riesiger Schiffsplanken. Somit ist umso höher zu bewerten, was das Philharmonische Orchester unter dem Dirigat des chinesischen WagnerDebütanten Xu Zhong leistete. Es waren Lichtblicke abseits magerer Scheinwerferspots. Der Direktor des „Shanghai Grand Theatre“schwärmte aus, mit Respekt vor Wagners Werk, aber auch mit einem gesunden Schuss unbelasteter Leichtigkeit.
Klug ausbalancierte Stimmungswechsel
Die avisierte, speziell chinesische Sichtweise auf die Oper war zwar nicht auszumachen, wenn es sie denn aber gab, war es der frische Orchesterwind, der unhörbare, mystische Helden-Ballast, die geradlinige Herangehensweise, die Vermeidung schwülstiger Aufgeblasenheit und besonders die vielen dynamisch klug ausbalancierten Stimmungswechsel. Mit dem „Holländer“empfahl sich das hochmotivierte Philharmonische Orchester Erfurt für seine September-Gastspiele am „Shanghai Grand Theatre“.
Guy Montavons Inszenierung steht auf einem anderen Blatt. Fraglos ist das Sichtbarmachen von Seelenqualen romantischer WagnerProvenienz stets ein heikles Wagnis. Montavons Absicht, „die gesamte Handlung als Wahnvorstellung Sentas“darzustellen, kann jedoch nur als intellektueller Schachzug verstanden werden, denn sie entbindet den Regisseur von der komplizierten Aufgabe chorischer Personenführung. Der klanglich ausgezeichnete Chor verharrt zumeist in Regungslosigkeit oder schaukelt geisterfahrerhaft schematisch von links nach rechts und umgekehrt. Sicher sind Senta und der Holländer getriebene Wesen, wenig individuell, aber dies allein rechtfertigt kaum, Sentas träumerisches Wesen zwischen Campingstuhl und Radelübungen nicht im Sinne Wagners „als krankhafte Sentimentalität“aufzufassen, sondern ausschließlich als schwer debil vorzuführen.
Bis auf das Hineinfahren des überdimensionierten Schiffbugs an den Rand des Zuschauerraums verfängt sich Guy Montavons ausgeprägter Hang zur Bebilderung in der psychischen Takelage des Stoffes. Kelly God (Senta) gibt sich ehrfurchtsvoll in ihr Bühnenschicksal drein, und dies mit wirklich dramatischem Atem sowie mit sensibel ausbalanciertem Piano. Die oft in Erfurt gefeierte Sopranistin weiß ihre Stimmkraft in jeder Situation gut zu dosieren. Von der Alt-Amme an ihrer Seite (Katja Bildt) lässt sich gleiches sagen.
Weniger ansprechend huldigt Tenor Richard Carlucci (Steuermann) dem Südwind; des Jägers Erik (Eduard Martynyuk) Registerwechsel und Stimmführung im Piano sind wenig optimal, zumindest gewöhnungsbedürftig. Zwei Männer aber, der Seefahrer Daland (Kakhaber Shavidze) und der Titelheld (Todd Thomas), singen wie der Fels in der Brandung. Nicht gänzlich parallel zum Orchester, wohl aber in den lyrischen Passagen sowie in Sentas Nähe merklich geschmeidiger, flexibler hinsichtlich des Registerausgleichs.
Die „Holländer“-Premiere war kein Schiffbruch, weder darstellerisch noch musikalisch. Aber wie äußerte sich Generalintendant Montavon kürzlich im Magazin „Besser Leben“zum Umgang mit Kritik? Die sei „wie ein nasser Waschlappen. Der trocknet irgendwann und dann geht es weiter.“Na dann: Auf zu großer Fahrt übers chinesische Meer.
• Weitere Vorstellungen am . März, . und . April