Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Gefundener Sprengstoff gefährlicher als TNT
Innenminister Maier: Deshalb ist auch die geringe Menge nicht unerheblich – Debatte im Landtag
Im Thüringer Landtag ist am Dienstag aufgeheizt über den SprengstoffFund in Rudolstadt und Uhlstädt-Kirchhasel debattiert worden – auch, weil die Opposition einen politischen Hintergrund in den Fokus gerückt hat.
Einem 25-jährigen und einem 31-jährigen Tatverdächtigen aus Rudolstadt wird seit vergangenem Dienstag vorgeworfen, eine Sprengstoffstraftat vorbereitet zu haben. Innenminister Georg Maier (SPD) mahnte zur Versachlichung der Diskussion. Er machte aber gleichsam deutlich, dass die gefundene Menge Sprengstoff (ETN) zwar mit 2,3 Gramm gering sei, allerdings als gefährlicher eingestuft wird als der Sprengstoff TNT. „Insofern ist die geringe Menge nicht unerheblich“, sagte Maier. Er verwies auch darauf, dass etwa 100 Kilogramm Material gefunden worden seien, die zum Sprengstoffbau geeignet seien.
Maier machte erstmals öffentlich, dass sich aus den bisher ausgewerteten Mobilfunkdaten Anhaltspunkte für eine Bedrohung der Erstzeugin, die die Polizei auf die Tatverdächtigen aufmerksam machte, ergeben hätten und auch weitere Straftaten nicht ausgeschlossen werden könnten.
Das begründe das schnelle Eingreifen der Polizei, die Maier ausdrücklich lobte. Haftgründe hätten allerdings nicht vorgelegen.
Die CDU-Fraktion hatte wie die AfD-Fraktion eine Befassung des Plenums mit den Sprengstoff-Funden beantragt, über die diese Zeitung am vergangenen Donnerstag erstmals ausführlich berichtet hatte. Mit den Stimmen von Linken, SPD, Grünen sowie CDU und AfD wurde das befürwortet. Die Überweisung in Ausschüsse lehnten die Koalitionsfraktionen mit ihrer Mehrheit ab.
Manfred Baldus, gerade als Verfassungsrichter vereidigt, hat den Plenarsaal noch nicht verlassen. Er bleibt für ein Foto am Rande stehen. Gerade haben die Fraktionschefs ihm einig gratuliert und Blumensträuße übergeben. Gleich sollen sich ihre Vertreter vom Rednerpult aus heftig auseinandersetzen.
Hintergrund ist der Fund von Sprengstoff und 100 Kilo Chemikalien in der vergangenen Woche in Rudolstadt und Uhlstädt-Kirchhasel. Und der politische Umgang mit dieser brisanten Entdeckung der Thüringer Polizei. Denn ein Beschuldigter ist Mitglied eines Demokratiebündnisses gewesen und wurde auf dessen Internetseite bis vergangenen Donnerstagmorgen noch als dessen Pressesprecher geführt. Außerdem steht der 31Jährige in Verbindung mit mindestens einer Autonomen-Gruppe (TLZ berichtete). Innenminister Georg Maier wiederholt im Plenum dennoch, dass es bisher keine Anhaltspunkte für ein politisches Motiv sowie konkret mit dem Sprengstoff geplante Taten gebe. Der zweite Beschuldigte, ein 25-jähriger Arbeitsloser mit kleinkrimineller Laufbahn, war einen Tag inhaftiert.
Mike Mohring, Fraktionschef der CDU, macht deutlich, dass er keine Relativierung dulden will. „Das ist kein Budenzauber“, ruft er vom Rednerpult in den Plenarsaal – unter eifrigen Zwischenrufen aus der LinkeFraktion. Deutlich tritt der Abgeordnete Steffen Harzer hervor, der ihm vorwirft, dass die CDU-Fraktion bei einem Sprengstoff-Fund und ausgehobenen Labor im vergangenen Jahr geschwiegen habe. Beim Beschuldigten waren rechte Tendenzen bekannt geworden.
Das wiederholt später der innenpolitische Sprecher der Linken, Steffen Dittes, vom Rednerpult. Er wirft Mohring vor, ein Sekundant der AfD zu sein. Wieder Zwischenruf. Diesmal Mohring: „Immer schön relativieren.“Eine Mohring-Zwischenfrage, ob der Unterschied zwischen Heiligenstadt und dem jetzt vorliegenden Fall nicht darin bestehe, dass diesmal eindeutige politische Aktivitäten eines Beschuldigten vorliegen würden und Dittes dem zustimme, beantwortet dieser unter freundlicher Umgehung eben jener
Frage. Stattdessen folgt die Mahnung zur Sachlichkeit in der Debatte. Die Ermittlungen abzuwarten, das sei geboten, so der Linke. Denn man wisse bisher nicht um die Motive.
Diana Lehmann (SPD) distanziert sich deutlich von der Tat: „Das ist kein Kavaliersdelikt.“Die stattgefundene Debatte habe allerdings dazu geführt, dass die Arbeit von Bürgerbündnissen diffamiert werde, weil einer der Beschuldigten ein Mitglied gewesen sei. „Zu dieser Debatte gehört auch, dass keine Diffamierung stattfinden darf“, macht Lehmann deutlich.
AfD-Fraktionschef Björn Höcke wiederholt einen Vorwurf,
dass das Bündnis aus SaalfeldRudolstadt in der Vergangenheit zur Gewalt aufgerufen habe – prompter Zwischenruf aus den Koalitionsfraktionen: „Lüge.“Höcke stellt die Frage, ob staatliche Fördermittel möglicherweise für den Bombenbau verwendet wurden. Der Fraktionschef droht, „das Netzwerk aufzudecken“und zeigt sich überzeugt, „dass hier wahrscheinlich tatsächlich ein Kapitalverbrechen“vorbereitet worden sei.
Dass Dirk Adams (Grüne) bereits an sich halten muss, ist deutlich zu spüren während eben dieser Höcke-Rede. Sekunden später am Rednerpult entlädt sich die Wut auf die AfD mit den Worten „Lüge“und „diffamierende Rede“. Der Grüne, der Sache dann zugewandt, macht klar: „Es wird bei Straftaten kein Pardon gewährt.“
Die parlamentarische Debatte beenden die Koalitionsfraktionen nach zweieinhalb Stunden – vorerst. Sie lehnen die Ausschussüberweisung der Anträge von CDU und AfD ab – darin wird unter anderem von der Union eine Verbunddatei Linksextremismus und von der AfD eine Extremismus-Klausel gefordert (TLZ berichtete). Allerdings wird der Innenausschuss sich erneut dem Fall zuwenden. Innenminister Georg Maier (SPD) merkte an, dem Landtag bereits einen Selbstbefassungsantrag zugeleitet zu haben.
„Mir ist das vollkommen wurscht, ob das Linksextreme oder Rechtsextreme sind.“Wolfgang Fiedler, innenpolitischer Sprecher der CDUFraktion im Thüringer Landtag