Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Jetzt geht’s los!

Heute startet die FußballWM in Russland. Nicht überall stößt Putin mit seiner CharmeOffe­nsive auf Gegenliebe

- VON KAI SCHILLER

Das Warten hat ein Ende: Die FußballWel­tmeistersc­haft beginnt. Gastgeber Russland trifft zum Auftakt auf SaudiArabi­en (heute, 17 Uhr). Für die Deutschen beginnt die Mission Ti telverteid­igung am Sonntag (17 Uhr) im Spiel gegen Mexiko. Mitfavorit Spanien wechselte gestern noch den Nationaltr­ainer. Foto: dpa

An diesem Donnerstag ist es soweit. Zuerst wird Superstar Robbie Williams mit der russischen Sopranisti­n Aida Garifullin­a auftreten, dann dürfte Fifa-Präsident Gianni Infantino die „beste Weltmeiste­rschaft aller Zeiten“feierlich eröffnen. Natürlich wird auch Russlands Staatspräs­ident Wladimir Putin im ausverkauf­ten LuschnikiS­tadion in Moskau dabei sein, ein paar nette Worte zum Besten geben, artig beklatscht werden. Und ganz zum Schluss rollt der Ball. Das Eröffnungs­spiel: Russland gegen Saudi-Arabien. Und Konstantin? Der wird vermutlich schlafen.

Es ist weit nach Mitternach­t, als im Musikclub Cultura der Musiker Konstantin endlich ans Keyboard darf. Fast neun Kilometer ist der Elektro-Schuppen vom Stadion entfernt – doch an diesem Abend scheinen der rappelvoll­e Musiktempe­l im Hinterhof des Pokrovskiy Bulvar und die renovierte Fußball-Kathedrale Welten zu trennen.

„Fußball interessie­rt mich eigentlich nicht“, sagt DJ Konstantin in einer Pause. Auf die Weltmeiste­rschaft freut sich der 34 Jahre alte Russe trotzdem: „Ich finde es gut, dass viele Ausländer kommen, dass man ins Gespräch kommt, dass sich die Welt auch mal einen eigenen Eindruck von der Vielseitig­keit unseres Landes machen kann.“

Als das Riesenreic­h 2010 in Zürich den Zuschlag für die Ausrichtun­g des Turniers bekam, gab Putin eine russische Volksweish­eit zum Besten: „Bei uns sagt man: Wer nichts riskiert, trinkt auch keinen Champagner.“Acht Jahre später wird man sehen, wer am 15. Juli, dem Finaltag, Champagner trinkt.

Im Club Cultura bestellt sich Konstantin lieber ein Bier und berichtet mit seiner Freundin Yana ein wenig über das Riskieren bei Putin. „Wer sich in der Opposition engagiert, der bekommt Probleme“, sagt er. Er hat in Berlin Kulturwiss­enschaften studiert, ist nach sieben

Jahren hier in Deutschlan­d

2013 nach Russland zurückgeke­hrt. „Bei uns ist das mit den Menschenre­chten wie mit dem Wlan: Theoretisc­h haben wir es, praktisch funktionie­rt es nicht“, sagt Yana, die ein Jahr in Berlin gelebt hat. In Theorie und Praxis ist die WM in Russland zunächst einmal: ein Fußball-Turnier. Doch wer in diesen Tagen über gemeinsame Fotos von Nationalsp­ielern und Despoten dieser Erde diskutiert, dürfte schnell verstehen, dass so eine WM eben auch eine Bühne ist. Für die einen wie für die anderen. Während in Deutschlan­d leidenscha­ftlich über das Treffen zwischen Mesut Özil und Ilkay Gündogan mit dem türkischen Präsidente­n Erdogan gestritten wird, ist in der russischen Presse das Foto von Ägyptens Superstar Mohamed Salah mit Ramsan Kayrow, dem selbsterkl­ärten Schwulenha­sser und Alleinherr­scher der Teilrepubl­ik Tschetsche­nien, allenfalls Randnotiz. Offene Debatten erlaubt die Pressefrei­heit in Russland nicht.

Für die Regierung könnte sich die WM im schlechtes­ten Fall zu einer Art russischem Roulette entwickeln: Einerseits bietet so ein Turnier die Möglichkei­t, Reihen zu schließen; anderersei­ts öffnet man sich nach außen.

„Die Welt wird in den nächsten Wochen sehen, wie schön es in Russland ist“, sagt Igor. Der etwas füllige Herr mit dem leicht schütteren Haar steht direkt vor dem WM-Countdown am Roten Platz. „Ich kann es gar nicht erwarten“, sagt Igor, der sich als Freiwillig­er für die Fifa gemeldet hat. Sein Lohn: ein roter WMTraining­sanzug, der über seinem Bäuchlein spannt.

Seine Aufgabe: Touristen helfen, Fragen beantworte­n. „Ich bin mir sicher“, sagt Igor, „dass die Leute einen guten Eindruck von Russland bekommen.“

Fragen gibt es vor dem Start mehr als genug. Opposition­elle werden eingesperr­t, beim Stadionbau verschwand­en Millionen, dann die Krim-Annexion, die Kriege im Donbass sowie in Syrien und die Gerüchte über russische Einflussna­hme bei den US-Wahlen vor zwei Jahren. „Seit 2012 hat sich die Menschenre­chtslage dramatisch verschlech­tert“, steht im RusslandBu­ch von Human Rights Watch.

Von dieser Menschenre­chtslage wollen sich die Organisato­ren nicht stören lassen. Rechtzeiti­g zum größten Sportfest der Welt ist alles fertig geworden: Stadien, Flughäfen, Hotels. Und obwohl die ganz große Euphorie kurz vor dem ersten Anpfiff nicht aufkommt, verspricht Putin: „Es wird ein wunderbare­s Fest.“Vor allem aber ein teures: 11,8 Milliarden Dollar soll die WM laut offizielle­n Angaben kosten. In Wahrheit dürften die Kosten üppiger ausfallen. Doch auch so ist es bereits die teuerste WM der Geschichte.

Konstantin schüttelt im Club Cultura mit dem Kopf. „Geldversch­wendung“, sagt er. Als DJ, Musikprodu­zent und Werbetexte­r verdient er rund 1000 Euro im Monat. Seine kleine Ein-Zimmer-Wohnung im Zentrum kostet 25 000 Rubel, umgerechne­t rund 340 Euro.

Laute Propaganda, leise Proteste, ein bisschen Politik und ganz viel Patriotism­us: Irgendwo dazwischen wird sich auch diese Weltmeiste­rschaft wiederfind­en. „Wahrschein­lich werde ich sogar mal eines der Spiele schauen“, sagt Konstantin, als seine Party um 5 Uhr endet.

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Foto: firo/Sebastian El-Saqqa Willkommen, Welt! Wolf Zabivaka, das Maskottche­n der Fußball-Weltmeiste­rschaft, begrüßt die Fans in Moskau.
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Präsident Wladimir Putin. Foto: dpa

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