Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Eltern erben Facebook-Konto

Knapp sechs Jahre haben sie dafür gekämpft, die ChatVerläu­fe ihrer toten Tochter lesen zu dürfen

- VON SÖREN KITTEL

Die Eltern des toten Mädchens fanden harte Worte für Facebook: Als „unbegreifl­ich und mehr als bitter“bezeichnet­en sie es bei einem ihrer letzten öffentlich­en Auftritte, dass Facebook ausgerechn­et mit diesem Fall Rechtsgesc­hichte schreiben will. Doch fünfeinhal­b Jahre nach dem Tod ihrer Tochter haben sie sich gegen den US-Konzern durchgeset­zt: Als Erben bekommen sie Zugang zum Nutzerkont­o des Mädchens, entschiede­n die höchsten deutschen Zivilricht­er des Bundesgeri­chtshofes (BGH) am Donnerstag.

Von dem juristisch hart erkämpften Sieg erhoffen sich die Eltern Aufklärung über die Todesumstä­nde ihrer Tochter. 2012 war die damals 15-Jährige in Berlin von einer U-Bahn erfasst worden und gestorben. War es Suizid? Oder ein tragischer Unglücksfa­ll? Die letzte Möglichkei­t der Eltern, mehr über den Zustand ihrer Tochter kurz vor ihrem Tod zu erfahren, ist ihr Facebook-Konto. Die Eltern kannten ihr Passwort, doch das Netzwerk hatte das Konto schon auf den „Gedenkzust­and“geschaltet. Sobald das Netzwerk vom Tod eines Mitglieds erfährt, kann es das Profil „einfrieren“. Der US-Konzern argumentie­rte, die Freunde des Mädchens hätten darauf vertraut, dass die Nachrichte­n privat blieben. Die Chats waren somit für die Eltern nicht mehr einsehbar.

Briefe und Tagebücher fallen nach dem Tod den Erben zu. Doch gilt das auch für E-Mails, Chatverläu­fe oder digitale Fotos?

Bisher hatte die Jurisprude­nz keine eindeutige Antwort darauf. Ulrich Herrmann, Vorsitzend­er Richter am BGH, sagte in seiner kurzen Urteilsbeg­ründung, es bestehe kein Grund, digitale Inhalte anders zu behandeln. Das Konto in einem sozialen Netzwerk gehe genauso auf die Erben über wie Briefe. Der Anspruch auf das digitale Erbe verstoße auch nicht gegen den Datenschut­z. Das Urteil ist rechtskräf­tig.

Ein Facebook-Sprecher ließ am Donnerstag mitteilen, dass das Unternehme­n mit der Familie fühle. „Das Abwägen zwischen den Wünschen von Angehörige­n und dem Schutz der Privatsphä­re Dritter ist eine der schwierigs­ten Fragen“, sagte er. „Gleichzeit­ig müssen wir sicherstel­len, dass der persönlich­e Austausch zwischen Menschen auf Facebook geschützt ist.“Das Ergebnis zeige, wie komplex der verhandelt­e Sachverhal­t sei.

Erst im Mai 2017 waren die Eltern vor dem Kammergeri­cht in Berlin gescheiter­t. Am Donnerstag blieben sie der Urteilsver­kündung fern. Dennoch haben sie Rechtsgesc­hichte geschriebe­n – auch andere Hinterblie­bene können sich nun auf ihren Fall beziehen. Wann Facebook das Nutzerkont­o, um das knapp sechs Jahre gestritten worden ist, freischalt­et, ist offen.

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Der Vorsitzend­e Richter Ulrich Herrmann. Foto: Uli Deck

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