Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Geraer holt Etappensieg
Die WM bringt der Branche wenige neue taktische Erkenntnisse. Es war ein Turnier mit vielen Wendungen. Grund dafür: Wille schlug Qualität
John Degenkolb aus Gera hat als erster deutscher Radprofi eine Etappe bei der 105. Tour de France gewonnen. Der Sprinter vom Team Trek-Segafredo konnte sich am Sonntag auf dem neunten Tagesabschnitt nach 156,5 Kilometern, davon 21,7 über die gefürchteten Kopfsteinpflaster, von Arras nach Roubaix im Schlussspurt knapp durchsetzen. Der Belgier Greg Van Avermaet verteidigte vor dem ersten Ruhetag am Montag erneut das Gelbe Trikot des Gesamtführenden. (dpa)
Das letzte Spiel ist gespielt, das letzte Tor geschossen. Vorbei ist die Weltmesse des Fußballs in Russlands. Was hat sie dem Markt zugeführt? Was sind die neuesten Trends der Branche? Welche waren die schönsten Bilder? Wer produzierte die rührendsten Momente? Steht alles hier.
Rwie Russisch Roulette: Alles konnte immer passieren. Das machte den Reiz des Turniers aus. Und alles meint alles: Deutschland schied erstmals in der Vorrunde aus, England gewann ein Elfmeterschießen und hat sogar einen Torwart, der sich die Bälle nicht reihenweise selbst ins Tor wirft.
Die Revolution des Turniers war, dass nichts vorher zu berechnen war. Qualität? Taktik? Zweitrangig. Jetzt lauf, Junge!
Diese WM lieferte keine Hinweise darauf, dass nach abkippenden Sechsern und falschen Neunern abkippende Neuner und falsche Sechser nun bald den internationalen Fußball bestimmen werden. Die vier Halbfinalisten traten mit vier verschiedenen Systemen an. Am ehesten lautet der Trend: Wer den Ball hat, verliert. Umschaltfußball á la Jürgen Klopp trug Frankreich ins Finale, was den Belgier erzürnte. Aber letztlich gewann oft der, der es mehr wollte. Und die Kroaten wollten wirklich doll gern.
Uwie Umgangsformen: Werden immer wichtiger. Abzulesen ist dies an einem jungen Mann namens Neymar, der sich nach unbestätigten Berichten noch immer schmerzgepeinigt durch Russland kugelt und zwischendurch Elfmeter fordert. Die theatralischen Einlagen waren derartig peinlich, dass kaum ein Tor, kaum eine Vorlage den Akzeptanzverlust des brasilianischen Stars hätte beheben können.
Die Botschaft lautet: Wenn die Welt zuschaut und sich der Welt via Social Media sofort mitteilen kann, dann benimm dich ordentlich! Die meisten hielten sich daran: Nur vier Platzverweise gab es (niedrigster Wert seit 1978). Schließlich wird gutes Verhalten belohnt. Über die Fairplaywertung zog Japan statt dem punktund torgleichen Senegal ins Achtelfinale ein. WM-Premiere! Dort war nach einem dramatischen Spiel gegen Belgien Schluss – was die Spieler nicht daran hinderte, die Kabine durchzufeudeln. Japan-Fans hatten zuvor schon die Tribüne gesäubert.
Swie Standards: Sie machten oft den Unterschied. In Zeiten, in denen selbst kleine Nationen defensiv konkurrenzfähig sind, ist ihnen manchmal nur mit Toren nach Freistößen oder Ecken beizukommen. Am besten in dieser Kategorie: die Engländer (9 von 12). Prozentual noch besser: die Deutschen, die aber nur zwei Tore schossen. Der Freistoßtreffer von Toni Kroos gegen die Schweden war wunderschön, wichtig – aber letztlich nutzlos.
Swie Stars: Das Schicksal Neymars (siehe Umgangsformen) ist beschrieben. Ebenso untröstlich verließen binnen weniger Stunden die Serien-Weltfußballer Lionel Messi (31) und Cristiano Ronaldo (33) die große Bühne. Götterdämmerung am 30. Juni, als Argentinien den Franzosen unterlag und Portugal den Uruguayern. Ob es ihre letzte WM war?
Lwie Leiden(schaft): Ein Bild dieser WM lieferte Uruguays Abwehrmann José Maria Gimenez. Das Viertelfinale gegen Frankreich lief noch, aber Uruguay lag zurück und war chancenlos. Bei einem Freistoß des Gegners kurz vor Schluss stand Gimenez weinend in der Mauer, hielt sich den Arm vor die tränenden Augen. Schon vor dem Spiel gegen Kolumbien erwischte es Serey Dié. Während der Hymne weinte der Ivorer hemmungslos. Er dachte an sein schweres Leben, an den Tod seines Vaters im Jahre 2004 – und daran, dass er nie für möglich hielt, es so weit zu bringen. Herzzerreißend.
Awie Assistenz: Der Video-Schiedsrichter feierte seine Premiere bei diesem Turnier. Ein desaströses Chaos war erwartet worden, nachdem der erste Test beim Confed-Cup vor einem Jahr einigermaßen verheerend verlief. Tatsächlich aber darf die Bundesliga feststellen, dass der Assistent auch zur Zufriedenheit fast aller Beteiligten eingesetzt werden
Nkann: zurückhaltend und gewinnbringend, weil meistens korrekt. Größte Ausnahme: Einen Fehler des deutschen Schiedsrichters Felix Brych übersieht auch der Kollege. Serbien, das unter der Entscheidung zu leiden hat, wütet wortreich.
wie Nachspielzeit: Auffällig geriet, dass die Schiedsrichter sich nicht scheuten, verloren gegangene Zeit – entstanden durch den Einsatz des Video-Schiedsrichters, durch Zeitschinden oder viele Tore und Einwechslungen – höchst konsequent nachspielen ließen. Vier, fünf, sechs, sieben zusätzliche Minuten waren eher Regel als Ausnahme. Und die Mannschaften nutzten die Chance, die sich dadurch
bot. 19 Treffer fielen jenseits der 90. Minute, sieben mehr als bei der vorangegangenen WM.
Das ermöglichte erinnerungswürdige Dramen: Brasilien entging einer Blamage gegen Costa Rica erst durch Tore in der 92. und 97. Minute. Toni Kroos ließ Deutschland gegen Schweden noch einmal hoffen (95.). Viele Spiele dieser WM waren nicht wirklich etwas für Freunde der Ästhetik. Aber die späten Treffer erhöhten den Unterhaltungswert beträchtlich.
Dwie Dankeschön: Den schwedischen Profi Jimmy Durmaz kannte kaum jemand, bis er gegen Deutschland den Freistoß verursachte, der die Niederlage brachte. Folge: Drohungen und
rassistische Beleidigungen. Die Mannschaft stellte sich nicht nur im übertragenen Sinne hinter ihn. Tolle Aktion. Etwas ähnliches wäre übrigens im deutschen Team mit Mesut Özil auch denkbar gewesen.
Bekannter als Durmaz sind Essam El Hadary und Jesus Gallardo auch nicht. Ersterer ist Torwart Ägyptens – und hielt einen Elfmeter. Mit 45 Jahren und 161 Tagen. WM-Rekord. Gallardo fiel auf, weil er gegen Schweden bereits nach 15 Sekunden Gelb sah. WM-Rekord. Und dann wäre da noch Matthias Ginter. Der Gladbacher erlebte seine zweite WM – und spielte erneut keine Sekunde. Auch das alles ist WM. Danke dafür. 2022 gibt’s die nächste Chance. Für Ginter und El Hadary. Und alle anderen.