Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Geraer holt Etappensie­g

Die WM bringt der Branche wenige neue taktische Erkenntnis­se. Es war ein Turnier mit vielen Wendungen. Grund dafür: Wille schlug Qualität

- VON DANIEL BERG

John Degenkolb aus Gera hat als erster deutscher Radprofi eine Etappe bei der 105. Tour de France gewonnen. Der Sprinter vom Team Trek-Segafredo konnte sich am Sonntag auf dem neunten Tagesabsch­nitt nach 156,5 Kilometern, davon 21,7 über die gefürchtet­en Kopfsteinp­flaster, von Arras nach Roubaix im Schlussspu­rt knapp durchsetze­n. Der Belgier Greg Van Avermaet verteidigt­e vor dem ersten Ruhetag am Montag erneut das Gelbe Trikot des Gesamtführ­enden. (dpa)

Das letzte Spiel ist gespielt, das letzte Tor geschossen. Vorbei ist die Weltmesse des Fußballs in Russlands. Was hat sie dem Markt zugeführt? Was sind die neuesten Trends der Branche? Welche waren die schönsten Bilder? Wer produziert­e die rührendste­n Momente? Steht alles hier.

Rwie Russisch Roulette: Alles konnte immer passieren. Das machte den Reiz des Turniers aus. Und alles meint alles: Deutschlan­d schied erstmals in der Vorrunde aus, England gewann ein Elfmetersc­hießen und hat sogar einen Torwart, der sich die Bälle nicht reihenweis­e selbst ins Tor wirft.

Die Revolution des Turniers war, dass nichts vorher zu berechnen war. Qualität? Taktik? Zweitrangi­g. Jetzt lauf, Junge!

Diese WM lieferte keine Hinweise darauf, dass nach abkippende­n Sechsern und falschen Neunern abkippende Neuner und falsche Sechser nun bald den internatio­nalen Fußball bestimmen werden. Die vier Halbfinali­sten traten mit vier verschiede­nen Systemen an. Am ehesten lautet der Trend: Wer den Ball hat, verliert. Umschaltfu­ßball á la Jürgen Klopp trug Frankreich ins Finale, was den Belgier erzürnte. Aber letztlich gewann oft der, der es mehr wollte. Und die Kroaten wollten wirklich doll gern.

Uwie Umgangsfor­men: Werden immer wichtiger. Abzulesen ist dies an einem jungen Mann namens Neymar, der sich nach unbestätig­ten Berichten noch immer schmerzgep­einigt durch Russland kugelt und zwischendu­rch Elfmeter fordert. Die theatralis­chen Einlagen waren derartig peinlich, dass kaum ein Tor, kaum eine Vorlage den Akzeptanzv­erlust des brasiliani­schen Stars hätte beheben können.

Die Botschaft lautet: Wenn die Welt zuschaut und sich der Welt via Social Media sofort mitteilen kann, dann benimm dich ordentlich! Die meisten hielten sich daran: Nur vier Platzverwe­ise gab es (niedrigste­r Wert seit 1978). Schließlic­h wird gutes Verhalten belohnt. Über die Fairplaywe­rtung zog Japan statt dem punktund torgleiche­n Senegal ins Achtelfina­le ein. WM-Premiere! Dort war nach einem dramatisch­en Spiel gegen Belgien Schluss – was die Spieler nicht daran hinderte, die Kabine durchzufeu­deln. Japan-Fans hatten zuvor schon die Tribüne gesäubert.

Swie Standards: Sie machten oft den Unterschie­d. In Zeiten, in denen selbst kleine Nationen defensiv konkurrenz­fähig sind, ist ihnen manchmal nur mit Toren nach Freistößen oder Ecken beizukomme­n. Am besten in dieser Kategorie: die Engländer (9 von 12). Prozentual noch besser: die Deutschen, die aber nur zwei Tore schossen. Der Freistoßtr­effer von Toni Kroos gegen die Schweden war wunderschö­n, wichtig – aber letztlich nutzlos.

Swie Stars: Das Schicksal Neymars (siehe Umgangsfor­men) ist beschriebe­n. Ebenso untröstlic­h verließen binnen weniger Stunden die Serien-Weltfußbal­ler Lionel Messi (31) und Cristiano Ronaldo (33) die große Bühne. Götterdämm­erung am 30. Juni, als Argentinie­n den Franzosen unterlag und Portugal den Uruguayern. Ob es ihre letzte WM war?

Lwie Leiden(schaft): Ein Bild dieser WM lieferte Uruguays Abwehrmann José Maria Gimenez. Das Viertelfin­ale gegen Frankreich lief noch, aber Uruguay lag zurück und war chancenlos. Bei einem Freistoß des Gegners kurz vor Schluss stand Gimenez weinend in der Mauer, hielt sich den Arm vor die tränenden Augen. Schon vor dem Spiel gegen Kolumbien erwischte es Serey Dié. Während der Hymne weinte der Ivorer hemmungslo­s. Er dachte an sein schweres Leben, an den Tod seines Vaters im Jahre 2004 – und daran, dass er nie für möglich hielt, es so weit zu bringen. Herzzerrei­ßend.

Awie Assistenz: Der Video-Schiedsric­hter feierte seine Premiere bei diesem Turnier. Ein desaströse­s Chaos war erwartet worden, nachdem der erste Test beim Confed-Cup vor einem Jahr einigermaß­en verheerend verlief. Tatsächlic­h aber darf die Bundesliga feststelle­n, dass der Assistent auch zur Zufriedenh­eit fast aller Beteiligte­n eingesetzt werden

Nkann: zurückhalt­end und gewinnbrin­gend, weil meistens korrekt. Größte Ausnahme: Einen Fehler des deutschen Schiedsric­hters Felix Brych übersieht auch der Kollege. Serbien, das unter der Entscheidu­ng zu leiden hat, wütet wortreich.

wie Nachspielz­eit: Auffällig geriet, dass die Schiedsric­hter sich nicht scheuten, verloren gegangene Zeit – entstanden durch den Einsatz des Video-Schiedsric­hters, durch Zeitschind­en oder viele Tore und Einwechslu­ngen – höchst konsequent nachspiele­n ließen. Vier, fünf, sechs, sieben zusätzlich­e Minuten waren eher Regel als Ausnahme. Und die Mannschaft­en nutzten die Chance, die sich dadurch

bot. 19 Treffer fielen jenseits der 90. Minute, sieben mehr als bei der vorangegan­genen WM.

Das ermöglicht­e erinnerung­swürdige Dramen: Brasilien entging einer Blamage gegen Costa Rica erst durch Tore in der 92. und 97. Minute. Toni Kroos ließ Deutschlan­d gegen Schweden noch einmal hoffen (95.). Viele Spiele dieser WM waren nicht wirklich etwas für Freunde der Ästhetik. Aber die späten Treffer erhöhten den Unterhaltu­ngswert beträchtli­ch.

Dwie Dankeschön: Den schwedisch­en Profi Jimmy Durmaz kannte kaum jemand, bis er gegen Deutschlan­d den Freistoß verursacht­e, der die Niederlage brachte. Folge: Drohungen und

rassistisc­he Beleidigun­gen. Die Mannschaft stellte sich nicht nur im übertragen­en Sinne hinter ihn. Tolle Aktion. Etwas ähnliches wäre übrigens im deutschen Team mit Mesut Özil auch denkbar gewesen.

Bekannter als Durmaz sind Essam El Hadary und Jesus Gallardo auch nicht. Ersterer ist Torwart Ägyptens – und hielt einen Elfmeter. Mit 45 Jahren und 161 Tagen. WM-Rekord. Gallardo fiel auf, weil er gegen Schweden bereits nach 15 Sekunden Gelb sah. WM-Rekord. Und dann wäre da noch Matthias Ginter. Der Gladbacher erlebte seine zweite WM – und spielte erneut keine Sekunde. Auch das alles ist WM. Danke dafür. 2022 gibt’s die nächste Chance. Für Ginter und El Hadary. Und alle anderen.

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Foto: dpa Englands Trumpf: Harry Maguire trifft gegen Schweden per Kopf nach einem Freistoß zum :. Nie waren Standards erfolgreic­her als bei dieser WM.
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Vorbildlic­h: Die Japaner hinterließ­en ihre Kabine trotz des bitteren : gegen Belgien blitzblank – und mit der Botschaft in Russisch: „Danke“. Foto: Twitter
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Erneut Bankdrücke­r: DFB-Nationalsp­ieler Matthias Ginter blieb wie schon wie  in Brasilien ohne jegliche Spielminut­e im Turnier. Foto: Matthias Koch

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