Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Historisch­er Sieg

Die 30Jährige triumphier­t beim TennisTurn­ier in Wimbledon als erste Deutsche seit Steffi Graf 1996. Sieg ist der Schlusspun­kt eines Comebacks

- VON BJÖRN JENSEN

Erstmals seit Steffi Graf vor 22 Jahren hat Deutschlan­d wieder eine Wimbledons­iegerin: Angelique Kerber gewann am Samstag im Finale gegen Serena Williams aus den USA. Damit ist Kerber erneut unter den besten fünf der TennisWelt­rangliste.

Foto: Clive Brunskilly, Getty

Sie sah diese blonde Deutsche triumphier­en, damals, Mitte der 90er-Jahre. Steffi Graf gewann 1995 und 1996 ihre Wimbledon-Titel sechs und sieben. Vor dem Fernseher in Kiel hockte ein siebenjähr­iges Mädchen und schwor sich, auf diesem Rasen ebenfalls die Schale des Champions in die Luft zu stemmen. Am Sonnabend, um 17.21 Uhr Ortszeit, war Angelique Kerber an diesem Ziel angekommen. Sie war die blonde Deutsche, die triumphier­te, die erste in Wimbledon seit Graf 1996. 6:3, 6:3 lautete nach 65 Spielminut­en das Ergebnis des Endspiels der All England Championsh­ips gegen die USAmerikan­erin Serena Williams (36), mit dem sie sich den größten Lebenstrau­m erfüllte. Am Sonntagmit­tag saß Kerber in einem der Interviewr­äume im Pressezent­rum. Müde zwar von der vorangegan­genen Nacht, die nach Abendessen und Tanz im Soho House erst gegen 4.30 Uhr beendet gewesen war, aber glücklich. Vor allem über die persönlich­e Nachricht, die ihr Vorbild Graf ihr geschickt hatte. „Sie hat geschriebe­n, dass sie sich sehr mit mir freut und dass ich es verdient hätte“, sagte Kerber, die in der Weltrangli­ste von Rang zehn auf vier kletterte. Am Sonntagabe­nd stand noch das Champions Dinner in der noblen Guildhall an, an diesem Montag fliegt sie per Privatjet

nach Posen, um ihre Großeltern zu besuchen. Nach einem „möglichst langen“Urlaub steht das nächste Turnier im kanadische­n Montreal (Start 6. August) an.

Es bleibt wenig Zeit in den ersten Stunden nach einem Wimbledon-Triumph, um diesen zu genießen, ihn einzuordne­n. Schon den Matchball, den Williams mit einer Rückhand ins Netz beendete, hatte Kerber wie in Trance erlebt, „ich weiß nur noch, dass

ich dachte, dass ich meine erste Chance nutzen muss, damit sie nicht noch einmal zurückkomm­t“, sagte sie. Nach dem kurzen Sprung in ihre Box, um Cheftraine­r Wim Fissette und Mutter Beata zu umarmen, folgte ein Gratulatio­ns-Marathon, der erst nach einer Liveschalt­e ins ZDF-Sportstudi­o endete.

Mit dem Höhepunkt, Kate Middleton, Herzogin von Cambridge, und Meghan Markle, Herzogin von Sussex, die Hand schütteln zu dürfen. Die beiden Mitglieder der königliche­n Familie hatten in der Royal Box Williams die Daumen gedrückt in der Hoffnung, die 23-fache Grand-Slam-Siegerin könnte nur gut zehn Monate nach der Geburt ihrer ersten Tochter Alexis Olympia mit ihrem achten Wimbledon-Triumph die Bestmarke der Australier­in Margaret Court (24 Majorsiege) einstellen. Nun gratuliert­en sie artig der Deutschen zum Sieg. „Das war eine große Ehre, die beiden zu treffen. Das ist es, was Wimbledon besonders macht“, sagte Kerber.

Man kann die Geschichte dieses Triumphes nicht erzählen, ohne auf die Saison 2017 zurückzusc­hauen. „Ohne 2017 hätte ich hier nicht gewinnen können“, sagte Kerber, „ich habe so viel über mich gelernt in diesem Jahr, über mein Leben und das, was mich motiviert weiterzuma­chen.“2016 hatte sie bei den Australian Open ihren ersten Grand-Slam-Titel gewonnen, nach dem verlorenen Wimbledon-Finale in Rio Olympiasil­ber geholt, und war mit einem Triumph bei den US Open Weltrangli­stenerste geworden. Die Gejagte zu sein und das Gefühl, die Erfolge unbedingt bestätigen zu müssen – diese Melange aus eigenem Anspruch und der Erwartungs­haltung der Öffentlich­keit war Gift für eine junge Frau, die die Abgeschied­enheit in der Heimat ihrer polnischen Eltern einem Leben im grellen Licht der großen Bühne vorzieht.

Sie entschied sich nach der Saison 2017 schweren Herzens, ihren Cheftraine­r Torben Beltz (41) durch den Belgier Wim Fissette (38) zu ersetzen. „Es war wichtig, noch einmal neuen Input und andere Motivation zu bekommen“, sagte Kerber. Die wichtigste Lehre, die sie gezogen hat, ist die, dass 2016 zwar nur schwer zu toppen ist, aber noch längst nicht der letzte Höhepunkt ihres Tennislebe­ns gewesen sein musste. Zu diesem Lernprozes­s gehört auch, dass sie verstanden hat, an den Dingen festzuhalt­en, die ihr gut tun.

Wie sie ihre drei Grand-SlamTriump­he einordne, wurde Angelique Kerber noch gefragt. Den ersten in Australien vergesse sie nie, sagte sie, den in New York deshalb nicht, weil er sie zur Nummer eins machte. „Aber Wimbledon ist das i-Tüpfelchen, das Größte, was es gibt.“Der Kreis, der Anfang der 90er-Jahre seinen Anfang nahm, hat sich nun geschlosse­n.

Steffi Graf schickt eine persönlich­e Nachricht

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Foto: Tim Ireland, dpa Innige Umarmung: Angelique Kerber mit der Wimbledon-Trophäe.

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