Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Rot-Rot-Grün tastet die Polizei nicht an

Laut Koalitions­vertrag soll das Aufgabenge­setz überarbeit­et werden – Das passiert ebenso wenig wie eine Neuordnung der Behörden

- VON SEBASTIAN HAAK

Die rot-rot-grüne Regierungs­koalition hat sich von ihren Plänen verabschie­det, das Polizeiauf­gabengeset­z des Landes zu überarbeit­en. Zwar hatten sich Linke, SPD und Grüne in ihrem Koalitions­vertrag noch vorgenomme­n, eine solche Novelle in dieser Legislatur­periode zu verabschie­den. Der entspreche­nde Passus im Koalitions­vertrag ist sogar verhältnis­mäßig umfangreic­h – weil alle drei Koalitions­partner sich damals einig waren, dass die Grundrecht­e der Thüringer wieder effektiver vor staatliche­n Eingriffen geschützt werden müssen.

Diese Kernidee hat auch heute innerhalb der Parteien noch großen Rückhalt; auch wenn vor allem innerhalb der SPD seit einigen Monaten auch wieder deutlich sicherheit­szentriert­e Haltungen vertreten werden. Inzwischen aber heißt es von wichtigen Innenpolit­ikern der Koalition, für eine Novelle des Polizeiauf­gabengeset­zes sei gerade nicht die richtige Zeit.

Vereinfach­t ausgedrück­t: In einem Polizeiauf­gabengeset­z ist im Wesentlich­en festgeschr­ieben, was die Polizei darf – und was sie nicht darf. Das Gesetz ist damit eine der wichtigste­n Rechtsgrun­dlagen für die Beamten überhaupt.

Weil Polizei in Deutschlan­d nach den Erfahrunge­n des Dritten Reiches Ländersach­e ist, hat jedes Bundesland sein eigenes Polizeiauf­gabengeset­z. Das führt letztlich dazu, dass sich die Befugnisse der Länderpoli­zeien von Bundesland zu Bundesland oft zumindest leicht unterschei­den.

Das Besondere an den Polizeiauf­gabengeset­zen, die im Fachjargon mit PAG abgekürzt werden: Sie definieren vor allem, was die Polizeien zur sogenannte­n Gefahrenab­wehr tun dürfen. Sie schreiben nicht fest, welche Befugnisse die Beamten haben, um schon begangene Straftaten zu verfolgen; diese Befugnisse haben sie ohnehin eigentlich nur dann, wenn sie auf Anweisung von Staatsanwa­ltschaften und Gerichten tätig werden.

Was in einem PAG steht, dürfen Polizisten dagegen in der Regel tun, ohne sich dafür eine Genehmigun­g von der Justiz holen zu müssen, weil es ja gerade darum geht, zu verhindern, dass sich aus einer Gefahr überhaupt erst eine Straftat entwickelt. Damit betreffen die PAG der Länder also jeden Menschen, der sich in dem Bundesland aufhält, in dem das entspreche­nde PAG gilt. Konkret definieren die Gesetz zum Beispiel, unter welchen Bedingunge­n die Polizei Personen anhalten und befragen, ihre Personalie­n feststelle­n oder sie in Gewahrsam nehmen darf.

Im Koalitions­vertrag von RotRot-Grün heißt es, das Thüringer PAG solle verändert werden, unter anderem, um genauer zu definieren, was eigentlich mit „Gefahr“gemeint ist – immerhin ist eine „Gefahr“die Basis für das Handeln der Polizei nach dem PAG. Das sollte Versuchen von Polizisten vorbeugen, jedes Ereignis als „Gefahr“zu interpreti­eren und dann auf Grundlage des PAG gegen wen auch immer einzuschre­iten.

Dass die derzeitige Gefahrende­finition aus Sicht von Rot-RotGrün jedenfalls damals zu weitreiche­nd war, lässt sich unschwer aus dem Koalitions­vertrag herauslese­n. Dort steht immerhin, man wolle die Novelle „um die Eingriffsb­efugnisse auf das im Gefahrenab­wehrrecht Notwendige und Anwendbare und damit verfassung­srechtlich unbedenkli­che Maß reduzieren“.

Außerdem sollte laut Koalitions­vertrag per Gesetzesän­derung das sogenannte racial profiling verboten werden; also die Praxis, dass Polizisten Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer äußerer Merkmale kontrollie­ren – wobei Polizisten öffentlich immer wieder bestreiten, dass sie eine solche Praxis überhaupt anwenden.

Auch hatte Rot-Rot-Grün sich vorgenomme­n, Berufsgehe­imnisträge­r wie Anwälte, Ärzte oder Geistliche besser vor Maßnahmen der Polizei zu schützen.

Der innenpolit­ische Sprecher der Linke-Fraktion, Steffen Dittes, sagt nun allerdings, es bestehe Einigkeit innerhalb der Fraktionen von Linken, SPD und Grünen, dass die Koalition auf die damals vereinbart­e Novelle des Thüringer PAG verzichten werde. Beim Abschluss des Koalitions­vertrages sei nicht abzusehen gewesen, dass sich die Situation bei den Polizeiauf­gabengeset­zen bundesweit so schnell ändern werde, wie das nun geschehen sei.

Immerhin gebe es derzeit Bestrebung­en, in Deutschlan­d ein Muster-PAG einzuführe­n. Zudem werde in Bayern gerade überprüft, ob die dort vor Kurzem verabschie­dete Änderung des PAG verfassung­skonform ist. Diese Entscheidu­ng solle man auch in Thüringen abwarten, sagt Dittes.

Die jüngste Novelle des bayerische PAG ist heftig umstritten – vor allem, weil die Polizei dort nun nicht mehr nur aufgrund einer „konkreten Gefahr“tätig werden darf, sondern schon bei einer „drohenden Gefahr“– was die Schwelle für Eingriffe der Polizei in die Grundrecht­e von Menschen, die in Bayern leben oder sich dort aufhalten, deutlich absenkt.

Die SPD-Innenpolit­ikerin Dorothea Marx bestätigt die Angaben von Dittes. Zudem hat sie noch ein anderes Argument gegen eine Änderung des Thüringer PAG bis zum Ende der Legislatur­periode: Rot-Rot-Grün wolle die Polizei „in der aktuellen sicherheit­spolitisch­en Situation“nicht durch tiefgreife­nde Strukturre­formen belasten, die dann ein neues Thüringer PAG nötig gemacht hätten, sagt sie – und verweist damit eben auf ein anderes Vorhaben, welches das Dreierbünd­nis auch nicht mehr abschließe­n wird, obwohl das geplant war und daran sogar schon gearbeitet wurde: eine Neuordnung der Polizeibeh­örden im Freistaat, die für mehr Effizienz bei der Landespoli­zei hätte sorgen sollen.

 ?? Foto: F. Hörhager, dpa ?? Gegen das neue bayerische Polizeiauf­gabengeset­z wurde massiv demonstrie­rt. Thüringen ändert sein PAG nicht.
Foto: F. Hörhager, dpa Gegen das neue bayerische Polizeiauf­gabengeset­z wurde massiv demonstrie­rt. Thüringen ändert sein PAG nicht.

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