Thüringische Landeszeitung (Weimar)

„Es wird Zeit, Mut zu haben“

Die Kanzlerin gibt Altenpfleg­er Ferdi Cebi im Wahlkampf ein Verspreche­n – sie will ihn besuchen. Heute ist es so weit

- VON PHILIPP NEUMANN

Ein bisschen war Ferdi Cebi von Angela Merkel beeindruck­t. Sie sei auf seine Fragen eingegange­n, sagt er. „Aber Drumherumr­eden kann sie auch perfekt.“Im September 2017 haben die beiden sich das erste Mal getroffen, der Altenpfleg­er aus Paderborn und die Bundeskanz­lerin. Merkel war vor der Bundestags­wahl zu Gast in der ZDF-Sendung „Klartext“. Die Redaktion hatte ganz normale Bürger eingeladen, damit sie der Kanzlerin Fragen stellen. Auch Ferdi Cebi war dabei. Als das Thema auf die Pflege alter Menschen kam, meldete er sich.

„Wir Pflegekräf­te und die älteren Menschen fühlen uns im Stich gelassen“, sagte er. „Wieso setzt sich die Politik nicht mehr für uns ein?“Die Kanzlerin zählte auf, was alles besser geworden sei. Aber Cebi reichte das nicht. Er finde es „traurig, dass Gesetze gemacht werden, obwohl die Politik noch nie wirklich in den Beruf reingeblic­kt hat“, sagte er ihr. Dann lud er die Kanzlerin ein, sich seinen Arbeitspla­tz anzuschaue­n. Sie sagte zu.

Merkel im Altenheim, das gab es noch nie. Eineinhalb Stunden lang wird sie an diesem Montag das St. Johannisst­ift in Paderborn besuchen. Sie wird mit Cebi, seinen Kollegen und den Bewohnern sprechen. Es wird ein Blick in das normale Leben sein, für das die Kanzlerin und ihre Regierung die Gesetze machen.

„Ich hoffe, dass ich mit dem Besuch etwas bewirken kann“, sagt Cebi. „Damit sich noch mehr in unserem Beruf ändert.“Es ist der Dienstag der vergangene­n Woche. Cebi bringt Kaffee und Kuchen in einen Besprechun­gsraum im ersten Stock des Altenheims. Gerade gab es hier im „Wohnbereic­h I + II“das Mittagesse­n. Noch sind einige Bewohner im Speisesaal, einige sitzen mehr oder weniger regungslos in ihrem Rollstuhl. Andere liegen auf ihren Zimmern im Bett. Es riecht nach Essen und, nun ja, nach Altenheim.

Was er der Bundeskanz­lerin genau sagen wird, wisse er noch nicht, sagt Cebi. „Ich will aber auf jeden Fall auch die schönen Seiten des Berufs zeigen.“Er habe gern Kontakt mit anderen Menschen und jeder könne von den alten Heimbewohn­ern noch viel lernen.

Der 36-Jährige hat zwei Kinder, seit 15 Jahren arbeitet er im Johannisst­ift. Sein Vater stammt aus der Türkei, seine Mutter aus Polen, Cebi ist in Paderborn geboren. Er spricht nur Deutsch. Er habe überlegt, Tischler zu werden, sagt er, aber nach dem Zivildiens­t sei er in dem Heim hängen geblieben. Er machte ein Praktikum und die Ausbildung zum Altenpfleg­er. Heute ist Ferdi Cebi in seiner Abteilung der einzige Mann.

Dass der Beruf noch immer als Frauenberu­f gilt, ärgert ihn. Und dass alle denken, Altenpfleg­er würden den Leuten nur den Hintern abwischen. „Wir sind Hausmeiste­r, Seelentrös­ter und Lebensbegl­eiter“, sagt Cebi. Er hat jeden Tag mit Ärzten, Apothekern und Mitarbeite­rn von Sanitätshä­usern zu tun. Er bringt das Essen, die Medikament­e und schraubt Glühbirnen ein. Und Cebi rappt, auch für die Kanzlerin. Unter dem Künstlerna­men „Idref“– sein Vorname rückwärts – schreibt er Texte über seinen Beruf und das Leben. Die Musik gibt es bei iTunes, die Videos bei Youtube.

„Mach die Augen auf, wir haben genug geschlafen. Es wird Zeit, Mut zu haben und was dazu zu sagen“, reimt Cebi über die Situation seiner Branche. „Wir spüren es täglich und erleben es mit. Für die Pflege – weil sie irgendwann jeden betrifft.“Und weiter: „Wenn es so weitergeht, dann heißt es Gute Nacht.“Zu wenig Personal, Zeit und Geld – das sind die Schattense­iten des Berufs. Dazu Schichtdie­nst und die körperlich­e und psychische Anstrengun­g: „Wir leisten viel.“Auch das will Cebi der Kanzlerin sagen.

Das Johannisst­ift ist kein Vorzeigehe­im, eher der normale Durchschni­tt. Das Gebäude, in dem Cebi arbeitet, stammt aus den 80er-Jahren. Damals wurden Altenheime wie Krankenhäu­ser gebaut: Die Flure sind lang, fensterlos und mit Linoleum ausgelegt. Bunte Schleifen an den Türen und die aktuelle Fußball-Deko mit Wimpeln in den Nationalfa­rben und Postern der Mannschaft­en erinnern daran, dass hier Menschen dauerhaft zu Hause sind. In den nächsten Monaten soll dieser Teil des Heims abgerissen werden. Im Neubau gegenüber soll alles viel heller, freundlich­er und persönlich­er sein.

Ferdi Cebi weiß, dass sich die Politik gerade so intensiv wie nie um das Thema Pflege kümmert. Es soll mehr Stellen geben, mehr Geld für die Heime, weniger Bürokratie. Drei Bundesmini­ster haben kürzlich eine „Konzertier­te Aktion Pflege“ausgerufen, sie wollen den Beruf des Altenpfleg­ers attraktive­r machen.

Cebi sagt, er habe da inzwischen den Überblick verloren. Seine Wünsche an die Politik sind überschaub­ar und konkret: Es solle mehr Tarifvertr­äge mit einer festen Fünf-Tage-Woche geben. Im Johannisst­ift gebe es diese Regel schon, aber in vielen anderen Heimen werde noch sechs Tage pro Woche gearbeitet. Vor allem aber, sagt Cebi, müsse es eine realistisc­he Einschätzu­ng der Lebensarbe­itszeit geben: „Eine Rente mit 67 ist in diesem Beruf unmöglich.“

Seine Kolleginne­n freuen sich, dass Cebi es geschafft hat, die Kanzlerin nach Paderborn zu holen. Sie selbst wollen sich bei dem Besuch eher zurückhalt­en. „Ferdi macht das schon.“Mehr Personal wünscht sie sich, damit die Heimbewohn­er während des Tages noch etwas mehr betreut werden können. Und sie fügt etwas hinzu, das ihr, so sagt sie, noch wichtiger ist als eine Gehaltserh­öhung: „Mehr Anerkennun­g wäre schön.“

 ??  ?? Ferdi Cebi im St. Johannisst­ift in Paderborn. Er hatte in der Wahlsendun­g „Klartext, Frau Merkel“die Bundeskanz­lerin eingeladen, ihn zu begleiten. Foto: Christian Burkert
Ferdi Cebi im St. Johannisst­ift in Paderborn. Er hatte in der Wahlsendun­g „Klartext, Frau Merkel“die Bundeskanz­lerin eingeladen, ihn zu begleiten. Foto: Christian Burkert

Newspapers in German

Newspapers from Germany