Thüringische Landeszeitung (Weimar)
„Es wird Zeit, Mut zu haben“
Die Kanzlerin gibt Altenpfleger Ferdi Cebi im Wahlkampf ein Versprechen – sie will ihn besuchen. Heute ist es so weit
Ein bisschen war Ferdi Cebi von Angela Merkel beeindruckt. Sie sei auf seine Fragen eingegangen, sagt er. „Aber Drumherumreden kann sie auch perfekt.“Im September 2017 haben die beiden sich das erste Mal getroffen, der Altenpfleger aus Paderborn und die Bundeskanzlerin. Merkel war vor der Bundestagswahl zu Gast in der ZDF-Sendung „Klartext“. Die Redaktion hatte ganz normale Bürger eingeladen, damit sie der Kanzlerin Fragen stellen. Auch Ferdi Cebi war dabei. Als das Thema auf die Pflege alter Menschen kam, meldete er sich.
„Wir Pflegekräfte und die älteren Menschen fühlen uns im Stich gelassen“, sagte er. „Wieso setzt sich die Politik nicht mehr für uns ein?“Die Kanzlerin zählte auf, was alles besser geworden sei. Aber Cebi reichte das nicht. Er finde es „traurig, dass Gesetze gemacht werden, obwohl die Politik noch nie wirklich in den Beruf reingeblickt hat“, sagte er ihr. Dann lud er die Kanzlerin ein, sich seinen Arbeitsplatz anzuschauen. Sie sagte zu.
Merkel im Altenheim, das gab es noch nie. Eineinhalb Stunden lang wird sie an diesem Montag das St. Johannisstift in Paderborn besuchen. Sie wird mit Cebi, seinen Kollegen und den Bewohnern sprechen. Es wird ein Blick in das normale Leben sein, für das die Kanzlerin und ihre Regierung die Gesetze machen.
„Ich hoffe, dass ich mit dem Besuch etwas bewirken kann“, sagt Cebi. „Damit sich noch mehr in unserem Beruf ändert.“Es ist der Dienstag der vergangenen Woche. Cebi bringt Kaffee und Kuchen in einen Besprechungsraum im ersten Stock des Altenheims. Gerade gab es hier im „Wohnbereich I + II“das Mittagessen. Noch sind einige Bewohner im Speisesaal, einige sitzen mehr oder weniger regungslos in ihrem Rollstuhl. Andere liegen auf ihren Zimmern im Bett. Es riecht nach Essen und, nun ja, nach Altenheim.
Was er der Bundeskanzlerin genau sagen wird, wisse er noch nicht, sagt Cebi. „Ich will aber auf jeden Fall auch die schönen Seiten des Berufs zeigen.“Er habe gern Kontakt mit anderen Menschen und jeder könne von den alten Heimbewohnern noch viel lernen.
Der 36-Jährige hat zwei Kinder, seit 15 Jahren arbeitet er im Johannisstift. Sein Vater stammt aus der Türkei, seine Mutter aus Polen, Cebi ist in Paderborn geboren. Er spricht nur Deutsch. Er habe überlegt, Tischler zu werden, sagt er, aber nach dem Zivildienst sei er in dem Heim hängen geblieben. Er machte ein Praktikum und die Ausbildung zum Altenpfleger. Heute ist Ferdi Cebi in seiner Abteilung der einzige Mann.
Dass der Beruf noch immer als Frauenberuf gilt, ärgert ihn. Und dass alle denken, Altenpfleger würden den Leuten nur den Hintern abwischen. „Wir sind Hausmeister, Seelentröster und Lebensbegleiter“, sagt Cebi. Er hat jeden Tag mit Ärzten, Apothekern und Mitarbeitern von Sanitätshäusern zu tun. Er bringt das Essen, die Medikamente und schraubt Glühbirnen ein. Und Cebi rappt, auch für die Kanzlerin. Unter dem Künstlernamen „Idref“– sein Vorname rückwärts – schreibt er Texte über seinen Beruf und das Leben. Die Musik gibt es bei iTunes, die Videos bei Youtube.
„Mach die Augen auf, wir haben genug geschlafen. Es wird Zeit, Mut zu haben und was dazu zu sagen“, reimt Cebi über die Situation seiner Branche. „Wir spüren es täglich und erleben es mit. Für die Pflege – weil sie irgendwann jeden betrifft.“Und weiter: „Wenn es so weitergeht, dann heißt es Gute Nacht.“Zu wenig Personal, Zeit und Geld – das sind die Schattenseiten des Berufs. Dazu Schichtdienst und die körperliche und psychische Anstrengung: „Wir leisten viel.“Auch das will Cebi der Kanzlerin sagen.
Das Johannisstift ist kein Vorzeigeheim, eher der normale Durchschnitt. Das Gebäude, in dem Cebi arbeitet, stammt aus den 80er-Jahren. Damals wurden Altenheime wie Krankenhäuser gebaut: Die Flure sind lang, fensterlos und mit Linoleum ausgelegt. Bunte Schleifen an den Türen und die aktuelle Fußball-Deko mit Wimpeln in den Nationalfarben und Postern der Mannschaften erinnern daran, dass hier Menschen dauerhaft zu Hause sind. In den nächsten Monaten soll dieser Teil des Heims abgerissen werden. Im Neubau gegenüber soll alles viel heller, freundlicher und persönlicher sein.
Ferdi Cebi weiß, dass sich die Politik gerade so intensiv wie nie um das Thema Pflege kümmert. Es soll mehr Stellen geben, mehr Geld für die Heime, weniger Bürokratie. Drei Bundesminister haben kürzlich eine „Konzertierte Aktion Pflege“ausgerufen, sie wollen den Beruf des Altenpflegers attraktiver machen.
Cebi sagt, er habe da inzwischen den Überblick verloren. Seine Wünsche an die Politik sind überschaubar und konkret: Es solle mehr Tarifverträge mit einer festen Fünf-Tage-Woche geben. Im Johannisstift gebe es diese Regel schon, aber in vielen anderen Heimen werde noch sechs Tage pro Woche gearbeitet. Vor allem aber, sagt Cebi, müsse es eine realistische Einschätzung der Lebensarbeitszeit geben: „Eine Rente mit 67 ist in diesem Beruf unmöglich.“
Seine Kolleginnen freuen sich, dass Cebi es geschafft hat, die Kanzlerin nach Paderborn zu holen. Sie selbst wollen sich bei dem Besuch eher zurückhalten. „Ferdi macht das schon.“Mehr Personal wünscht sie sich, damit die Heimbewohner während des Tages noch etwas mehr betreut werden können. Und sie fügt etwas hinzu, das ihr, so sagt sie, noch wichtiger ist als eine Gehaltserhöhung: „Mehr Anerkennung wäre schön.“