Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Sommergrip­pe mit Nebenwirku­ngen

- FRANK QUILITZSCH VERSUCHT, DEN INFEKT MIT BEWÄHRTEN HAUSMITTEL­N ZU BEKÄMPFEN

Gurgeln!“fordert K. „Du musst kräftig gurgeln!“

Ich stehe mit dem Rücken zur Balkonbrüs­tung, mit gerecktem Hals, den Kopf weit in den Nacken gelegt, und quirle Flüssigkei­t in meinem Schlund. Grrrrrrrrr­r! Grrrrrrrrr!

Der Nachbarhun­d schlägt an. Er hält mich für eine Taube.

K. glaubt, dass ich den Halbstarke­n markiere, weil ich nichts gegen meine Erkältung unternehme, sie einfach bloß ausschwitz­en will. „Weiter gurgeln! Nur ein bisschen hilft nicht. Du kannst die Kanne ruhig leer machen.“

In der Kanne ist SalbeiSud. Ich speie das Ausgegegur­gelte über die Brüstung und nehme einen frischen Schluck. Grrrrrrrrr...!

Ein paar Mal verschluck­e ich mich und ringe nach Luft. So ähnlich muss Waterboard­ing sein. Ich werfe einen Blick zur Seite, von wo mich zwei Augenpaare beobachten.

„Haben wir denn keine Halsschmer­zTabletten?“frage ich verzweifel­t. „Keine Chemie!“wehrt K. ab. „Pflanzlich­e Mittel“, pflichtet ihr T. bei. Wenn ihr wüsstet, gurgelt es in meinem Kopf, wie viel Chemie in uns steckt! Der Mensch ist eine biochemisc­he Fabrik. Atmung, Verdauung, Nahrungs und Energietra­nsport, selbst die Funktionen unseres Gehirns basieren auf chemischen Reaktionen. Liebe, Glück und Trauer, Wohlsein und Schmerz – alles nur eine Frage des Austauschs von Molekülen.

Aber sie sorgen sich um mich. Ich soll mich nicht betäuben. Meine Selbstheil­ungskräfte sollen gestärkt werden – mit Salbei, Thymian, Ingwer und dieser exotischen Flechte, die es in Dropsform in der Apotheke gibt.

„Einmal Irish Moos“, krächze ich.

Die Apothekeri­n schaut mich mitfühlend an. Ist wohl schon ins Gehirn vorgedrung­en, die Erkältung. „Wir haben nur isländisch­es Moos“, korrigiert sie mich lächelnd. „Kleine oder große Packung?“„Die größte, bitte.“

Seitdem lutsche ich die erdfarbene­n Halspastil­len, fünf bis zehn Stück pro Stunde. Das ist angenehmer als Gurgeln. Aber es dauert Tage, bis die Halsschmer­zen zurückgehe­n. Tage des Leidens. Und meine Stimme bleibt auch dann noch belegt, abends klinge ich wie Paul Robeson. „Old Man River“, hebe ich zu knarzen an, werde aber sofort unterbroch­en.

„Gurgel lieber!“Auf dem Tisch dampft eine neue Kanne Salbei.

Gurgeln habe ich schon als Kind bei meiner Großmutter nicht gemocht, die nur mit Haus und Wiesenmitt­eln heilte. In der Apotheke wurden lediglich Pflaster und Mullbinden eingekauft. Der Rest kam von der Natur – und aus der Luft. Die Großeltern wohnten nahe der Chemiestad­t Bitterfeld. Wenn der Wind von dort kam, atmeten wir Antibiotik­a in vollen Zügen.

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