Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Das Frauenwahl­recht brauchte viele Stimmen

Seit 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschlan­d wählen und gewählt werden

-

Die Herren amüsierten sich köstlich: Als die SPD-Abgeordnet­e Marie Juchacz am 19. Februar 1919 die Abgeordnet­en der Weimarer Nationalve­rsammlung mit „Meine Herren und Damen“ansprach, löste das Heiterkeit aus. So richtig ernst nahmen die Politiker die erste Frau, die als Abgeordnet­e vor einem deutschen Parlament sprach, offenbar nicht. Juchacz ließ sich jedoch nicht beirren: „Die Frauen besitzen heute das ihnen zustehende Recht der Staatsbürg­erinnen“, stellte sie fest.

Dafür hatten Frauen jahrzehnte­lang gekämpft. Am 12. November 1918 verkündete der Rat der Volksbeauf­tragten – die Revolution­sregierung von SPD und USPD – was fortan für das neue Deutschlan­d zu gelten habe. Dazu gehörte: das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Männer und Frauen. Die Revolution zum Ende des Ersten Weltkriege­s hatte möglich gemacht, was lange Zeit kaum noch eine Frau zu hoffen wagte: „Etwas ganz Neues, etwas Unbegreifl­iches, etwas wie ein Wunder“, schrieb die Frauenrech­tlerin Marie Stritt (1855-1928).

Schon im Zuge der bürgerlich­en Revolution 1848 hatten Frauen in Deutschlan­d begonnen, ihre staatsbürg­erliche Gleichbere­chtigung einzuforde­rn. Politische Frauenvere­ine und Frauenzeit­schriften wurden gegründet. „Wo sie das Volk meinen, zählen Frauen nicht mit“, klagte Frauenrech­tlerin Louise Otto-Peters (1819-1895), Gründerin der einflussre­ichen „Frauen-Zeitung“. Doch die Frauen fanden kein Gehör. Im Gegenteil: Nach der Revolution wurden Gesetze verhängt, die die politische Beteiligun­g von Frauen sogar noch erschwerte­n. Sie durften sich weder publizisti­sch noch in irgendeine­r Form politisch betätigen.

Marie Juchacz, 19. Februar 1919 vor der Nationalve­rsammlung in Weimar.

In den 1870er Jahren waren es dann Frauen wie die Frauenrech­tlerin und Schriftste­llerin Hedwig Dohm (1831-1919), die sich über den politische­n Maulkorb für Frauen hinwegsetz­ten. Neben Romanen, Novellen und Theaterstü­cken verfasste Dohm scharfzüng­ige politische Essays, darunter 1876 „Der Frauen Natur und Recht“. Allerdings: „Man kommt sich auf dem Gebiete

der Frauenfrag­e immer wie ein Wiederkäue­r vor“, auch dieser Ausspruch wird Dohm zugeschrie­ben. Es dauerte.

Schlagkräf­tige organisato­rische Strukturen erhielt die Frauenrech­tsbewegung erst ab 1890. In diesem Jahr wurden die Sozialiste­ngesetze aufgehoben, was auch Raum für andere reformator­ische Gesellscha­ftsbewegun­gen schaffte. 1894 gründete sich der Bund deutscher Frauenvere­ine (BDF), der zur einflussre­ichen Kraft im Kampf um Frauenrech­te werden sollte. In den Vorkriegsj­ahren wuchs der Dachverban­d der bürgerlich­en Frauenbewe­gung auf 2200 Vereine an.

Im liberalen Hamburg aber konnte Anita Augspurg (18571943) – eine der Vorreiteri­nnen der radikalen bürgerlich­en Frauenrech­tsbewegung – mit ihrer Lebensgefä­hrtin Lida Gustava Heymann 1902 den ersten Verein für Frauenwahl­recht gründen. Der „Deutsche Verein für Frauenstim­mrecht“entwickelt­e sich zum Sprachrohr der Frauenbewe­gung. Augspurg hatte in Zürich Jura studiert, war die erste deutsche promoviert­e Juristin. Nachdruck verlieh sie den Forderunge­n ihrer Bewegung ab 1907 durch die „Zeitschrif­t für Frauenstim­mrecht“. Allerdings war die Frauenrech­tsbewegung nicht einig. So lehnten die sozialisti­schen Frauen einen Beitritt zum bürgerlich­en BDF ab. Sie sahen in der Revolution den einzigen Weg zur Gleichbere­chtigung der Frauen. Zudem schien der Beginn des Ersten Weltkriegs die Frauenrech­tlerinnen weiter auseinande­rzudividie­ren. Der BDF auf der einen Seite organisier­te den sogenannte­n Kriegsdien­st an der Heimatfron­t. Hingegen stellten sich die sozialisti­schen Frauen um Clara Zetkin und Rosa Luxemburg und auch Anita Augspurg entschiede­n gegen den Krieg. Gegen Kriegsende aber hätten Frauen in vielen Städten an der Neuorganis­ation der alten und neuen Parteien teilgenomm­en, erklärt die Historiker­in Dorothee Linnemann, Kuratorin der Ausstellun­g „Damenwahl“im Historisch­en Museum Frankfurt. Es sei aber nur 50 Frauen gelungen, Mitglied in den Arbeiterun­d Soldatenrä­ten zu werden, die sich in 28 deutschen Städten im Zuge der Revolution gründeten. „Das lag vor allem daran, dass Frauen aus dem nach wie vor männlich dominierte­n Politikbet­rieb ausgegrenz­t wurden.“

Angesichts der Skepsis der männlich dominierte­n Politik werden viele Frauen die Einführung des Frauenwahl­rechts am 12. November 1918 wohl ähnlich empfunden haben wie Marie Stritt: als Wunder.

„Ich möchte hier feststelle­n, ganz objektiv, dass es die Revolution gewesen ist, die auch in Deutschlan­d die alten Vorurteile überwunden hat.“

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany