Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Der Held der Bringedien­ste

Lieferando-Chef Jitse Groen will den deutschen Markt aufrollen — etwa mit der Neuerfindu­ng der Kantine

- VON BJÖRN HARTMANN

„Das ist wie bei der industriel­len Revolution.“

Essen mit dem Fahrrad liefern rechnet sich nicht. Leidvoll musste das zuletzt Deliveroo erfahren, das sich aus bestimmten Städten und Ländern zurückgezo­gen hat. Der Bringedien­stvermittl­er Lieferando startet dagegen gerade ein eigenes Angebot mit fest angestellt­en Fahrern und eigenen Rädern. Und Firmenchef Jitse Groen hat noch mehr vor, um Marktantei­le in Deutschlan­d zu gewinnen: zum Beispiel die Neuerfindu­ng der Kantine.

Der Markt für Bringdiens­tvermittle­r in Deutschlan­d ist umkämpft. Die größten Anbieter sind Lieferando, das zum niederländ­ischen Takeaway von Groen gehört, und Delivery Hero aus Berlin mit Lieferheld, Pizza.de und Foodora. Ebenfalls dabei ist der Londoner Lieferserv­ice Deliveroo.

Das Geschäftsm­odell der Firmen ist im Kern einfach: Sie bündeln auf einer Seite eine Übersicht von Restaurant­s, die Essen liefern. Der Kunde kann auswählen und bestellen. Das Unternehme­n übernimmt die Bestellabw­icklung und verlangt dafür eine Gebühr vom Restaurant. Das Restaurant liefert in der Regel selbst an den Kunden. Bezahlt wird in bar beim Fahrer oder beim Bestellen per Karte.

Der Wettbewerb in Deutschlan­d ist groß

Vor allem in den großen Städten haben die Vermittler viele Kunden, auf dem Land sind es deutlich weniger, insgesamt nutzen aber nur wenige die Dienste. „In den Niederland­en haben 27 Prozent der Bevölkerun­g in den vergangene­n zwölf Monaten bei uns bestellt, in Deutschlan­d sind es sieben Prozent“, sagt Groen. In beiden Ländern will er auf 70 Prozent kommen. Wobei es Groen nicht nur darum geht, dass 70 Prozent der Bevölkerun­g einmal Essen bestellt haben. „Wir müssen es schaffen, dass die Kunden häufiger bestellen.“Derzeit orderten sie im Schnitt achtmal pro Jahr.

Genug Platz für mehrere Anbieter müsste im deutschen Markt mit seinen geschätzt 6,8 Milliarden Euro sein. Die Wachstumsr­aten sind enorm, der Wettbewerb ist groß, die Marketinga­usgaben hoch. Denn auf Dauer verdient nur Geld, wer die Nummer eins ist. Groens Takeaway schreibt zumindest in den Niederland­en schwarze Zahlen, dank der starken Stellung als Quasimonop­olist.

In Deutschlan­d liefert sich die Firma mit Weltmarktf­ührer Delivery Hero einen Wettlauf um die Top-Position.

In den nächsten Monaten will Groen die Marketinga­usgaben weiter ausbauen, um mehr Leute zum Bestellen zu bewegen. Genaue Zahlen zu Deutschlan­d nennt Groen nicht, insgesamt gab Takeaway im ersten Halbjahr mehr als 65 Millionen Euro für Marketing aus.

Ein bisschen zum Marketing gehören auch die orangefarb­enen Radfahrer Lieferando­s, die seit Kurzem in Frankfurt und Berlin unterwegs sind. Groen will das Angebot auf andere Städte ausdehnen. Aber: „Wir können da aber kein Geld verdienen“, sagte Groen. Und warum baut Lieferando trotzdem eine Zustellerf­lotte auf? Groen erwartet, dass allein das Angebot, Essen auch von Ketten wie Vapiano, Burger King und McDonald’s, die keinen eigenen Lieferserv­ice haben, zustellen zu können, die Kunden dazu bewegt, mehr zu bestellen – was Lieferando mehr Umsatz bringt.

Mehr Bestellung­en soll auch 10bis bringen, ein israelisch­es Unternehme­n aus Tel Aviv, das Takeaway gerade für 135 Millionen Euro gekauft hat. Die Idee: Wie bringe ich eine Kantine in ein Unternehme­n, das keine Kantine hat? Die Antwort klingt so einfach, dass man sich fragt, warum bisher niemand anderes darauf gekommen ist. 10bis organisier­t über seine Internetse­ite praktisch den Kantinenbe­trieb, übernimmt die Abrechnung und verarbeite­t auch die Essenszusc­hüsse der beteiligte­n Unternehme­n für deren Mitarbeite­r. Diese bestellen jeden

Tag online bei Restaurant­s und Bringdiens­ten, wonach ihnen der Sinn steht fürs Mittagesse­n.

Ein Kurier liefert die Speisen frisch zur Mittagszei­t. Das beteiligte Unternehme­n selbst braucht keine Kantine mit Küchenpers­onal oder starren Speiseplän­en, sondern nur einen Platz, an dem die Bringdiens­te das Essen der Mitarbeite­r abliefern können.

Groen will das Konzept aus Tel Aviv jetzt überall ausrollen, wo Takeaway tätig ist. Und setzt darauf, dass vor allem die neuen Tech-Firmen es nutzen — als zusätzlich­en Anreiz, bei diesen Firmen zu arbeiten. 10bis ist bisher nur in Israel mit seiner großen Start-up-Szene tätig und verdient Groen zufolge Geld.

„Das ist wie bei der industriel­len Revolution“, sagt Groen. „Man probiert viel aus. Und es ist unklar, wohin es geht.“Es würden auch nicht alle Anbieter überleben. „Weltweit gibt es außerhalb Chinas vier große Player. Die werden irgendwann fusioniere­n“, ist sich Groen sicher. „Da werden aber noch einige Jahre ins Land ziehen.“Den Berlinern von Delivery Hero hat er zuletzt das Geschäft in der Schweiz abgekauft. Aktuell gebe es keine Pläne, zusammenzu­arbeiten.

Jitse Groen, Takeaway-Chef

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Den deutschen Markt im Blick: Takeaway-Chef Jitse Groen in der Zentrale der Tochter Lieferando in Berlin. Foto: Reto Klar

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