Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Wie ein Thüringer Hilfsarbei­ter zum DDR-Millionär wurde

Verkauf von Kulturgut diente der Devisen-Beschaffun­g, machte aber auch einen Privatmann reich. Neues Buch enthüllt Machenscha­ften

- VON MIRKO KRÜGER

Im Jahre 1962 nahm im thüringisc­hen Tambach-Dietharz ein aus dem Westen übergesied­elter Mann eine Arbeit auf – für lediglich 1,21 Mark als Stundenloh­n. Schon bald sollte aus dem Hilfsarbei­ter des VEB Glüso zunächst ein Kellner werden – sowie einer der wenigen DDR-Millionäre…

Der Aufstieg des Siegfried Kath begann mit der Idee, sich durch den Kauf und Weiterverk­auf kleinerer Antiquität­en ein Zubrot zu verdienen. Er fand immer mehr Gefallen an diesem Geschäftsm­odell. 1969 übernahm Kath ein kleines, herunterge­kommenes Gebrauchtw­arengeschä­ft in Pirna (Erzgebirge). Alsbald überzog er von hier aus die gesamte DDR mit einem Netz für ihn arbeitende­r Agenten. Alles, was antik war, kauften sie zu Festpreise­n auf: Krüge und Zinnteller, historisch­es Spielzeug und alte Puppen, Oldtimer und Kutschen, Gemälde und Porzellan, Standuhren und Möbel.

Binnen kurzer Zeit mauserte sich Kath zu einem maßgeblich­en Zulieferer des Staatliche­n Kunsthande­ls sowie der von der Stasi kontrollie­rten Kunst und Antiquität­en GmbH – sowie zu deren heftigstem Konkurrent­en. Wenn es darum ging, Devisen in zweistelli­ger Millionenh­öhe im westlichen Ausland zu erwirtscha­ften, kamen die Staatsunte­rnehmen einfach nicht an Kath vorbei.

Es passierte, was passieren musste. Siegfried Kath geriet ins Visier der Stasi, ab 1974 wurden allerlei Verfehlung­en konstruier­t oder aufgebausc­ht. „Der Staatsanwa­lt warf ihm vor, beim Verkauf von Antiquität­en 19.000 Mark veruntreut zu haben – eine geradezu lächerlich­e Summe für den Millionär“, schreibt Klaus Behling in seinem jüngsten Sachbuch. Der ehemalige DDR-Diplomat hat aufwendig zum deutsch-deutschen Kunsthande­l recherchie­rt. Der Fall des Siegfried Kath ist für ihn ein Musterbeis­piel für die Maß- sowie Skrupellos­igkeit beim Ausverkauf von Kulturgut durch die DDR.

„Über nahezu 40 Jahre war der Umgang mit Kunst und Kulturgut in der DDR ein widersprüc­hlicher Prozess. Einerseits wurde versucht, so viel wie nur möglich zu erhalten und zu pflegen. Dabei gab es Erfolge und Grenzen. Anderersei­ts erfolgte ein nur durch Kriegsverl­uste übertroffe­ner Ausverkauf dessen, was eigentlich zum Gedächtnis eines Volkes gehört“, resümiert Behling. „Dieses Vorgehen diente in der DDR vor allem dem über all die Jahre schwierige­n Überleben. Für die Akteure im Westen war es eine Profitquel­le, aus der Millionen und Abermillio­nen in private Taschen flossen.“

Ausführlic­h beschreibt der Autor in seinem Buch, wie systematis­ch privaten Sammlern in der DDR in den 70er- und 80er-Jahren ihr Besitz entzogen worden ist. Die übliche Masche dabei: Ihnen wurde Steuerhint­erziehung im großen Stil unterstell­t; am Ende stand die Beschlagna­hmung der Kunstschät­ze. Nach offizielle­r Lesart geschah dies, um das Kulturgut zu schützen. Das musste auch Rudolf Kaestner aus Erfurt erfahren. Seine millionens­chwere Sammlung von Gemälden und Fayencen wurde beschlagna­hmt – und in den Westen verscherbe­lt.

Auch den bis heute ungeklärte­n Raub von fünf Gemälden aus dem Gothaer Schloss Friedenste­in reißt Behling zumindest an. Eine der häufig zu hörenden Theorien besagt, dass das Imperium des DDR-Devisenbes­chaffers Schalck-Golodkowsk­i für den Raub verantwort­lich sei. Im Buch wird ein Kunstfahnd­er des bayerische­n LKA zitiert. Günther Wegemann sagt: „Es liegt nahe, Erklärunge­n im undurchsic­htigen Stasi-Dschungel zu suchen. Logisch sind sie nicht, denn warum sollte sich der Staat selber bestehlen, um dann Geschäfte zu machen. Das geschah doch ohnehin durch die längst vom Deutschen Bundestag aufgeklärt­en Aktivitäte­n von Schalck-Golodkowsk­i.“

Was es so – oder doch gänzlich anders? Wie auch immer: Der Fall ist längst verjährt. Tauchen die Gemälde jemals wieder auf, hat das Gothaer Museum nicht einmal mehr einen Rechtsansp­ruch auf Herausgabe seiner Gemälde.

Letztendli­ch wurde auch Kunsthändl­er Siegfried Kath zum Opfer. Nach einer mehr als einjährige­n Untersuchu­ngshaft „verschenkt­e“er sein millionens­chweres Hab und Gut inklusive Immobilien an die Kunst und Antiquität­en GmbH. Er und seine Frau durften daraufhin die DDR gen Westdeutsc­hland verlassen. Seine wertvollst­en Antiquität­en ließ die DDR in den folgenden Jahren von Christie’s in London versteiger­n. Selbst nach Australien wurden Stücke verschifft.

• Klaus Behling: „Auf den Spuren der alten Meister. Kunsthande­l und Kunstraub in der DDR“, Verlag Bild und Heimat,  Seiten, , Euro

 ??  ?? Hatte die Stasi ihre Hände im Spiel?  wurden diese Gemälde aus dem Gothaer Schloss geraubt. Seither hält sich das Gerücht, sie seien zur Beschaffun­g von Devisen ins westliche Ausland ver bracht worden. Es handelt sich um „Leben auf der Landstraße“von Jan Brueghel dem Älteren, um ein „Selbstbild­nis mit Sonnenblum­e“von Anthonys van Dyck, um das „Brustbild eines jungen Mannes“von Frans Hals, um die „Heilige Katharina“von Hans Holbein und das „Bildnis eines alten Mannes“von Jan Lievens. Fotos: Stiftung Schloss Friedenste­in
Hatte die Stasi ihre Hände im Spiel?  wurden diese Gemälde aus dem Gothaer Schloss geraubt. Seither hält sich das Gerücht, sie seien zur Beschaffun­g von Devisen ins westliche Ausland ver bracht worden. Es handelt sich um „Leben auf der Landstraße“von Jan Brueghel dem Älteren, um ein „Selbstbild­nis mit Sonnenblum­e“von Anthonys van Dyck, um das „Brustbild eines jungen Mannes“von Frans Hals, um die „Heilige Katharina“von Hans Holbein und das „Bildnis eines alten Mannes“von Jan Lievens. Fotos: Stiftung Schloss Friedenste­in
 ??  ?? Klaus Behling hat zu dubiosen Praktiken im Kunsthande­l der DDR recherchie­rt. Foto: Paul Zinken, dpa
Klaus Behling hat zu dubiosen Praktiken im Kunsthande­l der DDR recherchie­rt. Foto: Paul Zinken, dpa

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