Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Wieder eine Chefin
Annegret Kramp-Karrenbauer war Angela Merkels Wunschkandidatin – auf die Saarländerin wartet eine Mammutaufgabe
Die beiden Frauen gehen aufeinander zu. In der Mitte der Bühne umarmen sie sich kurz. Annegret Kramp-Karrenbauer ist die neue Vorsitzende der CDU. Sie übernimmt die Macht von Angela Merkel – der Frau, die sie nach Berlin geholt hat. Die Übergabe der Macht kommt früher, als beide dachten. Die Jüngere der beiden, die Wahlsiegerin, weiß genau: Sie hat gewonnen, doch das knappe Ergebnis ist eine Prüfung. Sie muss die Partei einen, sie muss genau hinhören, wie sich die Merz-Anhänger den Kurs der Partei künftig vorstellen. Es ist eine Mammutaufgabe für die 56Jährige. Wer ist die neue Frau an der Spitze der Konservativen?
Annegret Kramp-Karrenbauer. Kann man mit diesem Namen Karriere machen? Sie kann. Sie hat sich mit dem Kürzel AKK ein Markenzeichen gesetzt. Selbstbewusstsein – das zog am Freitag bei den 1000 Delegierten. AKK ist die neue Vorsitzende der CDU. Wieder eine Frau, allen Unkenrufen zum Trotz.
Was ist ihre größte Stärke, wurde sie kurz nach Bekanntgabe ihrer Kandidatur gefragt: „Ich rege mich selten auf. Ich habe gute Nerven“, kam prompt zurück. Was ist ihr wirklich wichtig? „Meine Familie.“Nun mag ein Teil der nach außen getragenen Bodenständigkeit aufgesetzt sein, doch ihre Unaufgeregtheit ist tatsächlich groß. Wenig spektakulär, fast langweilig manchmal, aber immer verlässlich.
AKKs nüchterne Art ließ viele zweifeln, ob sie den Willen zur Macht wirklich besitzt. Doch das machte sie nicht zuletzt in den vergangenen drei Wochen mehr als deutlich. Kramp-Karrenbauer gelang es, sich von Merkel zu distanzieren. Respekt vor der Person, aber eine Abkehr von einer „bleiernen Zeit“– eine harte Ansage an Merkel, die AKK schließlich nach Berlin geholt hat.
Kramp-Karrenbauer war, nach intensiven Gesprächen mit Merkel, im Februar 2018 als Generalsekretärin nach Berlin gekommen, verließ dafür das Saarland, obwohl sie dort ihre Macht als Regierungschefin 2017 erfolgreich verteidigt hatte. Die Partei dankte es ihr. Sie wurde mit 98,87 Prozent der Stimmen zur CDU-Generalsekretärin gewählt – das beste Ergebnis, das es für diesen Posten jemals gegeben hatte. „Ich kann, ich will und ich werde“, sagte sie damals nach der Wahl.
„Unaufgeregt“und „uneitel“gehören zu den Adjektiven, die Kramp-Karrenbauers Weg begleiten. „Viele glücklichen Zufälle haben mir dabei geholfen“, sagt die Mutter von drei erwachsenen Kindern. Eigentlich wollte sie vor dem Abitur Hebamme werden, danach dachte sie an einen Beruf als Lehrerin. Mit 18 trat sie in die CDU ein – und entdeckte ihre Leidenschaft für Politik. Später studierte sie Jura und Politik.
Ihren Mann, den Bergbauingenieur Helmut Karrenbauer, heiratete sie 1984. Die beiden haben zwei Söhne und eine Tochter. Ihr Mann gab für sie seinen Job auf, kümmerte sich um den Haushalt und die Kinder. Sie sei oft mit Tränen in den Augen nach Bonn gefahren, erinnerte sich AKK kürzlich. Junge Mutter und Politikerin, das habe sich damals noch mehr ausgeschlossen als heute. Und doch – sie zog es durch. Weil sie hart zu sich selbst ist, weil sie unbedingt
will.
Konnte sie sich mit ihrem Mann beraten, als sie am 29. Oktober ihren Hut in den Ring warf? Nun, sie habe ihm eine SMS geschrieben. Damit er es nicht von anderen erfahren. Mehr Zeit sei nicht geblieben.
Ihre Karriere begann sie im Stadtrat ihres Heimatortes Püttlingen. Der frühere Saar-Regierungschef Peter Müller (CDU) rief sie im Jahr 2000 als bundesweit erste Innenministerin in sein Kabinett. Nach verschiedenen Ministerjobs wurde sie 2011 erste Ministerpräsidentin des kleinsten Flächenstaates. Im März 2017 gewann sie auf dem Zenit der Beliebtheit von SPDKanzlerkandidat Martin Schulz die Landtagswahl im Saarland haushoch für die CDU.
Schon damals hatte sie sich mit bestimmten Themen positioniert: Sie plädierte für einen härteren Umgang mit Asylbewerbern, die Behörden über ihre Identität täuschen – und forderte konsequentes staatliches Handeln bei Abschiebungen. Sie trat ein für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf und ist für Priesterinnen in der katholischen Kirche und gegen Werbung für Abtreibung. An Karneval trat sie als „Putzfrau Gretel vom Landtag“auf, zog Politiker aller Couleur durch den Kakao. Vor allem aber sich selbst.
Sie zahlte für ihren Umzug nach Berlin einen sehr hohen Preis. Sie wusste das. Als sie Annegret Kramp-Karrenbauer
noch Ministerpräsidentin war und zwischen dem Saarland und den Berliner Koalitionsverhandlungen hin- und herpendelte, kam es im Januar zu einem Unfall. Ihr Dienstwagen fuhr bei Potsdam auf einen Lastwagen auf – drei Tage lag sie im Krankenhaus. Ihre Familie war schwer geschockt. Und doch traf sie wenig später die Entscheidung: Ja, ich gehe nach Berlin.
Dort baute sie ihre Macht systematisch auf. Sortierte das Konrad-Adenauer-Haus neu, installierte ein paar wenige Vertraute in Schlüsselpositionen. Sie ging auf Zuhör-Tour in die CDU-Verbände, überall im Land. Sie forderte die Mitglieder zu Diskussionen auf über das, was sich verändern muss in der Partei. Sie hörte genau zu, allen Strömungen, auch denen, die sich von Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik verraten fühlten. AKK identifizierte den Wohlstand im digitalen Zeitalter, die Sicherheit und den Zusammenhalt der Gesellschaft als die drei wichtigsten aktuellen Fragen. Aus der eigenen Partei habe sie in den vergangenen Monaten Stolz, aber auch Frust, Sorge und Verunsicherung gehört.
Der CDU, der ganzen Union, müsse es gelingen, zusammenzubleiben und sich nicht auseinanderdividieren zu lassen, die Partei müsse das Gemeinsame über das Trennende stellen. Dafür stehe sie. Deswegen schwor sie im Asylstreit mit der CSU im Sommer die Partei mit einem Brief auf die Linie der Kanzlerin ein: „Ich werde jetzt nicht, nur um einen Wettbewerbsvorteil zu haben, mich künstlich von jemandem absetzen, den ich in einem hohen Maße schätze.“Und konstatierte für sich, dass die Angriffe aus der CSU direkt auf Merkel zielten. Eine erste Ahnung, dass es vielleicht schneller gehen müsste mit der Bewerbung um die Nachfolge.
Von Merkels Verzicht auf den CDU-Vorsitz wurde sie genauso überrascht wie alle anderen, beteuert sie. Sie hatte keine Zeit zur gezielten Vorbereitung auf diesen Montag nach der HessenWahl. Sauer auf Merkel? AKK winkt ab. „Es war ein heilsamer Schock für alle – und alle hatten die gleichen Startchancen.“Das hatte Merkel so gewollt. Auch aus Angst, dass ein zu starker Einsatz für AKK dieser geschadet hätte.
AKK setzte alles auf eine Karte. Sie ließ ihr Amt als Generalsekretärin ruhen, machte klar, dass sie auf diesen Posten auch nicht zurückkehren werde. Sollte sie verlieren, wolle sie für die Partei nur noch „ehrenamtlich“tätig sein. Doch AKK ist Optimistin: „Ich bin von Hause aus immer zuversichtlich, sonst wäre ich nicht in der Politik“, hat sie einmal gesagt.
Was sie in den Tagen vor dem Parteitag gemacht hat? „Weihnachtsdeko.“Sie vertraue ihrem Mann in diesem Punkt nicht. Nun, er wird künftig öfter auf die Unterstützung seiner Frau verzichten müssen.
„Ich bin von zu Hause aus immer zuversichtlich, sonst wäre ich nicht in der Politik.“