Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Sehnsuchtsziel Italien
Die Kunstsammlung Jena nimmt die Besucher mit auf eine bilderreiche „Grand Tour“im Jahr 1877
Dem englischen Fotopionier William Henry Fox Talbot (1800– 1877) kam im Oktober 1833 bei einem Aufenthalt am Comer See in Norditalien eine kühne Idee: Er träumte von einer Technik, die es erlaube, die Schönheit von Architektur und Natur immerwährend auf Papier zu bannen. Jahre später stellte er der Öffentlichkeit sein Negativ-PositivVerfahren vor, das es tatsächlich möglich machte, fotografische Bilder durch Abzüge vom Negativ zu vervielfältigen.
In die frühen Jahre der Fotografie entführt die neue Ausstellung der Jenaer Kunstsammlung „Venedig, Florenz, Neapel 1877 – Eine Reise nach Italien“. Sie zeigt, wie das südeuropäische Land bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum beliebten Fotomotiv avancierte.
Die Sonderschau versammelt rund 150 Bilder, die vorwiegend einem historischen Fotoband entstammen. Derartige Alben erwarben betuchte Adelige seinerzeit auf der sogenannten Grand Tour, den beliebten Bildungsreisen durch Italien, um den Daheimgebliebenen von ihren Eindrücken berichten zu können. Zugleich waren die Bildbände Statussymbole und hatten einen stattlichen Preis.
Prachtvolle Italienbilder zu alten Baedeker-Texten
Herausgegeben wurden sie von namhaften Fotoateliers, die sich oft in Nähe touristischer Highlights angesiedelt hatten, wie Kurator Erik Stephan sagt. Beim Besuch der Ausstellung fällt sofort auf, wie wenig sich an den Urlaubszielen seit jener Zeit geändert hat. Damals wie heute werden vor allem Rom, Florenz, Venedig, Verona, Sizilien oder Pompeji angesteuert.
Am Eingang empfängt die Besucher eine dramatische Aufnahme des Markusplatzes in Venedig. Die düstere Stimmung wurde erst nachträglich mit Pinsel und Farbe erzeugt, indem Fotograf Carlo Naya (1816– 1882) dunkle Gewitterwolken am Himmel platzierte. Naya sei wie die meisten Fotografen damals von der Malerei gekommen, erklärt Erik Stephan. Ein Gespür für Bildausschnitt, Lichtstimmung und Komposition ist allen Werken gemein. Meisterhaft werden hier Rialtobrücke von Venedig, der Ausbruch des Vesuv, der Dom von Florenz, das Forum Romanum in Rom oder die Medici-Venus in den Uffizien in Szene gesetzt.
Passend zu den historischen Aufnahmen finden sich in der Ausstellung Texte aus alten Baedeker-Reiseführern sowie aus der Feder prominenter Zeitgenossen. So schreibt der US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain (1835–1910) im Jahr 1869 über das Kolosseum: „Jedermann erkennt sofort diese ‚mit Schießscharten und Fenstern versehene‘ Hutschachtel, deren eine Seite herausgebissen ist“.
Neben einer Fülle an architektonischen Prachtaufnahmen präsentiert die Sonderschau vereinzelt auch Fotos, die Einheimische zeigen. Wobei diese Szenen oft inszeniert wirken. So auch die romantische Balkonszene des Fotografen Wilhelm von Gloeden (1859–1931): Darauf lauscht eine junge Frau mit Kopftuch dem Gitarrespiel eines hübschen Jünglings unterhalb. Dass es sich bei der jungen Dame tatsächlich um eine Frau handelt, bezweifelt Kurator Stephan allerdings. Er glaubt, dass hier eine versteckte Liebesszene mit zwei Männern dargestellt ist, für die ein männliches Modell in Frauenkleider geschlüpft ist. Aufgefallen sei dieses feine Detail, als das Bild zum Ausstellungsplakat auserkoren und vergrößert wurde.
Ganz unbegründet ist Stephans Vermutung nicht. Von Gloeden war homosexuell und bannte vorzugsweise entblößte Jünglinge auf Celluloid. Zahlreiche Arbeiten von ihm wurden wegen Pornografieverdachts beschlagnahmt und zerstört.
Die Fotoausstellung basiert auf einer Sammlung aus Süddeutschland. Sie füllte in Jena bereits zwei Vorgänger-Schauen, unter anderem zur Orientfotografie.
• Die Ausstellung ist bis . April dienstags, mittwochs und freitags von bis Uhr zu sehen, donnerstags von bis Uhr sowie samstags und sonntags von bis Uhr.