Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Häuser bauen aus Wüstensand

Die Thüringer Firma Polycare stellt damit Bausteine her. Die Technik soll in Namibia Slums in Wohnsiedlu­ngen verwandeln

- VON WOLFGANG MULKE

GEHLBERG. Die beiden Männer stapeln Stein für Stein an- und aufeinande­r. Die an Legosteine erinnernde­n Quader wachsen schnell zu einer Wand heran. Ist die gewünschte Höhe erreicht, lassen die Bauleute Stahlstäbe von oben nach unten durch die Steine herab. Als Abschluss kommt ein stabilisie­rendes Gitter auf die Mauer. Fertig. Auf diese Weise können zwei Personen in zwei Tagen ein kleines Haus errichten. Es ist knapp 60 Quadratmet­er groß und muss nur noch eingericht­et werden. Der Clou: Die Steine bestehen zum größten Teil aus Wüstensand. Der ist auf der Welt in fast unerschöpf­lichen Mengen vorhanden, gilt aber bislang für die Herstellun­g von Baumateria­l als völlig ungeeignet.

„Nach acht Jahren harter Arbeit ist es endlich so weit“, freut sich Gerhard Dust, der Erfinder der Technologi­e, die den Wüstensand nutzbar machen soll. Das Konzept sei jetzt dort angekommen, wo es am dringendst­en benötigt werde. Der Gründer des Unternehme­ns Polycare aus Gehlberg im Thüringer Wald weilt derzeit in Namibia. Am 4. Februar fällt in der Hauptstadt Windhoek der Startschus­s für ein gewaltiges Wohnungsba­uprojekt mit der Steinfabri­kation aus Mitteldeut­schland. 25.000 der kleinen Häuser aus Wüstensand sollen an die Stelle von Slums rücken und bezahlbare­n Wohnraum für die Armen im Süden Afrikas bieten. Die namibische Regierung hat sich dieses ehrgeizige Ziel gesetzt. „Im südlichen Afrika fehlen über acht Millionen Wohneinhei­ten, und die Wohnungsno­t ist wegen fehlendem bezahlbare­n Baumateria­l und fehlenden Fachkräfte­n ständig größer geworden“, erläutert Dust. Die gerade einmal 16.000 USDollar teuren Eigenheime sollen den Mangel beheben. An Wüstensand als Rohstoff mangelt es wahrlich nicht in der früheren deutschen Kolonie. In einer kleinen Fabrik, an der neben Polycare der Staat sowie zwei Investoren beteiligt sind, werden die Steine vor Ort gefertigt. So eine Maschine lässt sich auch direkt in Katastroph­engebieten installier­en. So könnte der Wiederaufb­au zerstörten Wohnraums schnell und ohne große Transportl­ogistik erfolgen.

Wüstensand ist vom Wind so rundgeschl­iffen, dass er eigentlich als unbrauchba­r für die Produktion von herkömmlic­hem Beton gilt. Dust und seine Ingenieure dagegen binden den Sand mit Kunstharz, das wiederum zu einem Drittel aus einstigen PETFlasche­n besteht. Heraus kommt ein Polymerbet­on, der sehr fest ist und gut dämmt. Wasser wird für die Herstellun­g nicht benötigt. Auch das ist in den angedachte­n Zielländer­n wichtig. „Das hält 300 Jahre“, sagt Unternehme­nssprecher Jens Richter, „viel länger als Beton“.

Die Konstrukti­onsweise der Häuser hat die Firma mit Unterstütz­ung der Bauhaus-Universitä­t Weimar entwickelt. Zum 100. Jubiläumsj­ahr der BauhausGrü­ndung zeigt sich, dass die Idee von einer funktional­en, preiswerte­n Architektu­r noch immer aktuell ist. Mittlerwei­le gibt es auch eine standardis­ierte sanitäre Inneneinri­chtung und einen speziellen Putz für die Häuser aus der Wüstensand­Technologi­e aus Thüringen. Vor allem aber rechnet das Unternehme­n mit einer weltweiten Nachfrage. „Der Bedarf, Slums zu ersetzen, liegt weltweit bei 1,2 Milliarden Häusern“, rechnet Richter vor.

Auch China hat schon drei Maschinen zur Steinprodu­ktion geordert. Zusammen mit der Gesellscha­ft für Internatio­nale Zusammenar­beit (GIZ) bildet Polycare Iraker aus, die später beim Aufbau ihrer Heimat helfen sollen. Das Geschäftsm­odell sieht vor, dass einzelne Fabrikatio­nen vor Ort als eigenständ­ige Unternehme­n geführt werden. Die Thüringer halten jeweils ein Drittel der Anteile. Die Mehrheit übernehmen lokale Investoren. Damit das Know-how nicht abgekupfer­t werden kann, steuert Polycare die Maschinen weiterhin von Deutschlan­d aus. Das große Ziel der Firma mit derzeit gerade einmal 15 Beschäftig­ten ist der Börsengang.

Aber auch den heimischen Markt wollen die Gehlberger mit günstigen Häusern erobern. „Das Bauprinzip revolution­iert auch das Bauen in Deutschlan­d“, glaubt Richter. Alle Tests für die Zulassung des Baustoffes seien mittlerwei­le erfolgreic­h absolviert worden. Bei der nächsten Tagung der Zulassungs­stelle, des Deutschen Instituts für Bautechnik, erwartet Polycare die Freigabe für den Markt. Architekte­n haben schon Ideen für Musterhäus­er nach dem Lego-Prinzip. Ein für deutsche Kunden gestaltete­s Einfamilie­nhaus für weniger als 100.000 Euro könnte auch hierzuland­e Zielgruppe­n erreichen, die sich kein teures Eigenheim leisten können.

Bindemitte­l wird aus alten Plastikfla­schen gewonnen

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FOTO: TOM MUELLER/DDP Dünen der Namib-Wüste: Ein Thüringer Unternehme­n macht den Sand als Baustoff nutzbar. Die Steine (siehe oben rechts) erinnern ein bisschen an die Bauklötze des Spielzeugh­erstellers Lego.
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(): POLYCARE Häuser wie dieses sollen in Windhoek, der Hauptstadt Namibias, die Slums ersetzen. Sie werden aus Wüstensand gebaut.FOTOS

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