Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Der farbgewaltige Eigensinn einer späten Bauhäuslerin
Das Kunsthaus Apolda entdeckt Ida Kerkovius samt ihren Bezügen zwischen Klee, Kandinsky & Co. und dem Hölzel-Kreis
APOLDA. Das Bauhaus-Jahr ist eröffnet, und als sei es so Brauch, beginnt das Kunsthaus Apolda Avantgarde den landesweiten Ausstellungsreigen: „Sie ist ganz Kunst“– unter diesem merkwürdigen Titel gilt es dort von Sonntag an die Bauhaus-Künstlerin Ida Kerkovius zu entdecken. Die Deutschbaltin, 1879 in eine begüterte Familie in Riga geboren, setzte sich als 42-Jährige, als sie eigentlich als Malerin längst etabliert war,
1921 noch auf die Schulbank in Weimar. Warum? – Das ist eines der Rätsel, das die Schau den Besuchern aufgibt.
Ein anderes ist eher grundsätzlicher Art: Als wie „bauhäusisch“sehen wir Ida Kerkovius an, zumal ein Großteil ihres frühen Oeuvres 1944 nach einem Bombenangriff der Alliierten auf Stuttgart im Atelier verbrannte? Folglich stammen ein kleinerer Teil der Werke in der Apoldaer Schau aus der Zeit vor dem Krieg, die meisten jedoch aus den 50er- und
60er-Jahren. Da war die Künstlerin zumindest in Westdeutschland namhaft und erhielt etwa den Auftrag, Glasfenster fürs Stuttgarter Rathaus zu gestalten. Warum geriet sie nach ihrem Tode 1970 in so lange Vergessenheit?
Auf den ersten Blick vermag die Leuchtkraft ihrer Farben den Betrachter zu überwältigen. So intensiv, ja grell sie zum Beispiel mit Gelborange-rot-Tönen agiert, so famos und organisch formiert sich diese Armada der Möglichkeiten von der Palette in den Bildkompositionen. Weniges erhebt den Anspruch von Autonomie im Abstrakten. Die meisten Sujets identifizieren wir gern als gegenständlich: Augenscheinlich hegte Kerkovius ein Faible für Landschaften. Vor lauter Farbengepränge arbeitet sie indes kaum Details heraus, sondern kombiniert dominante Farbflächen und Tupfer, die erst durch eine gehörige Zutat an Fantasie im Sinn des Betrachters konkrete Bedeutung erhalten.
Zum Beispiel das abendliche Lichtspiel am Himmel in „Sonnenuntergang am Rigaischen Strand“
(1939) oder das geometrisch ineinander verschachtelte Häuserlabyrinth in einer Reihe von Ischia-Motiven aus den 50er-Jahren. Da findet man Bilder, die geradezu zwischen abstrakt und gegenständlich zu oszillieren scheinen; allerdings rückt oft die räumliche Tiefenwirkung wegen dieser flächigen Organisation der Bildelemente ins Nebensächliche. Da denkt man sich gerne eine Seelenverwandtschaft Kerkovius’ zum befreundeten Paul Klee aus oder schreibt die wundersamen Nuancierungen ihrer Palette der Inspiration durch Johannes Itten zu.
Doch hängen daneben auch Bilder wie das „Selbstporträt II“(1935), die im klassisch-modernen Expressionismus zu verorten wären. Nein, stilistisch fassbar ist Kerkovius kaum. Sie besitzt beharrlichen Eigen-Sinn und verhehlt dennoch die Einflüsse Anderer nicht. Zu tun hat das wohl mit ihrem eigenartig verschlungenen Lebensweg, auf dem wir sie, nach dem Besuch einer Malschule in Riga, zuerst anno 1903 in der Dachauer Künstlerkolonie um Adolf Hölzel erleben. 1908 studiert sie kurze Zeit bei Adolf Mayer in Berlin, um sich alsbald an die Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart zu wenden.
Wieder bei Hölzel also. Sie wird seine Assistentin im Kreise der Stuttgarter Avantgarde, und sie unterrichtet; nebenbei floriert der Absatz ihrer Werke. Warum dann noch ans Bauhaus? Aus Neugierde wahrscheinlich, Itten übt als Lehrer erhebliche Anziehungskraft aus. Neben seinem Vorkurs nimmt sie an der Ausbildung in der Textilwerkstatt teil; einige Wandteppiche und -entwürfe sind noch erhalten. Auch unter Kandinskys Zeichenschülern ist Kerkovius zu finden.
Gleichwohl darf man Stuttgart und Weimar nicht als antagonistische Pole einer Achse verstehen; dazu standen die Schulen einander ästhetisch zu nahe. Das Bauhaus bedeutet für die Baltin eher eine Ergänzung, einen Perspektivwechsel. Sie schreibt: „Itten legt größten Wert auf das Seelische, auf die reale Gestaltung eines Gefühls (...). Drum müssen wir alle Mittel studieren, um im gegebenen Falle die richtigen zu finden. Hölzel geht von diesen Mitteln aus.“– Gemeint ist KompositorischTechnisches wie Raum, Rhythmus und Farbe.
Obwohl eine ihrer Arbeiten 1937 in der Münchner Schau „Entartete Kunst“im Verein mit Verfemten gezeigt wird, übersteht Ida Kerkovius die NS-Zeit an Leib und Leben unbehelligt in der inneren Emigration. In den 1950ern reüssiert sie wieder – allerdings nur im Westen. Sie ist, wie die Apoldaer Kuratoren Andrea Fromm und Tom Beege feststellen, „unabhängig von Modeströmungen immer ihren eigenen Weg gegangen“.
Sie der Öffentlichkeit derart vorzustellen, ist fraglos den Schweiß der Edlen wert, obschon „Avantgarde“-Geschäftsführer Hans Jürgen Giese den enormen Aufwand an 85.000 Euro beklagt. „Die Transportkosten sind explodiert“, klagt er. „Es war für alle, auch für die Kuratoren, ein Riesen-Kraftakt.“– So ganz neu ist Ida Luitgarde Kerkovius den Apoldaern allerdings nicht. 2013 widmete ihr Hans-Dieter Mück im Kunsthaus eine kleine Schau im Kabinett, zur Ergänzung einer Ausstellung Max Ackermanns, eines Thüringer aus dem Hölzel-Kreis.