Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Natürlich Norderney
Bei einer Wattführung entdeckt man Flora und Fauna – und findet diese später auf dem Teller wieder
Was würde passieren, wenn Sie einen Löwenzahn in ein Glas Salzwasser stecken?“Die Frage, die Berit Finkennest in die Runde wirft, gibt der kleinen Gruppe keine großen Rätsel auf. Der Löwenzahn vertrocknet, kann also bestens auf Salz verzichten. Hier auf der Salzwiese am Rand des Norderneyer Wattenmeers ist er deshalb nicht anzufinden. Eine Vielzahl anderer Gewächse aber trotzen den harschen Bedingungen. Schnittig pfeift der Nordwind über die menschenleere Landschaft. In seichten Prielen und langen Sandstrichen breitet sich eine stille Welt in Grau und Braun aus. Selbstverständlich regnet es.
Pflanzen wie Portulak-Keilmelde, Braunalge und Queller gedeihen
„Die meisten unserer Pflanzen brauchen streng genommen kein Wasser – sie vertragen es aber und haben ganz verschiedene, ziemlich schlaue Wege gefunden, das Salz wieder loszuwerden“, klärt Finkennest auf. Sie arbeitet für die Watt Welten Norderney und für den Nationalpark Wattenmeer und gibt regelmäßig Führungen durch diese wichtige Kulturlandschaft. Sie kennt Watt und Wildwuchs wie ihre Westentasche.
Die dickfleischige Portulak-Keilmelde etwa. Sie verfügt über Sammelzellen für überschüssiges Salz und scheidet es über ihre Blätter aus. Das würde sie durchaus zu einem leckeren Snack machen, gerade bei einer solchen Führung bei widrigem Wetter. Allerdings ist das Pflücken oder gar die Ernte im größeren Stil im weitläufigen Nationalpark verboten.
Mit dem Queller sieht es da ganz anders aus. Er ist nicht nur die einzige Pflanze, die Salz zum Überleben benötigt, er ist auch in rauen Mengen vorhanden und hat daher Einzug in die Gastronomie gefunden. Hübsch aussehen tun die knubbeligen, mal grünen, mal roten Sprossen obendrein.
Gute Gründe also, dass der Queller auch in den Gerichten von Markus Kebschull Verwendung findet. Kebschull ist Chefkoch im „Seesteg“am westlichsten Zipfel von Norderney. Es ist das einzige Sterne-Restaurant auf den ostfriesischen Inseln – und eines der ungewöhnlichsten überhaupt. Kein Chichi und schnell von Kleinigkeiten pikiertes Publikum, stattdessen ein geselliger Großraum und ein Menü, in dem auch allerlei Köstlichkeiten aus dem Watt auftauchen. Kebschull begleitet daher die Führung und freut sich, wenn er im schmatzenden Schlamm Herz-, Pfeffer- und Miesmuscheln entdeckt, Austern und Strandschnecken.
Seesteg-Koch Markus Kebschull wanderte aus, um „einfach schön zu kochen“
Auch Schollen gibt es in den Prielen im Watt. Früher wurden diese mit der sogenannten Buttpedden-Technik gefangen: Vornehmlich Fischerinnen schlichen sich an die Fische an, traten rasch auf sie und spießten sie dann mit einem Dreizack auf. Für die Gastronomie ist diese Technik freilich viel zu aufwändig – die Schollen, die in Kebschulls Kreationen Verwendung finden, stammen also nicht aus dem Norderneyer Watt.
Dafür lernt der Koch, der nicht auf die Insel gezogen ist, um an seinem Ruhm zu feilen, sondern „einfach schön kochen“wollte, an diesem Tag etwas hinzu. Auf einem Stein findet sich eine große Menge Sägetang. Die Braunalge ist Kebschull bislang nur als vegetarischer Beifang beim Austernkauf untergekommen.
Blanchiert, also kurz überbrüht, werden daraus leuchtend grüne kleine Wunder, die sich prächtig als Zierrat machen. „Dass die auch pur richtig lecker schmeckt, ist mir tatsächlich völlig neu“, sagt der Koch erstaunt. „Ich glaube, da mache ich mal einen Salat draus.“