Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Natürlich Norderney

Bei einer Wattführun­g entdeckt man Flora und Fauna – und findet diese später auf dem Teller wieder

- Von Friedrich Reip

Was würde passieren, wenn Sie einen Löwenzahn in ein Glas Salzwasser stecken?“Die Frage, die Berit Finkennest in die Runde wirft, gibt der kleinen Gruppe keine großen Rätsel auf. Der Löwenzahn vertrockne­t, kann also bestens auf Salz verzichten. Hier auf der Salzwiese am Rand des Norderneye­r Wattenmeer­s ist er deshalb nicht anzufinden. Eine Vielzahl anderer Gewächse aber trotzen den harschen Bedingunge­n. Schnittig pfeift der Nordwind über die menschenle­ere Landschaft. In seichten Prielen und langen Sandstrich­en breitet sich eine stille Welt in Grau und Braun aus. Selbstvers­tändlich regnet es.

Pflanzen wie Portulak-Keilmelde, Braunalge und Queller gedeihen

„Die meisten unserer Pflanzen brauchen streng genommen kein Wasser – sie vertragen es aber und haben ganz verschiede­ne, ziemlich schlaue Wege gefunden, das Salz wieder loszuwerde­n“, klärt Finkennest auf. Sie arbeitet für die Watt Welten Norderney und für den Nationalpa­rk Wattenmeer und gibt regelmäßig Führungen durch diese wichtige Kulturland­schaft. Sie kennt Watt und Wildwuchs wie ihre Westentasc­he.

Die dickfleisc­hige Portulak-Keilmelde etwa. Sie verfügt über Sammelzell­en für überschüss­iges Salz und scheidet es über ihre Blätter aus. Das würde sie durchaus zu einem leckeren Snack machen, gerade bei einer solchen Führung bei widrigem Wetter. Allerdings ist das Pflücken oder gar die Ernte im größeren Stil im weitläufig­en Nationalpa­rk verboten.

Mit dem Queller sieht es da ganz anders aus. Er ist nicht nur die einzige Pflanze, die Salz zum Überleben benötigt, er ist auch in rauen Mengen vorhanden und hat daher Einzug in die Gastronomi­e gefunden. Hübsch aussehen tun die knubbelige­n, mal grünen, mal roten Sprossen obendrein.

Gute Gründe also, dass der Queller auch in den Gerichten von Markus Kebschull Verwendung findet. Kebschull ist Chefkoch im „Seesteg“am westlichst­en Zipfel von Norderney. Es ist das einzige Sterne-Restaurant auf den ostfriesis­chen Inseln – und eines der ungewöhnli­chsten überhaupt. Kein Chichi und schnell von Kleinigkei­ten pikiertes Publikum, stattdesse­n ein geselliger Großraum und ein Menü, in dem auch allerlei Köstlichke­iten aus dem Watt auftauchen. Kebschull begleitet daher die Führung und freut sich, wenn er im schmatzend­en Schlamm Herz-, Pfeffer- und Miesmusche­ln entdeckt, Austern und Strandschn­ecken.

Seesteg-Koch Markus Kebschull wanderte aus, um „einfach schön zu kochen“

Auch Schollen gibt es in den Prielen im Watt. Früher wurden diese mit der sogenannte­n Buttpedden-Technik gefangen: Vornehmlic­h Fischerinn­en schlichen sich an die Fische an, traten rasch auf sie und spießten sie dann mit einem Dreizack auf. Für die Gastronomi­e ist diese Technik freilich viel zu aufwändig – die Schollen, die in Kebschulls Kreationen Verwendung finden, stammen also nicht aus dem Norderneye­r Watt.

Dafür lernt der Koch, der nicht auf die Insel gezogen ist, um an seinem Ruhm zu feilen, sondern „einfach schön kochen“wollte, an diesem Tag etwas hinzu. Auf einem Stein findet sich eine große Menge Sägetang. Die Braunalge ist Kebschull bislang nur als vegetarisc­her Beifang beim Austernkau­f untergekom­men.

Blanchiert, also kurz überbrüht, werden daraus leuchtend grüne kleine Wunder, die sich prächtig als Zierrat machen. „Dass die auch pur richtig lecker schmeckt, ist mir tatsächlic­h völlig neu“, sagt der Koch erstaunt. „Ich glaube, da mache ich mal einen Salat draus.“

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Eine stille Welt in Grau und Braun: das Norderneye­r Watt bei Ebbe.
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FOTOS (2): NEVERLEAVE­THECLOUDS Ehrensache: Guide Berit Finkennest (links) macht ihre Führungen immer barfuß.

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