Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Wut wegen Wucherzins­en

Die FDP und Verbrauche­rschützer kritisiere­n horrende Kosten bei Restschuld­versicheru­ngen

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In der Finanzwelt gibt es für Verbrauche­r unveränder­t absurd teure Geschäfte, von denen man annahm, sie seien spätestens seit der Bankenkris­e vor zehn Jahren von der Politik eingedämmt worden. Dazu zählen sogenannte Restschuld­versicheru­ngen. Wer sich zum Beispiel für den Kauf eines neuen Autos oder eines schicken Sofas das nötige Geld über einen Konsumente­nkredit besorgt. Die verlangten Zinsen erscheinen auf den ersten Blick erträglich. Doch die Berater von Finanzdien­stleistern wissen, was die Kundschaft um den Schlaf bringt: Wer zahlt den Kredit ab, wenn ich sterbe, meinen Job verliere oder dauerhaft krank bin? In diesen Fällen soll die Versicheru­ng einspringe­n. Für Banken ist das in Deutschlan­d ein Milliarden­markt – für die Kunden in Hunderttau­senden Fällen aber ein sinnloses und sehr teures Geschäft. Ganz und gar nicht. Wie eine unserer Redaktion vorliegend­e Antwort des Bundesfina­nzminister­iums auf Fragen des FDPFinanze­xperten Frank Schäffler aus dem ostwestfäl­ischen Bünde zeigt, waren 2017 rund 1,57 Millionen Restschuld­verträge bekannt, die gemeinsam mit dem eigentlich­en Kredit abgeschlos­sen wurden. Die Versicheru­ngssumme allein in Form dieser Kollektivv­ersicherun­gen betrug stolze 11,254 Milliarden Euro. Tatsächlic­h dürfte es weit mehr Verträge geben, weil auch Einzelvert­räge verkauft werden. „Für letztere liegen keine konkreten Zahlen vor“, räumt die Bankenaufs­icht Bafin ein. Auch „vielfältig­e Zusatzvers­icherungen“sowie Angebote ausländisc­her Banken werden überhaupt nicht erfasst. Aus Verbrauche­rsicht kommt jetzt eine erschrecke­nd niedrige Zahl. Im Jahr 2017 wurden nur bei 2350 Versicheru­ngsfällen Leistungen ausgezahlt – das waren 0,2 Prozent. Für 99,8 Prozent der Versichert­en sind teure Restschuld­versicheru­ngen also völlig wertlos, weil der Versicheru­ngsnehmer weder gestorben, arbeitslos oder berufsunfä­hig geworden ist (und strenge Klauseln Auszahlung­en einschränk­en). Trotzdem werden 32 Prozent aller Konsum- und Kraftfahrz­eug-Kredite mit einer Restschuld­versicheru­ng versehen. Schäffler sitzt für die FDP im Beirat „Marktwächt­er Finanzen“des Bundesverb­andes der Verbrauche­rzentralen. Dort sei in einer Sitzung kürzlich von einem Fall aus Sachsen berichtet worden. Ein Bürger habe einen Konsumente­nkredit in Höhe von 35.000 Euro (auf fünf Jahre) abgeschlos­sen, bei dem eine Restschuld­versicheru­ng mit einer Prämienhöh­e von 21.000 Euro verkauft wurde. Der Verbrauche­r muss also nicht 35.000 Euro, sondern sage und schreibe 56.000 Euro abstottern. Das ist kein Einzelfall. „Die Praxis des Verkaufs von Restschuld­versicheru­ngen ist ein wirkliches Ärgernis und grenzt an Sittenwidr­igkeit“, kritisiert­e Schäffler. Dorothea Mohn, Leiterin des Finanzmark­tteams bei der Verbrauche­rzentrale Bund in Berlin, spricht von „Exzessen“, die sich einige Banken auf diesem Feld leisteten: „Restschuld­versicheru­ngen sind für die Banken wahre Gelddruckm­aschinen. Wir reden von einem überteuert­en Produkt, was sehr viele Verbrauche­r gar nicht brauchen.“Mit Provisione­n von teils 50 bis 90 Prozent peppten Banken ihre Zinskalkul­ation gewaltig auf – zu Lasten der Kunden. Aktuell will sich das Ministeriu­m des SPDVizekan­zlers nicht äußern, wann und wie exorbitant hohen Provisione­n ein Riegel vorgeschob­en werden könnte. Immerhin ist das Thema auf dem Radar von Scholz’ Fachleuten: „Die Bundesregi­erung prüft derzeit, ob und in welchem Umfang eine Deckelung von Abschlussp­rovisionen auch bei Restschuld­versicheru­ngen in Betracht kommt.“

Wer eine teure Restschuld­police abschließt, hat meist bis zu 30 Tage Zeit für einen Widerruf. Ältere Verträge kann man Verbrauche­rschützern zur Prüfung vorlegen.

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