Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Koalition auf dem Prüfstand
Union und SPD wollen bis 2021 in der großen Koalition durchhalten, doch es mehren sich Zweifel an der Belastbarkeit des Bündnisses
BERLIN. Seit einem Jahr besteht die aktuelle große Koalition in Berlin – und sowohl CDU/CSU als auch SPD betonen, bis 2021 durchzuhalten. Doch daran gibt es Zweifel. Vorm Koalitionsgipfel am Donnerstag zeigt sich die Union genervt. Auch die SPD solle die Erfolge der Regierungsarbeit selbstbewusst vertreten, anstatt ständig Debatten über ein frühzeitiges Ende der Koalition anzuzetteln, hieß es. (fmg)
BERLIN. Am Berg gilt seit ewigen Zeiten eine Losung: Du bist nur so stark wie deine Seilschaft. Egoisten bringen das Team in Gefahr, wer in eisigen Höhen auf eigene Faust aus der Reihe tanzt, riskiert den Absturz der ganzen Gruppe. Aber gilt das auch in der Berliner Politik?
Heute vor einem Jahr, am 12. März 2018, unterschrieben CDU, CSU und SPD feierlich in Berlin ihren Koalitionsvertrag. Allen Beteiligten war klar, dass diese Expedition keine leichte wird. Vorangegangen waren die längsten Verhandlungen zwischen den Parteien in der bundesdeutschen Geschichte.
In die Klettersaison 2019 startete die Koalition mit guten Vorsätzen. Das desaströse Erscheinungsbild aus dem vergangenen Sommer sollte sich nicht wiederholen. Damals zofften sich CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik.
Seit Annegret KrampKarrenbauer die CDUSpitze und Markus Söder vom Querulanten Horst Seehofer den CSU-Vorsitz übernommen hat, herrscht in der Koalition zumindest hinter den Kulissen ein neuer Teamgeist. Der äußere Eindruck ist ein anderer. Kramp-Karrenbauer nutzte den politischen Aschermittwoch, um die SPD bei Rente und Finanzen als unsolide zu brandmarken.
Die SPD glaubt, mit dem Abschied von Hartz IV und der Rückbesinnung auf linke PositionenneueKräftefreisetzenzu können. Aber würden die Sozialdemokraten sich bei passender Gelegenheit (Rücktritt Merkel?) tatsächlich aus der großen Koalition abseilen und in das ungewisse Abenteuer Neuwahlen stürzen?
Die Union jedenfalls ist vor dem Koalitionsgipfel, der an diesem Donnerstag stattfindet, hörbar genervt. Auch die SPD solle die Erfolge der Regierungsarbeit selbstbewusst vertreten, anstatt ständig Debatten über ein frühzeitiges Ende der Koalition anzuzetteln.
So bleibt die Luft im schwarzroten Basislager nach 365 Tagen dünn. CDU, CSU und SPD werden noch manche schwierige Steilwand durchsteigen müssen – es kann gut gehen, aber auch ein Absturz scheint jederzeit möglich.
Europa und Bremen: Ausgerechnet über das kleine Bremen könnte die große Koalition ins Trudeln geraten. Seit 74 Jahren gibt es dort eine historische Gewissheit – den Bürgermeister stellt die SPD. Aktuell heißt der Mann Carsten Sieling. Ein freundlicher Finanzexperte, den jenseits der Weser kaum jemand kennt. Er könnte als jener Genosse in die Geschichtsbücher eingehen, der bei der Wahl am 26. Mai – parallel zur Europawahl – die rote Macht in Bremen verliert.
Bei der Europawahl steht für Union und SPD viel auf dem Spiel. 2014 war die Partei mit Spitzenkandidat Martin Schulz auf 27,3 Prozent gekommen – nun könnte es steil bergab gehen. Umgekehrt ist Europa der erste Stimmungstest für CDUChefin Kramp-Karrenbauer. Das Abschneiden der Union wird über den weiteren Kurs von CDU und CSU in der Koalition mitentscheiden – Krawall oder Kompromisse?
Grundrente: Das Konzept von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sieht vor, dass Geringverdiener, die 35 Jahre lang gearbeitet haben, automatisch Rentenzuschläge erhalten – ohne vorherige Überprüfung, ob sie im Alter höhere Einnahmen, zum Beispiel aus Vermietung oder Pacht, haben. Die Union besteht auf einer Bedürftigkeitsprüfung, die im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Kramp-Karrenbauer giftete, die SPD wolle sich mit der Grundrente auf Kosten der Steuerzahler selbst therapieren.
Soli: Die unteren und mittleren Einkommen sollen ab dem Wahljahr 2021 von einer SoliAbschaffung profitieren. Die CDU hat auf ihrem Parteitag im Dezember die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis 2021 beschlossen – und trägt das seitdem wie eine Monstranz vor sich her. Argument: Nicht nur die Großverdiener, sondern vor allem auch Mittelständler würden von der Streichung profitieren. Die SPD sieht das als Klientelpolitik, weil auch Topmanager davon profitierten.
Klimaschutzgesetz: Über die Pläne von SPD-Umweltministerin Svenja Schulze wird in der Union so richtig gelästert: Das Thema sei wichtig, aber der Vorstoß diene nur dazu, einer schwachen Ministerin Profil zu verleihen. Nach Vorstellungen des Ministeriums sollen einzelne Ressorts für die Einhaltung der Klimaziele verantwortlich sein – und auch für Kosten, die etwa für den Kauf zusätzlicher Emissionszertifikate anfallen. Das beträfe vor allem unionsgeführte Ministerien wie Verkehr, Landwirtschaft und Wirtschaft.
Haushalt: Bislang kleisterte die Koalition viele Konflikte einfach mit viel Geld zu. Doch das Füllhorn ist bald leer, die Konjunktur schwächelt, Steuereinnahmen sprudeln schwächer als erwartet. Das produziert Ärger. Die Union wirft Scholz vor, er wolle im Haushalt 2020 nur „schwarze Ministerien“bluten lassen.
Ostwahlen: Die Wahlen 2019 in Brandenburg, in Sachsen und in Thüringen könnten die politische Landschaft stark verändern, die AfD erstmals stärkste Kraft in einem Bundesland werden. Würde die CDU dann bei ihrem Nein zu einer Koalition mit der AfD bleiben? In der CDU wird das beteuert, die SPD ist misstrauisch.
Parteitage: Abgerechnet wird Ende des Jahres beim Bergfest. Union und SPD wollen dann Halbzeitbilanz ziehen, ob das gemeinsame Regieren noch Sinn macht. Die SPD-Führung will das Bündnis fortsetzen, das No-Groko-Lager verlor zuletzt an Zuspruch, weil die Führung die Neuorientierung in der Sozialpolitik vorantrieb. SPD-Parteitage aber verlaufen oft wie eine Tour im Hochgebirge – stürmisch und unberechenbar.
„Vertrauen gewinnt man mit guter Arbeit.“ Alexander Dobrindt, CSU-Landesgruppenchef