Thüringische Landeszeitung (Weimar)
In der Beitragsschuldenfalle
Viele Selbstständige mit niedrigen Einkommen können sich ihre Krankenkassenabgaben nicht leisten – Bürgerbeauftragte fordern Politik zum Handeln auf
ERFURT. Selbstständige können sich privat oder freiwillig gesetzlich krankenversichern. Bis 2018 wurde bei der Berechnung der Beiträge von freiwillig gesetzlich Krankenversicherten ein fiktives monatliches Einkommen von 4425 Euro zu Grunde gelegt, und zwar egal wie hoch der tatsächliche Verdienst war. Bei Nachweis eines geringeren Verdienstes wurde die Mindestbemessungsgrenze auf 2283 Euro annähernd halbiert. Ab 1. Januar 2019 wurde die Grenze auf 1038 Euro weiter reduziert. Das bedeutet Beiträge von etwa 190 Euro monatlich.
Die Arbeitsgemeinschaft der Bürgerbeauftragten hat sich jetzt der Probleme im Krankenversicherungsrecht angenommen. Sie hält die Neuregelung zum Jahresbeginn für einen ersten wichtigen Schritt, der eine spürbare Entlastung nach sich zieht. „Der Schritt ist allerdings nicht groß genug “, sagt ThüringensBürg er beauftragter Kurt Herzberg im Gespräch mit dieser Zeitung.
Herz berg und seine Länder kollegen schlagen in einem Positionspapier vor, die Mindestbeitragsbemessungs grenze auf 450 Euro monatlich oder 6000 Euro im Jahr festzulegen. „Ich weiß, dass die Selbstständigen keine sonderlich große Lobby haben. Aber es gibt viele Menschen gerade in Thüringen, die selbstständig sind und nur ein sehr geringes Einkommen haben“, sagt der Bürger beauftragte.
Diese Menschen sind oftmals nicht mehr in der Lage, ihre Krankenversicherungsbeiträge zu zahlen, häufen Beitragsschulden an und fallen in die sogenannte Notversorgung. Sie umfasst ausschließlich Leistungen, die zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände erforderlich sind und Untersuchungen zur Früherkennung einiger schwerwiegender Krankheiten wie Krebs. Die Betroffenen haben erst wieder Ansprüche auf weitere Leistungen, wenn die Rückstände beglichen wurden.
Was das für Auswirkungen haben kann, wird Herzberg bewusst, als sich jüngst ein älterer Herr an ihn wendete, dem die Krankenversicherung die vom Zahnarzt dringend angeratene Behandlung in Höhe von etwa 700 Euro verweigert, weil er Beitragsschulden hat. Viele Zähne, erinnert sich der Bürgerbeauftragte, habe der Rentner nicht mehr im Mund gehabt, dennoch habe die Kasse nur die Schmerztherapie übernehmen wollen. Herzberg spricht von einer regelrechten „Beitragsschuldenfalle“und verlangt Abhilfe von der Bundesregierung.
Aber auch eine „Krankengeldfalle“kann Arbeitnehmern zum Verhängnis werden, wie ein weiteres Beispiel aus dem Arbeitsalltag des Bürgerbeauftragten veranschaulicht: Ein krankgeschriebener Kraftfahrer wird zum 31. Dezember gekündigt. Der Mann geht am 2. Januar wieder zum Arzt, weil die Praxis jedoch nach den Feiertagen voll ist, bittet man ihn, am nächsten Tag wieder zu kommen. Am 3. Januar wird der Kraftfahrer erneut krankgeschrieben. Doch die entstandene Lücke von einem Tag – und weil sich der Arzt weigert zu bescheinigen, dass der Patient weggeschickt wurde – sorgt dafür, dass der Kraftfahrer seinen Anspruch auf Krankengeld und unter Umständen sogar die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung verliert. „Der Mann ist plötzlich raus aus dem System“, sagt Herzberg.
Geplant ist vom Bund, dass Krankengeld künftig auch dann gezahlt werden soll, wenn innerhalb eines Monats nach dem zuletzt bescheinigten Ende die Arbeitsunfähigkeit wegen der gleichen Erkrankung erneut festgestellt wird. „Die geplante Gesetzesänderung“, sagt der Bürgerbeauftragte, „wäre ein immenser Fortschritt.“Die Folgen einer häufig unverschuldeten Verspätung seien nach aktueller Rechtslage „unverhältnismäßig und existenzbedrohend“. Deshalb fordert Herzberg, dass der Bund hier nicht auf Zeit spielt, sondern die Änderung zügig umgesetzt wird.