Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Gefährlich­e Keime in häuslicher Pflege

Laut einer Studie können viele Pflegedien­ste eine Besiedlung mit dem antibiotik­aresistent­en Erreger MRSA nicht fachgerech­t versorgen

- VON LAURA RÉTHY

BERLIN. Die Infektion mit einem resistente­n Keim kostet Menschenle­ben. Besonders geschwächt­e Menschen sind gefährdet, wenn kaum ein Antibiotik­um mehr gegen bestimmte Erreger Wirkung zeigt. Doch trotz dieses Wissens ist der Umgang mit resistente­n Keimen in Deutschlan­d nachlässig, wie eine Studie des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP) und der Berliner Charité zum Umgang ambulanter Pflegedien­ste mit dem prominente­sten der sogenannte­n Krankenhau­skeime zeigt: MRSA.

Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass nur die Hälfte der 107 bundesweit befragten Pflegedien­ste und deren 656 Mitarbeite­r in der Lage sind, einen zu Pflegenden, der mit MRSA besiedelt ist, fachgerech­t zu versorgen. „Die Chance, dass der Pflegeempf­änger richtig versorgt werden kann, liegt im besten Fall bei 50 Prozent“, sagt Sandra Strube-Lahmann von der AG Pflegefors­chung der Berliner Charité und Mitautorin der Studie. „Da können Sie auch eine Münze werfen.“

Das sei besonders problemati­sch, weil die Zahl der sehr alten und anfälligen Pflegebedü­rftigen in der ambulanten Versorgung deutlich zugenommen habe und weiter zunehmen werde. So waren laut dem Statistisc­hen Bundesamt 2015 rund 56 Prozent der Pflegebedü­rftigen 80 Jahre und älter. 2045 werden es 71 Prozent sein. Die meisten von ihnen werden zu Hause gepflegt. „Diese Menschen sind für Infektione­n durch MRSA besonders empfänglic­h“, sagt die Pflegepäda­gogin.

Der Keim mit dem Namen Methicilli­n-resistente­r Staphyloco­ccus aureus, kurz MRSA, ist ein Bakterium der Art Staphyloco­ccus aureus, das unempfindl­ich gegen das Antibiotik­um Methicilli­n und andere Antibiotik­a ist. Viele Menschen tragen es mit sich herum, meist in der Nase, im Rachen, in den Achselhöhl­en oder der Leistengeg­end, ohne dass es sie krank macht. Doch gelangt MRSA über offene Wunden oder andere Wege in den Körper, kann eine Infektion gefährlich sein. Sie verursacht Geschwüre, löst Lungenentz­ündungen oder Blutvergif­tungen aus und kann zum Tod führen. „Werden die Menschen aus der ambulanten Versorgung in ein Krankenhau­s oder Heim verlegt, kann sich ein resistente­r Keim auch in Einrichtun­gen ausbreiten“, sagt Strube-Lahmann.

Umso wichtiger sei die fachgerech­te Umsetzung von Hygienemaß­nahmen in ambulanten Diensten, sagt Ralf Suhr, ZQPVorsitz­ender und Co-Autor der Studie, „insbesonde­re im Umgang mit pflegebedü­rftigen Menschen, die von Problemkei­men betroffen sind“. Und das sind viele: Laut einer ZQP-Studie aus dem Jahr 2016 hatten 57 Prozent der ambulanten Pflegedien­ste in den zwölf Monaten zuvor Menschen versorgt, die mit einem multiresis­tenten Keim besiedelt waren.

Fachgerech­t war die Umsetzung der Hygienemaß­nahmen laut der aktuellen Studie oft nicht. Allein bei einem Drittel der Pflegedien­ste, die an der Befragung teilgenomm­en hatten, fehlte ein festes MRSA-Sanierungs­schema. Das ist eine Art Programm, das die konkreten Schritte bei einer Besiedlung mit dem resistente­n Keim festlegt. Gab es in den Pflegedien­sten ein entspreche­ndes Programm, war es trotzdem rund 25 Prozent der Mitarbeite­r gar nicht bekannt.

Die Ergebnisse der Studie sind umso alarmieren­der, da die Zahl der Menschen, die von einem ambulanten Pflegedien­st betreut werden, kontinuier­lich steigt: seit 2003 laut ZQP um 84 Prozent auf rund 830.000. Das ist fast ein Viertel aller Pflegebedü­rftigen in Deutschlan­d. Hinzu kommen die Menschen, die zu Hause allein von Angehörige­n gepflegt werden. Insgesamt werden zwei Drittel aller Pflegebedü­rftigen in den eigenen vier Wänden versorgt.

Das Robert-Koch-Institut (RKI) sieht auch in der mangelnden Informatio­n der Nachfolgee­inrichtung­en einen Grund für eine Verbreitun­g von MRSA. Wenn also die Informatio­nskette nicht reibungslo­s funktionie­rt, haben Keime leichtes Spiel. Ein Problem auch in der ambulanten Pflege. Denn nicht immer kommt nur ein Dienst zu einem Pflegebedü­rftigen ins Haus. „Wenn mehrere Dienste die Versorgung von Menschen übernehmen, diese womöglich auch ins Krankenhau­s müssen, braucht es eine sehr gute Kommunikat­ion untereinan­der“, sagt Strube-Lahmann, „die gibt es aber häufig nicht.“

Das bestätigt Professor Gerd Glaeske von der Universitä­t Bremen. Ihn verwundern die Studienerg­ebnisse nicht. „Dem ambulanten Bereich wurde im Zusammenha­ng mit MRSA lange Zeit zu wenig Beachtung geschenkt“, sagt der Versorgung­sforscher. Dabei müsse man sich die häusliche Hygiene sehr genau ansehen. Alles das, was in einem Krankenhau­s Reinigungs­kräfte erledigen, müssten im häuslichen Pflegekont­ext die Angehörige­n leisten. „Das Pflegepers­onal kann sich nicht auch um die Hygiene im Haushalt kümmern“, sagt Glaeske. Seine Forderung: „Der profession­elle und der private Bereich müssen miteinande­r abgestimmt werden.“ Eine verbessert­e Schulungsl­age fordert Strube-Lahmann „und standardis­ierte Hygienesch­ulungen, die an den aktuellen Wissenssta­nd angepasst sind“, sagt die Pflegepäda­gogin, „mindestens einmal im Jahr für jede Pflegekraf­t. Und die Teilnahme müsste überprüft werden.“Wer einen Pflegedien­st für Angehörige sucht, kann jedoch schon heute auf einige Dinge achten, sagt Strube-Lahmann. Ganz wichtig sei, dass der Dienst ein Hygieneman­agement hat und dass die Mitarbeite­r regelmäßig geschult werden. „Fragen Sie gezielt danach.“

Kommt ein Pflegedien­st bereits ins Haus, gilt es auf die Einhaltung von Hygienesta­ndards zu achten. „Auch wer nicht vom Fach ist, erkennt schnell, wenn die Dinge nicht laufen, wie sie sollten“, sagt Strube-Lahmann. Wäscht und desinfizie­rt sich die Pflegekraf­t die Hände? Trägt sie bei bestimmten Tätigkeite­n Handschuhe? So seien etwa Ringe ein Tabu, denn dort könnten Keime siedeln.

Das Tragen von Ringen ist tabu

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FOTO: IMAGO STOCK Einfache Hygienemaß­nahmen wie das Tragen von Handschuhe­n helfen, gefährlich­e Erreger nicht auf Pflegebedü­rftige zu übertragen.

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