Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Die Hoffnung des Nestors
Kjell schüttelt den Kopf. Nein, so war das gewiss nicht gemeint mit dem WM-Slogan, der in Östersund von Häusern, Bussen und Schildern prangt: „A new drama every day“(Täglich ein neues Drama). Als hätte sie das Motto wortwörtlich genommen, war Mona Brorsson am Sonntag unfreiwillig zur Hauptdarstellerin einer sportlichen Tragödie avanciert. Schwedens Zeitungen kannten tags darauf nur ein Thema: „Das Gold, das verschwand“, titelte „Länstidningen“, während „ÖP“vom „großen Wackeln“schrieb und „Svenska Dagbladet“vom „mentalen Kollaps“sowie der „Grausamkeit des Sports“.
Die Gastgeber tragen schwer daran, dass ihr Schützling den Sieg in der Verfolgung beim letzten Schießen verballert hat. 15 Medaillen sind in Östersund bereits verteilt; die ambitionierten Schweden gingen bisher leer aus. Auch Kjell Olofsson hatte sich mehr erhofft und empfindet Mitleid mit Brorsson.
„Aber so ist eben Biathlon“, sagt der Nestor unter den 1350 WM-Helfern. Er feiert in diesen Tagen sein 30-jähriges Jubiläum als Funktionär am Schießstand und könnte ein Buch darüber schreiben, was in dieser Zeit so alles passiert ist.
In den Anfangsjahren hatte der 75-Jährige noch per Hand die Ziele aufbauen und mit Heuballen versehen müssen. Diese dienten hinter den Metallscheiben als Schutz. Heute staunt er nicht selten über den technischen Fortschritt im Biathlon, das längst zu den populärsten Sportarten des Landes gehört.
2018 wurde kein Fußballer, Skilangläufer oder EishockeyProfi zum „Sportler des Jahres“gewählt, sondern die Biathletin Hanna Öberg. Ihren rasanten Aufstieg hat Kjell voller Stolz verfolgt. Und mit ihr verbindet er die große Hoffnung, dass der WM-Bann endlich gebrochen wird. Heute steht nämlich das Einzel an. Jenes Rennen, in dem die Schwedin vor gut einem Jahr sensationell Olympia-Gold gewonnen hatte. Ganz souverän – und ohne Drama.