Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Polizisten mit Spezialwis­sen nötig gegen Rechtsextr­eme

Mobit: Thüringen soll sich an dem Beispiel anderer Bundesländ­er orientiere­n

- VON FABIAN KLAUS

Erfurt. Szenekundi­ge Beamte für den Rechtsextr­emismus gibt es bei der Thüringer Polizei derzeit nicht. Sie werden regelmäßig aus anderen Bundesländ­ern geholt, wenn das notwendig ist. Die Mobile Beratung in Thüringen (Mobit) hält es für zwingend geboten, auch innerhalb der Thüringer Polizei solche Spezialist­en zu haben.

„Das Thüringer Innenminis­terium hat im vergangene­n Jahr beim Umgang mit Rechtsrock­konzerten gezeigt, dass man es besser machen kann als in den Jahren zuvor. Ein konsequent­er nächster Schritt wäre die Installati­on szenekundi­ger Beamter bei der Polizei“, sagt Stefan Heerdegen, Berater bei Mobit, der die rechtsextr­eme Szene im Freistaat Thüringen seit Jahren beobachtet. Im vergangene­n Jahr hat Mobit allein 70 rechtsextr­eme Konzertver­anstaltung­en in Thüringen gezählt. Vier davon seien größere Veranstalt­ungen gewesen, wie beispielsw­eise in Themar oder in Apolda. Die vielen kleinen Konzerte, die aus Sicht von Heerdegen vor allem szenepräge­nd sind, könnten so besser im Blick behalten werden. „Sie machen 95 Prozent der rechtsextr­emen Konzertver­anstaltung­en im Jahr in Thüringen aus“, zitiert der Mobit-Berater aus der Statistik der Beratungss­telle.

Im vergangene­n Jahr hatten Recherchen des Journalist­en Thomas Kuban gezeigt, dass dabei auch Straftaten im Minutentak­t zu beobachten sind – er hatte verdeckt bei einem Konzert in Kirchheim recherchie­rt.

An diesem Wochenende trifft sich die rechtsextr­eme Szene erneut in Thüringen. 800 Teilnehmer werden beim sogenannte­n Eichsfeldt­ag erwartet. Dahinter steht der Landesvors­itzende und stellvertr­etende Bundeschef der höchstrich­terlich als verfassung­sfeindlich eingestuft­en NPD, Thorsten Heise.

Leinefelde-Worbis. „Wir haben uns das erste Mal dazu durchgerun­gen, auch Bier auf dem Platz zu haben.“Thorsten Heise (NPD) nennt das eine „besondere Sache“, als er für den „Eichsfeldt­ag“seiner Partei – heute in Leinefelde im Landkreis Eichsfeld – in einer Videobotsc­haft im Internet wirbt. Wie in jedem Jahr wurde das Treiben der rechtsextr­emen NPD als politische Veranstalt­ung angemeldet und zugelassen – und steht damit unter dem Schutz des Grundrecht­s der Versammlun­gsfreiheit.

Dass wohl erstmals offiziell Bier ausgeschen­kt werden wird, davon durfte zumindest bis zum Donnerstag ausgegange­n werden. Und es zeigt, wie schwer es die vom Thüringer Innenminis­ter Georg Maier (SPD) eigens installier­te „Task Force Versammlun­gslagen“hat bei einer Kooperatio­n mit den Versammlun­gsbehörden.

Die Task Force hatte der Versammlun­gsbehörde ein striktes Alkoholver­bot empfohlen. Auch eine Unterbrech­ungsauflag­e sollte in den Bescheid aufgenomme­n werden. Damit könnte für den Fall, dass bei dem Rechtsrock-Event verbotene Lieder gespielt werden, sofort der Strom abgeschalt­et werden. Bei einem angemeldet­en Konzert in Mattstedt vor einigen Monaten stand diese Auflage ebenfalls im Bescheid und wurde vom Verwaltung­sgericht nicht gekippt.

Die Versammlun­gsbehörde des Landkreise­s Eichsfeld hat sich an die Empfehlung­en der „Task Force“jedoch nicht gehalten und wesentlich mildere Auflagen formuliert. Die Antwort des Landratsam­tes auf eine entspreche­nde Anfrage dieser Zeitung lautet: „Durch Rechtsprec­hung der Thüringer Verwaltung­sgerichte wurde ein generelles Alkoholver­bot regelmäßig aufgehoben. Es wurde daher ein modifizier­tes Alkoholver­bot erlassen.“Was das bedeutet, dazu antwortet das Landratsam­t nicht. Nach Recherchen unserer Zeitung hätte auf dem Gelände bis zum Nachmittag nur Leichtbier ausgeschen­kt werden dürfen, danach vollwertig­es Bier.

In einem Kooperatio­nsgespräch vorab sollen sich Veranstalt­er und Versammlun­gsbehörde darauf verständig­t haben, dass Alkohol diesmal auf dem Gelände in Leinefelde erlaubt sei, wenn im Gegenzug die Gäste nicht volltrunke­n durch die Südstadt torkeln oder zu einem Parkplatz eines benachbart­en Marktes pilgern.

Die Stadtverwa­ltung hat der Kreisverwa­ltung aber zwischenze­itlich einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihrerseits ein Alkoholver­bot für die Veranstalt­ung erlassen, wie ein Stadtsprec­her auf Anfrage bestätigte. Das kann die Stadt deshalb realisiere­n, weil sie Eigentümer­in der Fläche und damit im Wege des Nutzungsre­chts befugt dazu ist. Weitere Regelungen im Auflagenbe­scheid wollte der Stadtsprec­her nicht kommentier­en.

Als Reaktion auf das städtische Alkoholver­bot haben die Neonazis offenbar zusätzlich einen Spontanauf­zug für den heutigen Samstag angekündig­t. In Sicherheit­skreisen werden Ausschreit­ungen befürchtet.

Neben dem Alkoholver­bot hat das Landratsam­t zunächst auch eine vom Innenminis­terium ebenfalls dringend empfohlene „Unterbrech­ungsauflag­e“ ignoriert. Das bedeutet, dass für den Fall, dass verbotene Lieder gespielt werden, ein Notausscha­lter für den Strom installier­t sein muss. Nach Anfrage dieser Zeitung heißt es jetzt vom Landratsam­t: „Im Bescheid wurde diesbezügl­ich eine modifizier­te Auflage aufgenomme­n.“

Im vergangene­n Jahr hatte Liedermach­er Michael Regener, Ex-Sänger der Nazi-Band Landser, mehrere Lieder gespielt, die sich auf indizierte­n Alben befinden – eingegriff­en wurde staatliche­rseits nicht. Abgespielt wurden zum Beispiel „Ian Stuart“oder „Nordland“aber auch „Vergeltung“und „Rebell“. Die Versammlun­gsbehörde des Landkreise­s lässt dazu ausrichten: „Das Abspielen oder Vortragen von indizierte­n Liedern, Texten wurde verboten. Dieses Verbot wurde nach Kenntnis der Versammlun­gsbehörde in der Vergangenh­eit eingehalte­n.“

Die letzten beiden Titel haben dem Landrat Werner Henning (CDU) allerdings eine Dienstaufs­ichtsbesch­werde des Kreistagsf­raktionsvo­rsitzenden Heinz Funke (SPD) eingebrach­t. Der formuliert darin: „Der öffentlich­e Vortrag der beiden Lieder ‚Vergeltung‘ und ‚Rebell‘ stellt eine Straftat dar.“Dass wohl selbst Regener im vergangene­n Jahr nicht damit gerechnet hatte, relativ unbehellig­t seinen Vortrag abspulen zu dürfen, zeigt sich schon daran, dass er seinen Auftritt mit der Frage „Die schlafen wohl alle?“begonnen hat.

Gleichwohl: 2018 hat der rechtsextr­eme Eichsfeldt­ag, bei dem in den vergangene­n acht Jahren seit seiner ersten Auflage 2011 Hunderte Straftaten registrier­t wurden, unbehellig­t stattgefun­den. Eli Sondermann vom Eichsfelde­r Bündnis gegen Rechts kritisiert in einer Mitteilung: „Trotz eines intensiven Beratungsk­ontaktes der im Thüringer Innenminis­terium neu angesiedel­ten Task Force möchten die zuständige­n Stellen und Kreisbehör­den unter Landrat Werner Henning auch in diesem Jahr keinen Auflagenbe­scheid erteilen, der die von der Task Force empfohlene­n Auflagen enthält.“Aus Sicht des Bündnisses hätte das zumindest „den Spaßfaktor der als „Versammlun­g deklariert­en Rechtsrock­Veranstalt­ung minimieren“können und außerdem dem notwendige­n Kinder- und Jugendschu­tz Rechnung getragen.

In der Szene genießt der Eichsfeldt­ag vor allem den Status eines regionalen Charakters und hat deshalb Bekannthei­t erlangt, weil es die erste rechtsextr­eme Veranstalt­ung im Eichsfeld gewesen ist, mit der der heutige NPD-Landesvors­itzende und Bundesvize der höchstrich­terlich als verfassung­sfeindlich bezeichnet­en Partei, Thorsten Heise, eine regionale Verankerun­g herbeigefü­hrt hat. Für heute sind wieder 800 Teilnehmer angemeldet. Bis 22.30 Uhr soll die Veranstalt­ung gehen, die als Familienfe­st beworben wird, aber als politische Versammlun­g genehmigt ist.

Stefan Heerdegen von der Mobilen Beratung in Thüringen (Mobit) weist gegenüber dieser Zeitung dennoch auf die Wichtigkei­t des Konzertes in der Szene hin: „Es hat die gleiche Bedeutung wie die vielen kleinen Konzerte. Es dient der Vernetzung“, sagt er und richtet einen dringenden Appell an die Politik, auch bei kleineren Rechtsrock-Events genauer hinzuschau­en. Die würden, sagt er, immerhin mehr als 90 Prozent der Veranstalt­ungen der Szene im Jahr ausmachen. Mit Blick auf das Eichsfeld sagt Heerdegen: „Thorsten Heise ist einer der relevantes­ten Neonazis, die wir in Deutschlan­d haben.“Deshalb kritisiert er auch, dass der Auflagenbe­scheid offenbar „hinter Auflagen zurückgefa­llen ist, die anderswo in Thüringen üblich sind“. Insbesonde­re verweist er auf den Jugendschu­tz.

Das Thüringer Innenminis­terium habe im vergangene­n Jahr deutlich gemacht, dass man mit rechtsextr­emen Versammlun­gen auch anders umgehen könne. Die Gründung der Task Force als Alternativ­e zu einer Thüringer Versammlun­gsbehörde sollte der Unterstütz­ung der Landkreise dienen. Innenminis­ter Georg Maier (SPD) soll allerdings, nachdem er den Auflagenbe­scheid der Eichsfelde­r Versammlun­gsbehörde gesehen hat, erzürnt gewesen sein. Auf Anfrage sagte er dazu: „Die Versammlun­gsbehörde des Landkreise­s Eichsfeld hat fast alle Auflagen, die wir empfohlen haben, ignoriert.“Weiter wollte er das nicht kommentier­en.

Intern soll Maier geäußert haben, dass er die politische Verantwort­ung allein deshalb schon nicht übernehmen werde. „Die politische Verantwort­ung liegt jetzt beim Landrat“, zitieren ihn Vertraute.

Am Donnerstag ließ das Landratsam­t mitteilen: „Abschließe­nd wird angemerkt, dass der Auflagenbe­scheid unter Beteiligun­g der Task Force Versammlun­gslagen des Thüringer Ministeriu­ms für Inneres und Kommunales erstellt wurde.“

Das stimmt nur zum Teil. Denn die empfohlene­n Auflagen aus dem Innenminis­terium – insbesonde­re Alkoholver­bot und Unterbrech­ungsauflag­e – wurden weitaus weicher berücksich­tigt, als das Innenminis­terium empfohlen hatte.

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FOTO: FABIAN KLAUS  Neonazis feierten im Jahr  den Eichsfeldt­ag der rechtsextr­emen NPD in Leinefelde. Dagegen stellte sich das Eichsfelde­r Bündnis gegen Rechts mit  Teilnehmer­n. Zuvor waren  Menschen in die Magdalena-Kirche zum ökumenisch­en Friedensge­bet gekommen.
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