Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Polizisten mit Spezialwissen nötig gegen Rechtsextreme
Mobit: Thüringen soll sich an dem Beispiel anderer Bundesländer orientieren
Erfurt. Szenekundige Beamte für den Rechtsextremismus gibt es bei der Thüringer Polizei derzeit nicht. Sie werden regelmäßig aus anderen Bundesländern geholt, wenn das notwendig ist. Die Mobile Beratung in Thüringen (Mobit) hält es für zwingend geboten, auch innerhalb der Thüringer Polizei solche Spezialisten zu haben.
„Das Thüringer Innenministerium hat im vergangenen Jahr beim Umgang mit Rechtsrockkonzerten gezeigt, dass man es besser machen kann als in den Jahren zuvor. Ein konsequenter nächster Schritt wäre die Installation szenekundiger Beamter bei der Polizei“, sagt Stefan Heerdegen, Berater bei Mobit, der die rechtsextreme Szene im Freistaat Thüringen seit Jahren beobachtet. Im vergangenen Jahr hat Mobit allein 70 rechtsextreme Konzertveranstaltungen in Thüringen gezählt. Vier davon seien größere Veranstaltungen gewesen, wie beispielsweise in Themar oder in Apolda. Die vielen kleinen Konzerte, die aus Sicht von Heerdegen vor allem szeneprägend sind, könnten so besser im Blick behalten werden. „Sie machen 95 Prozent der rechtsextremen Konzertveranstaltungen im Jahr in Thüringen aus“, zitiert der Mobit-Berater aus der Statistik der Beratungsstelle.
Im vergangenen Jahr hatten Recherchen des Journalisten Thomas Kuban gezeigt, dass dabei auch Straftaten im Minutentakt zu beobachten sind – er hatte verdeckt bei einem Konzert in Kirchheim recherchiert.
An diesem Wochenende trifft sich die rechtsextreme Szene erneut in Thüringen. 800 Teilnehmer werden beim sogenannten Eichsfeldtag erwartet. Dahinter steht der Landesvorsitzende und stellvertretende Bundeschef der höchstrichterlich als verfassungsfeindlich eingestuften NPD, Thorsten Heise.
Leinefelde-Worbis. „Wir haben uns das erste Mal dazu durchgerungen, auch Bier auf dem Platz zu haben.“Thorsten Heise (NPD) nennt das eine „besondere Sache“, als er für den „Eichsfeldtag“seiner Partei – heute in Leinefelde im Landkreis Eichsfeld – in einer Videobotschaft im Internet wirbt. Wie in jedem Jahr wurde das Treiben der rechtsextremen NPD als politische Veranstaltung angemeldet und zugelassen – und steht damit unter dem Schutz des Grundrechts der Versammlungsfreiheit.
Dass wohl erstmals offiziell Bier ausgeschenkt werden wird, davon durfte zumindest bis zum Donnerstag ausgegangen werden. Und es zeigt, wie schwer es die vom Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) eigens installierte „Task Force Versammlungslagen“hat bei einer Kooperation mit den Versammlungsbehörden.
Die Task Force hatte der Versammlungsbehörde ein striktes Alkoholverbot empfohlen. Auch eine Unterbrechungsauflage sollte in den Bescheid aufgenommen werden. Damit könnte für den Fall, dass bei dem Rechtsrock-Event verbotene Lieder gespielt werden, sofort der Strom abgeschaltet werden. Bei einem angemeldeten Konzert in Mattstedt vor einigen Monaten stand diese Auflage ebenfalls im Bescheid und wurde vom Verwaltungsgericht nicht gekippt.
Die Versammlungsbehörde des Landkreises Eichsfeld hat sich an die Empfehlungen der „Task Force“jedoch nicht gehalten und wesentlich mildere Auflagen formuliert. Die Antwort des Landratsamtes auf eine entsprechende Anfrage dieser Zeitung lautet: „Durch Rechtsprechung der Thüringer Verwaltungsgerichte wurde ein generelles Alkoholverbot regelmäßig aufgehoben. Es wurde daher ein modifiziertes Alkoholverbot erlassen.“Was das bedeutet, dazu antwortet das Landratsamt nicht. Nach Recherchen unserer Zeitung hätte auf dem Gelände bis zum Nachmittag nur Leichtbier ausgeschenkt werden dürfen, danach vollwertiges Bier.
In einem Kooperationsgespräch vorab sollen sich Veranstalter und Versammlungsbehörde darauf verständigt haben, dass Alkohol diesmal auf dem Gelände in Leinefelde erlaubt sei, wenn im Gegenzug die Gäste nicht volltrunken durch die Südstadt torkeln oder zu einem Parkplatz eines benachbarten Marktes pilgern.
Die Stadtverwaltung hat der Kreisverwaltung aber zwischenzeitlich einen Strich durch die Rechnung gemacht und ihrerseits ein Alkoholverbot für die Veranstaltung erlassen, wie ein Stadtsprecher auf Anfrage bestätigte. Das kann die Stadt deshalb realisieren, weil sie Eigentümerin der Fläche und damit im Wege des Nutzungsrechts befugt dazu ist. Weitere Regelungen im Auflagenbescheid wollte der Stadtsprecher nicht kommentieren.
Als Reaktion auf das städtische Alkoholverbot haben die Neonazis offenbar zusätzlich einen Spontanaufzug für den heutigen Samstag angekündigt. In Sicherheitskreisen werden Ausschreitungen befürchtet.
Neben dem Alkoholverbot hat das Landratsamt zunächst auch eine vom Innenministerium ebenfalls dringend empfohlene „Unterbrechungsauflage“ ignoriert. Das bedeutet, dass für den Fall, dass verbotene Lieder gespielt werden, ein Notausschalter für den Strom installiert sein muss. Nach Anfrage dieser Zeitung heißt es jetzt vom Landratsamt: „Im Bescheid wurde diesbezüglich eine modifizierte Auflage aufgenommen.“
Im vergangenen Jahr hatte Liedermacher Michael Regener, Ex-Sänger der Nazi-Band Landser, mehrere Lieder gespielt, die sich auf indizierten Alben befinden – eingegriffen wurde staatlicherseits nicht. Abgespielt wurden zum Beispiel „Ian Stuart“oder „Nordland“aber auch „Vergeltung“und „Rebell“. Die Versammlungsbehörde des Landkreises lässt dazu ausrichten: „Das Abspielen oder Vortragen von indizierten Liedern, Texten wurde verboten. Dieses Verbot wurde nach Kenntnis der Versammlungsbehörde in der Vergangenheit eingehalten.“
Die letzten beiden Titel haben dem Landrat Werner Henning (CDU) allerdings eine Dienstaufsichtsbeschwerde des Kreistagsfraktionsvorsitzenden Heinz Funke (SPD) eingebracht. Der formuliert darin: „Der öffentliche Vortrag der beiden Lieder ‚Vergeltung‘ und ‚Rebell‘ stellt eine Straftat dar.“Dass wohl selbst Regener im vergangenen Jahr nicht damit gerechnet hatte, relativ unbehelligt seinen Vortrag abspulen zu dürfen, zeigt sich schon daran, dass er seinen Auftritt mit der Frage „Die schlafen wohl alle?“begonnen hat.
Gleichwohl: 2018 hat der rechtsextreme Eichsfeldtag, bei dem in den vergangenen acht Jahren seit seiner ersten Auflage 2011 Hunderte Straftaten registriert wurden, unbehelligt stattgefunden. Eli Sondermann vom Eichsfelder Bündnis gegen Rechts kritisiert in einer Mitteilung: „Trotz eines intensiven Beratungskontaktes der im Thüringer Innenministerium neu angesiedelten Task Force möchten die zuständigen Stellen und Kreisbehörden unter Landrat Werner Henning auch in diesem Jahr keinen Auflagenbescheid erteilen, der die von der Task Force empfohlenen Auflagen enthält.“Aus Sicht des Bündnisses hätte das zumindest „den Spaßfaktor der als „Versammlung deklarierten RechtsrockVeranstaltung minimieren“können und außerdem dem notwendigen Kinder- und Jugendschutz Rechnung getragen.
In der Szene genießt der Eichsfeldtag vor allem den Status eines regionalen Charakters und hat deshalb Bekanntheit erlangt, weil es die erste rechtsextreme Veranstaltung im Eichsfeld gewesen ist, mit der der heutige NPD-Landesvorsitzende und Bundesvize der höchstrichterlich als verfassungsfeindlich bezeichneten Partei, Thorsten Heise, eine regionale Verankerung herbeigeführt hat. Für heute sind wieder 800 Teilnehmer angemeldet. Bis 22.30 Uhr soll die Veranstaltung gehen, die als Familienfest beworben wird, aber als politische Versammlung genehmigt ist.
Stefan Heerdegen von der Mobilen Beratung in Thüringen (Mobit) weist gegenüber dieser Zeitung dennoch auf die Wichtigkeit des Konzertes in der Szene hin: „Es hat die gleiche Bedeutung wie die vielen kleinen Konzerte. Es dient der Vernetzung“, sagt er und richtet einen dringenden Appell an die Politik, auch bei kleineren Rechtsrock-Events genauer hinzuschauen. Die würden, sagt er, immerhin mehr als 90 Prozent der Veranstaltungen der Szene im Jahr ausmachen. Mit Blick auf das Eichsfeld sagt Heerdegen: „Thorsten Heise ist einer der relevantesten Neonazis, die wir in Deutschland haben.“Deshalb kritisiert er auch, dass der Auflagenbescheid offenbar „hinter Auflagen zurückgefallen ist, die anderswo in Thüringen üblich sind“. Insbesondere verweist er auf den Jugendschutz.
Das Thüringer Innenministerium habe im vergangenen Jahr deutlich gemacht, dass man mit rechtsextremen Versammlungen auch anders umgehen könne. Die Gründung der Task Force als Alternative zu einer Thüringer Versammlungsbehörde sollte der Unterstützung der Landkreise dienen. Innenminister Georg Maier (SPD) soll allerdings, nachdem er den Auflagenbescheid der Eichsfelder Versammlungsbehörde gesehen hat, erzürnt gewesen sein. Auf Anfrage sagte er dazu: „Die Versammlungsbehörde des Landkreises Eichsfeld hat fast alle Auflagen, die wir empfohlen haben, ignoriert.“Weiter wollte er das nicht kommentieren.
Intern soll Maier geäußert haben, dass er die politische Verantwortung allein deshalb schon nicht übernehmen werde. „Die politische Verantwortung liegt jetzt beim Landrat“, zitieren ihn Vertraute.
Am Donnerstag ließ das Landratsamt mitteilen: „Abschließend wird angemerkt, dass der Auflagenbescheid unter Beteiligung der Task Force Versammlungslagen des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales erstellt wurde.“
Das stimmt nur zum Teil. Denn die empfohlenen Auflagen aus dem Innenministerium – insbesondere Alkoholverbot und Unterbrechungsauflage – wurden weitaus weicher berücksichtigt, als das Innenministerium empfohlen hatte.