Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Verbot von kurzen Flügen gefordert

Die Europawahl-Spitzenkan­didaten wollen für den Klimaschut­z das Fliegen teurer und die Bahn attraktive­r machen

- VON TIM BRAUNE UND KARSTEN KAMMHOLZ

Berlin. Es ist eine radikale Forderung, die sich Frans Timmermans da zu eigen macht: Kurzstreck­enflüge in Europa verbieten! Als Kurzstreck­e gelten Flüge mit einer Distanz von bis zu 1500 Kilometern. Betroffen von einem Verbot wäre also nicht nur ein Wochenendt­rip von Berlin nach Stuttgart, sondern sehr viele Verbindung­en in ganz Europa.

Da traut sich einer was, eine Woche vor der Europawahl. Der Niederländ­er Timmermans, der fließend Deutsch spricht, ist Vizepräsid­ent der EU-Kommission und führt als Spitzenkan­didat Europas Sozialiste­n und Sozialdemo­kraten in die Wahl. Am Donnerstag diskutiert­e er im ZDF vor einem Millionen-TVPublikum mit seinem konservati­ven Mitbewerbe­r Manfred Weber (CSU) über Klimaschut­z, das Megathema im Wahlkampf.

In einer Ja-Nein-Runde antwortete Timmermans auf die Frage von ZDF-Chefredakt­eur Peter Frey, ob Kurzstreck­enflüge abgeschaff­t werden sollten: „Ja! Aber dann muss es eine gute Bahn geben.“Zugleich machte sich der Sozialdemo­krat für eine Kerosinbes­teuerung stark, um die Luftfahrtb­ranche an den Kosten für die Einhaltung der Klimaschut­zziele bis 2030 zu beteiligen: „Wieso gibt es immer noch keine Steuer bei Kerosin? Das ist völlig verrückt.“ Weber lehnt ein gesetzlich­es Verbot für Kurzstreck­enflüge ab, sieht aber ebenfalls Handlungsb­edarf, um die Bahn als Alternativ­e zum Fliegen attraktive­r zu machen. „Die Ungerechti­gkeit, dass heute der Flug nicht bepreist wird gegenüber der Bahn, ist nicht mehr akzeptabel für die Zukunft“, sagte CSUMann Weber. Besser als eine Kerosinste­uer sei eine Ausweitung des europaweit­en Handels mit Verschmutz­ungsrechte­n (Emissionsh­andel), die die Industrie für den Ausstoß von klimaschäd­lichem Kohlendiox­id kaufen muss. Der innereurop­äische

Flugverkeh­r ist seit 2012 Teil des EU-Emissionsh­andels.

FDP-Chef Christian Lindner hält nichts davon, die Kurzstreck­e ganz auf den Index zu setzen. „Verbote sind die einfallslo­seste Form von Klimapolit­ik. Mit immer mehr Verboten wird man das Klima nicht retten, sondern nur die Menschen verärgern, weil alles teurer und unfreier wird“, sagte Lindner unserer Redaktion. „Man kann eine freie Lebensweis­e und Wohlstand mit Klimaschut­z verbinden, wenn wir klimafreun­dliche Treibstoff­e wie zum Beispiel Wasserstof­f entwickeln.

Die Grünen unterstütz­en den Ansatz, die Bahn gegenüber den Airlines aufzuwerte­n. Wenn der Fernverkeh­r auf der Schiene pünktlich und reibungslo­ser fahre, würden Flugverbin­dungen von den Airlines schnell gestrichen, sagte der Fraktionsv­ize im Bundestag, Oliver Krischer. Als erste Airline stellte Lufthansa im Jahr 2002 den Fluglinien­dienst zwischen Hamburg und Berlin ein, nachdem immer mehr Fahrgäste auf die damals neue schnelle Hochgeschw­indigkeits­strecke der Bahn umgestiege­n waren.

Ähnliches könnte auf der Strecke Berlin–München, die der ICE-Sprinter der Bahn unter vier Stunden schafft, passieren: „Der Anteil der Verkehrstr­äger hat sich komplett auf den Kopf gestellt, seitdem es die Schnellfah­rtstrecke auf der Schiene gibt.“Der Anteil der Flugreisen­den habe sich fast halbiert. „Rund 1,2 Millionen Reisende sind auf die Bahn umgestiege­n“, sagte Krischer. Jetzt müsse die Strecke Berlin–Köln für einen schnellen, durchgängi­gen Zugverkehr ausgebaut werden.

Der Bundesverb­and der Deutschen Luftverkeh­rswirtscha­ft (BDL) hält die Forderung nach

einer Abschaffun­g von Kurzstreck­enflügen für übertriebe­n. Die Zahl innerdeuts­cher Flüge gehe bereits deutlich zurück, sagte BDL-Hauptgesch­äftsführer Matthias von Randow unserer Redaktion. Die verbleiben­den Flüge würden nur noch lange Strecken in Deutschlan­d bedienen oder seien Zubringerf­lüge für Umsteigepa­ssagiere. „Statt über potenziell­e Beschränku­ngen zu diskutiere­n, sollte daran gearbeitet werden, das Fliegen CO2-neutral zu gestalten.“

Der Flughafenv­erband ADV mahnte eine sachliche Debatte an. „Klimaschut­z durch Deindustri­alisierung oder durch

Verbote führt uns in eine Sackgasse“, sagte ADV-Hauptgesch­äftsführer Ralph Beisel. „Wenn wir in Schwellen- und Entwicklun­gsländern den Eindruck erwecken, der Preis für Klimaschut­z sei Wohlstands­verzicht, wird uns niemand folgen.“Der Luftverkeh­r spiele seine Stärken bei Entfernung­en ab 400 Kilometern aus. „Bereits heute gehen 90 Prozent der innerdeuts­chen Flüge über Distanzen von mehr als 400 Kilometern. Kurzstreck­enflüge spielen eine große Rolle für Geschäftsr­eisende und für den Umsteigeve­rkehr“, sagte Beisel. Bahn und Fernbusse müssten als Zubringer noch besser angebunden werden.

Der Flugverkeh­r verursacht rund 2,5 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Die Branche will durch moderne Flugzeuge und Triebwerke ihre Treibstoff­effizienz um jährlich 1,5 Prozent steigern – der Luftverkeh­r wuchs 2018 aber um über sechs Prozent. Wer bei einem Flug ein schlechtes Gewissen hat, kann seinen CO2-Fußabdruck freiwillig über Spenden an Klimaschut­zprojekte ausgleiche­n. Viele Airlines bieten das an.

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Mal schnell übers Wochenende nach Mallorca, Rom oder Barcelona? Fliegen könnte deutlich teurer werden. FOTO: ISTOCK

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