Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Hier ist noch Platz
„Lasst euch niemals in eine Schublade stecken. Sollte es jemand versuchen, klemmt ihm die Finger ein.“ Volksweisheit
Lexikalisch gesprochen ist eine Schublade ein oben offenes Behältnis, das sich horizontal aus einem Möbelstück herausziehen lässt. Der letzte Punkt markiert den Unterschied zur recht ähnlichen Kiste. Schubladen sparen viel Platz, weil sie bei Nichtbenutzung dezent im Möbelinneren verschwinden. Besonders offensichtlich ist das bei Bettkästen, die einen sonst brach liegenden Raum nutzen. Praktisch ist auch, dass in Schubladen verstaute Gegenstände nicht beziehungsweise kaum einstauben.
1 Frühneuzeitliche Erfindung
Der Vorgänger der heutigen Schublade war ein Regal mit übereinandergestapelten Kisten oder Truhen darin. Mitte des 17. Jahrhunderts wurde diese Aufbewahrungsvariante in Europa zur Kommode weiterentwickelt, die zunächst nur adlige Haushalte schmückte und aus der gegen Ende des Jahrhunderts die Schublade entstand, die in allerlei Varianten die bürgerliche Lebenswelt eroberte.
Der zugehörige Begriff setzt sich aus den Wörtern „Schub“und „Lade“zusammen, was erst einmal äußerst simpel die Funktionsweise beschreibt. Schließlich handelt es sich um eine Lade, die aufgeschoben werden kann. Zugleich steckt das französische Verb „schubladiser“in dem Wort, zu Deutsch „aufschieben“. 2 Vielfältige Formen
Heute sind Schubladen in sämtliche Arten von Möbelstücken integriert – und das in den unterschiedlichsten Ausführungen: mit schlichten oder verschnörkelten Griffen, aus Holz, Blech, Plastik oder festem Karton.
Manche Schubladen verfügen über einen Magnet- oder Federmechanismus und lassen sich durch leichten Druck öffnen und per „Soft-Close“schließen. Oft verringert eine Teleskopschienenführung die Reibung beim Öffnen und Schließen. Insbesondere Schubladen mit Trennblechen oder Einlagen helfen, die Übersicht zu behalten. Geldund Besteckschubladen, Rollcontainer oder Schubladenmagazine in Werkstätten ordnen das Durcheinander.
Die klassische und noch immer am weitesten verbreitete Form einer Schublade ist eckig. Je nach Zweck kann die Innenablage auch die Form einer Mulde haben, um darin zum Beispiel Zucker zu lagern.
Relativ neu dazugekommen sind elektronische Schubladen, die etwa an DVD-Laufwerken angebracht sind und per Knopfdruck oder Mausklick geöffnet werden. Eine oft missverstandene Schublade ist übrigens die unter dem Backofen: Eigentlich als Warmhalteplatz für Speisen gedacht bleibt sie häufig leer oder wird als Stauraum für selten benutzte Küchenutensilien zweckentfremdet. 3 Behältnis für alles
Eine spezielle Art von Schublade, die wohl jeder zu Hause hat, ist eine Schublade voller Krimskrams und Sonstigem. Darin stecken üblicherweise Gegenstände wie Scheren, Tacker oder Stifte, Quittungen, Streichhölzer, abgefallene Knöpfe – eben alles, was sonst nirgendwo Platz findet.
Die Anordnung in solchen Laden ist oft chaotisch, bis die regelmäßiger benötigten Dinge mit der Zeit nach oben wandern, während selten Benutztes verschüttgeht. Wo Schubladen eigentlich beim Sortieren helfen sollen, tanzt die KrimskramsSchublade aus der Reihe. Wenn man so will, ist sie die Anarchistin unter den Laden.
Im Zuge der Digitalisierung hat sich ein virtuelles Äquivalent solcher Behältnisse herausgebildet, nämlich ein Ordner mit diversen Dateien, die in der Ablagestruktur sonst keinen Platz finden. Anders als beim analogen Vorbild lässt sich das Durcheinander aber alphabetisch oder nach Erstellungsdatum auflisten. 4 Geheimer Inhalt
Eine sehr praktische Sache an Schubladen ist, dass darin verstaute Gegenstände aus dem Blickfeld der anderen verschwinden. Nicht umsonst öffnen Filmschurken oft heimlich eine Schublade, um mit einer darin versteckten Waffe aufzutrumpfen.
Die häufig an alten Schreibtischen angebrachten verschließbaren Schubladen unterstreichen diesen Effekt noch.
Auch Geheimfächer oder doppelte Böden sind gerade für antike Laden typisch, wobei in früheren Zeiten gern ein offensichtlich platziertes Geheimfach angebracht wurde, das vom eigentlichen Versteck ablenken sollte. 5 Schubladendenken
Dank ihrer simplen und landläufig bekannten Funktionsweise hat die Schublade auch Eingang ins Sprichwörtliche gefunden. Die negativ konnotierte Wendung, dass etwas oder jemand „in eine Schublade gesteckt“wird, meint das rasche Vorverurteilen von Sachverhalten oder Menschen. In Abgrenzung zur Bildung von Kategorien, die für die Orientierung in einer komplexen Welt nötig sind, betont das sogenannte Schubladendenken die vorschnelle und zu starre Art der Einteilung, die überdies selten revidiert wird.
Umgangssprachlich meint die Redensart „unterste Schublade“ein besonders niveauloses Verhalten.
Und dann gibt es da noch die Wendung, dass ein Text – trotz anfänglich anderer Intention – „für die Schublade“geschrieben wurde.
Dieser Artikel ist davon augenscheinlich nicht betroffen.