Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Antibiotika immer häufiger ohne Wirkung
Die Zahl der Resistenzen nimmt zu, warnt die WHO. Viele Medikamente werden falsch verschrieben. Ihr Einsatz soll nun reguliert werden
Eine Medizin wie vor hundert Jahren, als schon kleine Infekte lebensgefährlich sein konnten – vor diesem Szenario warnen Experten schon seit Jahren. Denn eine der wichtigsten Errungenschaften in der Medizingeschichte droht ihre Wirkung zu verlieren: das Antibiotikum. Immer häufiger wirken die eingesetzten Präparate nicht, weil Erreger resistent geworden sind. 33.000 Menschen sterben laut einer Auswertung des Europäischen Netzwerks zur Beobachtung antimikrobieller Resistenzen (EARS-Net) jedes Jahr deswegen allein in Europa. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) möchte den Einsatz von Antibiotika künftig besser regulieren. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie gefährlich sind Antibiotikaresistenzen?
Ein Bakterium, das gegen Antibiotika resistent ist, ist nicht per se gefährlich. Viele Menschen tragen solche Erreger auf der Haut oder zum Beispiel im Rachenraum und erkranken nicht. Erst wenn ein resistenter Keim zum Beispiel über eine Wunde in den Körper gelangt, kann er gefährlich, sogar lebensbedrohlich werden – besonders für ältere Menschen oder Menschen mit einem geschwächten Immunsystem. In Deutschland sterben laut EARS-Net jedes Jahr mehr als 2300 Menschen an einer Infektion, gegen die es keine oder nur wenige wirksame Antibiotika gibt.
Was ist eine Antibiotikaresistenz?
Sie ist ein Abwehrmechanismus von Bakterien und eigentlich etwas Natürliches. Sie folgt der darwinschen Evolutionstheorie des „Survival of the Fittest“: Die am besten angepassten Individuen überleben. Setzt man Bakterien also einer Bedrohung aus, etwa einem Antibiotikum, wird ein Teil der Erreger über kurz oder lang durch kleine Veränderungen im Erbgut Abwehrmechanismen entwickeln. Werden die resistenten Erreger dann verbreitet und weiteren Antibiotika ausgesetzt, können sich die sogenannten multiresistenten Erreger bilden, gegen die im schlimmsten Fall keines der zur Verfügung stehenden Antibiotika mehr wirkt.
Wie lassen sich Resistenzen verhindern?
Einerseits müsste man dem natürlichen Prozess der Anpassung immer wieder neue Wirkstoffe entgegensetzen. Doch die Entwicklung neuer Antibiotika kommt zu langsam voran. „Umso wichtiger ist ein sachgemäßer Umgang mit den vorhandenen Präparaten“, sagt Siegfried Throm vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa). „So schnell können Forscher gar keine neuen Medikamente entwickeln, wie ein unsachgemäßer Gebrauch Schaden anrichtet.“
Der unsachgemäße Gebrauch ist laut WHO in vielen Ländern ein Problem. So würden mehr als die Hälfte der Antibiotika falsch eingesetzt. Indem sie etwa zu häufig oder zu kurz eingenommen werden. Oder gegen Erreger, gegen die sie nichts ausrichten können. Denn Antibiotika wirken nur gegen Bakterien, nicht etwa gegen Viren. „Besonders
für Infekte der Atemwege sind in neun von zehn Fällen Viren verantwortlich“, sagt Dr. Julia Iwen vom Verband der Ersatzkassen und Leiterin des Modellprojekts Resist, das Ärzte und Patienten über das Thema aufklärt. „Trotzdem verschreiben viele Ärzte erst einmal ein Antibiotikum.“Die Bakterien im Körper des Patienten werden also unnötig dem Bakterienkiller ausgesetzt – und entwickeln Abwehrmechanismen. Braucht der Patient beim nächsten Mal tatsächlich ein Antibiotikum, wirkt es unter Umständen nicht mehr.
Wie will die WHO den Einsatz von Antibiotika regulieren? Sie teilt die verschiedenen Antibiotika in drei Kategorien ein. In der ersten Kategorie benennt sie Mittel, die bei ernsthaften Infektionen eingesetzt werden sollen und nur gegen ganz bestimmte Erreger wirken – also keine sogenannten Breitbandantibiotika, die gegen eine Vielzahl von Bakterien wirken. „Diese Mittel sollten bei bakteriellen Infektionen im Vergleich zu Antibiotika der anderen Gruppen häufiger eingesetzt werden“, sagt Sebastian Haller vom Robert KochInstitut
(RKI), das der WHO zuarbeitet. Seltener dagegen die Antibiotika der zweiten und dritten Kategorie. Diese sollen Gesundheitssysteme zwar vorhalten, aber nicht immer bei den gängigsten Infektionen verabreichen oder sogar nur als letztes Mittel einsetzen. „Diese sogenannten Reserveantibiotika entscheiden manchmal über Leben und Tod“, sagt Haller. „Deswegen sollten sie nur schwersten Infektionen vorbehalten sein. Sonst gehen uns in Zukunft die Reserven aus.“In Deutschland würden Reserveantibiotika
noch immer zu häufig ohne Notwendigkeit eingesetzt, sagt Haller.
Warum fehlt es an neuen Antibiotika?
Die Entwicklung neuer Antibiotika ist langwierig und teuer. Besonders Reserveantibiotika werden gebraucht – denn die rund 80 auf dem Markt befindlichen Antibiotika helfen bei 90 Prozent der Infektionen. „Gleichzeitig ist es medizinisch und politisch gewollt, dass besonders die Reserveantibiotika möglichst wenig Anwendung finden“, sagt Siegfried Throm vom vfa. „Mit einem Medikament im Panzerschrank verdient ein Unternehmen aber kein Geld“, sagt der Pharmazeut. Da brauche es Unterstützung aus der Politik.
Was können Patienten tun?
Sie können vor allem sprechen, sagt Julia Iwen von Resist, und das empfiehlt auch die Verbraucherzentrale Hamburg. „Patienten sollten ihren Arzt fragen, warum er ihnen ein Antibiotikum verschreibt“, sagt Iwen. Denn nur wenn der Erreger ein Bakterium ist, kann ein Antibiotikum helfen. Die Verbraucherzentrale empfiehlt außerdem, sich bei der Einnahme genau an die ärztliche Verordnung zu halten. Wird die Einnahme zu früh abgebrochen, können Resistenzen entstehen.
Auch die Erwartungshaltung der Patienten sei ein Thema in ihrem Projekt, sagt Julia Iwen. „Viele kommen mit der Erwartung zum Arzt, dass er für schnelle Heilung sorgt.“Auch der Arzt wisse das und verschreibe vielleicht ein Antibiotikum, obwohl er sich nicht sicher sei, ob der Infekt viral oder bakteriell ist.
„Die Reserveantibiotika entscheiden manchmal über Leben und Tod.“ Sebastian Haller, Robert Koch-Institut