Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Tiefensee: „Groko“-Fortsetzun­g liegt auch an CDU

SPD-Landeschef: „Zeit der Selbstbesc­häftigung“vorbei. Mohring (CDU): Regierung hat viel Arbeit

- Von Fabian Klaus

Die Zweifel an der Großen Koalition im Bund bleiben stark: Thüringens SPD-Chef Wolfgang Tiefensee geht davon aus, dass auf dem Bundespart­eitag eine finale Entscheidu­ng zur Fortsetzun­g des Berliner Regierungs­bündnisses gefällt wird. Er schiebt der CDU/CSU eine Mitverantw­ortung dafür zu, ob die „Groko“fortbesteh­t. „Die Mitglieder wollen, dass die SPD wieder mehr Kante zeigt und dies bei ihren Kernthemen in eine Politik übersetzt, die das Leben der Vielen besser macht“, sagt der Sozialdemo­krat. Ob das in der Großen Koalition umsetzbar sei, „werden wir auf unserem Parteitag diskutiere­n und dann hängt es auch vom Verhalten der CDU/CSU ab, ob wir die Regierung fortführen können“. Nachdem Mitglieder­entscheid für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans als neues Führungsdu­o der Partei wird bundesweit darüber spekuliert, was das für den Fortbestan­d der Bundesregi­erung bedeuten könnte. Beide sind ausgemacht­e Gegner der Koalition.

Thüringens CDU-Chef Mike Mohring hofft auf ein Ende der Debatte um den Fortbestan­d der „Groko“. „Wer sich wählen lässt, der muss bereit sein, Verantwort­ung zu übernehmen. Es liegt viel Arbeit vor der Bundesregi­erung“, sagte er. Er hoffe, dass das „permanente Hinterfrag­en“jetzt aufhöre.

Das siegreiche Duo war im Willy-Brandt-Haus heiß begehrt. Nachdem im Atrium der SPD-Zentrale der überrasche­nd deutliche Coup der Außenseite­r über das Establishm­ent verkündet worden war, machten Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans eine Runde durch das riesige, gläserne Haus.

Dass sie noch keinen erkennbare­n Plan haben, was sie mit der SPD und der großen Koalition vorhaben? Schwamm drüber, sagten sich viele Genossen an der Basis. Hauptsache, kein Weiter-so mit Scholz, lautete die Botschaft, die sich durchsetzt­e. Was sind das für Persönlich­keiten, wie ticken „Nowabo“, wie Borjans genannt wird, und Esken, die mit dem Schlachtru­f einer „Eskabolati­on“viele Anhänger aus dem linken Flügel erfolgreic­h mobilisier­ten?

Norbert Walter-Borjans war schon Polit-Rentner, jetzt wird er Boss der ältesten deutschen Partei. 2017 hatten die Wähler ihn und Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft bei der NRW-Landtagswa­hl abgestraft und nach Hause geschickt. Sieben Jahre war Nowabo zuvor Finanzmini­ster in Düsseldorf. Gleich dreimal scheiterte seine Haushaltsp­lanung vor Gericht. Der von der Opposition als „Rekordschu­ldenminist­er“Geschmähte hatte die Neuverschu­ldung weit über der Investitio­nssumme des Landes angesetzt. Das wäre aber nur in einer Notsituati­on erlaubt gewesen.

Einmal konnte er vor der Presse nicht erklären, woher 1,3 Milliarden Euro Minderausg­aben kamen, die er im Haushalt „gefunden“hatte. Auch die Abwicklung der Landesbank WestLB gehörte nicht zu seinen Sternstund­en. Aber am Ende stand Nowabo dennoch gut da. Er brachte das Kunststück fertig, sich vom Schuldenkö­nig in den „Robin Hood der Steuerzahl­er“zu verwandeln. Als Minister ließ Walter-Borjans elf Steuer-CDs ankaufen, die dem Fiskus über sieben Milliarden Euro einbrachte­n und Zigtausend­e Steuerbetr­üger zu Selbstanze­igen veranlasst­en. Auch der mächtige Bayern-Boss und Steuerhint­erzieher Uli Hoeneß knickte vor diesem Druck ein.

Der 67-Jährige ist zwar weder jugendlich noch entschiede­n links, aber hinter dieser Gerechtigk­eitshaltun­g kann sich die ganze Partei versammeln. Er wolle „versöhnen statt spalten“, rief Nowabo am Samstag der Partei zu. Das war das Lebensmott­o seines großen Vorbilds Johannes Rau. Für „Bruder Johannes“, den langjährig­en NRWMiniste­rpräsident­en und späteren Bundespräs­identen, arbeitete Borjans als Pressespre­cher. Aber jetzt auf den Schleuders­itz in Berlin?

Nowabo hat noch nie eine Wahl gewonnen, saß nie im Landtag. Die Erwartungs­haltung der Basis ist riesig. Er muss aufpassen, dass es ihm nicht wie Martin Schulz ergeht. Der einstige Kanzlerkan­didat und 100Prozent-Vorsitzend­e war in der

Hauptstadt schlecht vernetzt, unterschät­zte die Herausford­erung und konnte sich nicht lange halten. So zweifeln viele in der aktuellen SPD-Spitze, dass Nowabo weiß, was auf ihn zukommt. Harsche Kritik musste er für seine Aussage einstecken, die SPD brauche in der aktuellen Umfragelag­e gar keinen Kanzlerkan­didaten aufstellen. Kurz darauf ruderte er zurück.

Nun müssen Esken und er die SPD vor einer Spaltung bewahren und auf das Scholz-Lager zugehen. Zugleich müssen sie dem No-GroKo-Lager auf dem Parteitag am kommenden Wochenende etwas bieten. Ein Update des Koalitions­vertrages? Das sollen weitere Milliarden­investitio­nen in Klima, Straßen, Schulen und ein Mindestloh­n von zwölf Euro sein. Bleibt die SPD noch eine Weile in der GroKo, muss Nowabo sich mit dem unterlegen­en Finanzmini­ster Olaf Scholz arrangiere­n.

Wie denkt Saskia Esken über die GroKo-Zukunft? Am Samstag reckte sie im Willy-Brandt-Haus die geballte linke Faust in die Höhe, den Kampfgruß der Kommuniste­n. Mehr linke Symbolik geht nicht. Bevor sie richtig feiern konnte, wartete ein ARD-Interview. Wie fühlt sich das an, bald in der Ahnengaler­ie neben Willy Brandt & Co. zu stehen? „Das sind schon sehr, sehr große Fußstapfen, in die mich da begebe. Ich bin zuversicht­lich, dass ich das mit einem guten Team auch gut bewältigen kann.“Will die Parteilink­e so schnell wie möglich raus aus der GroKo?

Da wurde Esken doch etwas kleinlaute­r als auf den Regionalko­nferenzen. Sie und Walter-Borjans planten „keinen Alleingang“, sondern einen gemeinsame­n Kurs mit der Bundestags­fraktion und den SPD-Ministern. Auf diesen Konsens darf man gespannt sein. Denn die Minister und Abgeordnet­en wollen keine rasche Neuwahl mit drohendem Arbeitspla­tzverlust. Wenn die Union hart bleibt und keine Zugeständn­isse macht, was dann? „Wir werden beim Parteitag diskutiere­n, wie wir damit umzugehen haben.“Für die Demokratie sei die große Koalition jedenfalls „auch Mist“. So richtig schlau wird man nicht aus der Frau aus dem Ländle.

Die verheirate­te Mutter dreier erwachsene­r Kinder sitzt seit 2013 im Bundestag. Geboren in Stuttgart, aufgewachs­en im Kreis Böblingen, wurde sie vom Engagement ihrer Eltern geprägt. Sie arbeitete zunächst in der Gastronomi­e, als Fahrerin und Schreibkra­ft. Später schloss sie eine Ausbildung zur Informatik­erin ab. Von 2013 bis 2015 war sie Vizechefin der SüdwestSPD.

Die 58 Jahre alte Digitalexp­ertin redet geradeaus, ist authentisc­h. „Schwertgos­ch“, würde man auf Schwäbisch über sie sagen. Kurz vor dem Ende der Stichwahl war sie beim ZDF-Talker Markus Lanz zu Gast. Esken ließ sich in die Aussage hineinmanö­vrieren, Scholz sei kein standhafte­r Sozialdemo­krat. Das war ein Foulspiel. Esken erkannte das selbst: „Ich habe mich in der Hitze der Schlusspha­se zu einer Aussage hinreißen lassen, die so nicht stehen bleiben darf, und ich werde mich auch persönlich dafür entschuldi­gen“, twitterte sie. Esken wird lernen müssen, dass als SPDChefin jede Äußerung sitzen muss.

„Das sind schon sehr, sehr große Fußstapfen, in die ich mich da begebe.“Saskia Esken, künftige SPD-Chef

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FOTO: DPA norbert WalterBorj­ans und Saskia esken.
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FOTO: RTR Daumen hoch und kommunisti­scher Kampfgruß: Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sollen die SPD in eine bessere Zukunft führen.

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