Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Es geht um die Wurst

- Bodo Baake

November, Dezember – das war einmal die große Zeit der Hausschlac­htungen. Da wurde die Sau über den Hof gejagt, abgestoche­n und an einer schräg an der Stallwand lehnenden Leiter aufgehängt. Därme mussten entleert werden, Blut war zu rühren. Die „Oh du fröhliche Weihnachts­zeit“begann mit einem Schlachtfe­st. Das war nichts für schwache Nerven, aber so war es nun einmal! Und es war wichtig, denn die Entscheidu­ng, wie die Familie durch den Winter kam, fiel in der Räucherkam­mer. So ist denn die Hausschlac­hterei, wie alles, was wichtig ist, auch mit einem Kranz von Sitten & Bräuchen, Rezepten & Gewürzen umgeben. Was man zum Beispiel mit dem Schweinesc­hwanz anstellt, ob man ihn in die Wurstsuppe gibt oder über die Stalltür nagelt, daran konnte der Jenaer Volkskundl­er Heinz Speerschne­ider Thüringer Kulturkrei­se erkennen. Und wir selbst haben bei einer Schlachtun­g hospitiert, bei der darauf geschworen wurde, dass ein Schuss Weinbrand in die Bratwurst gehört. Noch immer ein wenig benommen davon begrüßen wir jetzt die Bemühungen der Agrarsozia­len Gesellscha­ft e. V, Göttingen, die Hausschlac­htung in das Verzeichni­s des immateriel­len Kulturerbe­s der Unesco aufnehmen zu lassen. Darauf heben wir schon einmal das Glas mit dem alten

Schlachter­toast: Wenn das Schwein am Haken hängt, wird erst mal einer eingeschen­kt! Bevor wir hier aber ins Schunkeln kommen, wollen wir anmerken, dass uns zugleich auch Trauer wie mit Messern ins Herz schneidet. Denn die Aufnahme in eine Erbeliste ist ja auch ein Stück Entrückung. Etwas Lebendiges wird museal, unser Nachbar, der Hausschlac­hter, wird zum Denkmalpfl­eger im Wurstmuseu­m. Aber so ist das Leben, gerade in der Fleisch- und Wurstbranc­he stehen die Zeichen auf Abschied, denn an der Wursttheke drängeln sich Vegetarier und Veganer vor. Tofu-Würstchen und vegetarisc­he Schnitzel sind die Renner. Die Rügenwalde­r Mühle, einer der größten deutschen Fleischver­arbeiter, hat erst im September die Currywurst (!) komplett vom Markt genommen. Und der Firmenchef Godo Röben hat dazu zwei bemerkensw­erte Feststellu­ngen gemacht: Es gibt erstens immer mehr Vegetarier und die Fleisch- und Wurstbranc­he hat es zweitens übertriebe­n. Mit Billig- und Massenprod­ukten, mit Lebensmitt­elskandale­n und Tierquäler­ei. Letzteres sagte er zwar nicht, aber was er sagt, ist: „Es ist an der Zeit, 50 Prozent weniger Tiere zu essen.“Irgendwie gilt der alte Spruch immer noch: Es geht um die Wurst! Aber er ist heute wohl anders gemeint – mehr immateriel­l.

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