Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Wie radikal ist die neue AfD-Spitze?
Die Partei am rechten Rand wählt auf ihrem Parteitag in Braunschweig den Sachsen Tino Chrupalla zum Nachfolger von Alexander Gauland
Es gibt ihn immer noch, den Mann mit dem Hundertmarkschein am Jackett. Wie eine Erinnerung an die Anfangstage der AfD, als das Kernthema der Partei noch der Kampf gegen den Euro war, streift er auf dem Parteitag in Braunschweig durch die Gänge. Sonst ist von dieser Zeit der Partei am Wochenende allerdings nicht mehr viel zu sehen: In Braunschweig präsentiert sich die Partei professioneller, weniger chaotisch als früher – „erwachsen“, wie Alexander Gauland es nennt.
Für den 78-Jährigen war es der letzte Parteitag als Vorsitzender der AfD, und es ist Teil des Erwachsenwerdens der Partei, dass er das Amt so abgeben konnte, wie er sich das vorgestellt hatte – Querschlägern und Unwägbarkeiten zum Trotz. Neuer Co-Parteichef ist seit Sonnabendnachmittag Gaulands Wunschkandidat, Tino Chrupalla. Hinter Chrupalla hatten sich im Vorfeld des Parteitags viele Schwergewichte versammelt: Neben Alexander Gauland sprach sich Alice Weidel für ihn aus, Fraktionschefin und seit diesem Wochenende stellvertretende Parteichefin, auch die „Junge Alternative“und der völkisch-nationalistische „Flügel“standen hinter ihm. Am Ende war es trotzdem recht knapp: Erst in der Stichwahl gegen den Berliner Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio holte der Malermeister aus Sachsen rund 55 Prozent der Stimmen.
Damoklesschwert des Verfassungsschutzes Chrupalla selbst ist kein Mitglied des „Flügels“, in Braunschweig betont er seine Vita als Handwerker und Ostdeutscher und gibt sich als integrierende Figur. Das größte Wählerpotenzial sehe er im bürgerlich-konservativen Lager, erklärt er in seiner Bewerbungsrede. Damit ist er auf Linie mit den Parteistrategen. Die haben längst erkannt, dass das Wählerreservoir am rechten Rand ausgeschöpft ist. Mehr Stimmen gibt es nur in Richtung Mitte – und auch mehr Macht. Und die will die Partei unbedingt: Jörg Meuthen, als Co-Parteichef wiedergewählt, singt am Wochenende das Lied von der „Regierungsfähigkeit“. Die müsse die AfD jetzt bald an den Tag legen, denn um Deutschland stehe es schlecht. „Wir müssen bereit sein, wir müssen gut sein“, sagte Meuthen, auch vor dem Hintergrund einer möglichen Neuwahl.
Über der Partei hängt auch immer noch das Damoklesschwert des Verfassungsschutzes: Seit Anfang des Jahres prüft die Behörde die Verfassungstreue der AfD. Sowohl die Jugendorganisation „Junge Alternative“als auch der völkisch-nationalistische „Flügel“gelten bereits als „Verdachtsfall“für verfassungsfeindliche Tendenzen. Jetzt zeichnet sich ab, dass der „Flügel“schon im nächsten Jahr zum offiziellen Beobachtungsobjekt werden könnte.
Grund also, zumindest verbal eine Brandmauer zu ziehen: Parteichef Meuthen betonte, dass er sein Gesicht nicht für eine Partei hergeben werde, die „schleichend in die Tolerierung extremistischer Positionen abrutscht“. Für eine Rechtsaußenpartei stünde er „nicht zur Verfügung.“Auch Gauland, zum Ehrenvorsitzenden gewählt, mahnt, dass die „Meinungstoleranz“in einer Partei weniger weit sei als die grundgesetzliche Meinungsfreiheit. Und Chrupalla betont, noch bevor er seine Bewerbungsrede beginnt: „Sollte ich heute hier zum Bundesvorstand gewählt werden, werde ich als Erstes mit dafür sorgen, dass solche Leute wie Herr Gedeon nie wieder auf einem Parteitag sprechen werden.“
Niemand macht der Partei die Abgrenzung einfacher als Wolfgang Gedeon. Der Landtagsabgeordnete aus Baden-Württemberg ist bekannt für seine antisemitischen Schriften und Reden. Der Bundesvorstand versucht seit Längerem, ihn loszuwerden, doch das hinderte Gedeon nicht, sich in Braunschweig als Parteichef zu bewerben. Als seine Kandidatur aufgerufen wird, hagelt es in der Halle Buh- und Pfuirufe. Zahlreiche Delegierte halten die roten Abstimmungskarten in die Luft, die Nein bedeuten, einige verlassen den Saal.
Doch das demonstrative Abstrafen eines Außenseiters bedeutet nicht, dass die Partei sich inhaltlich weniger radikal aufstellt. Der „Flügel“, das beweist dieser Parteitag, ist fest in der Machtstruktur der Partei verankert. Und ein Blick in die zweite Reihe zeigt: Von inhaltlicher Mäßigung kann keine Rede sein. So wurde unter anderem Stephan Protschka wieder in den Vorstand gewählt, der derzeit unter anderem wegen geschichtsrevisionistischer Aussagen in der Kritik steht. Neuer Beisitzer im Vorstand ist auch Joachim Paul, der vor wenigen Wochen als Ausschussvorsitzender im Landtag von Rheinland-Pfalz abgewählt wurde, weil er für eine NPD-nahe Zeitschrift geschrieben haben soll.
Stephan Brandner, der wegen antisemitischer und ausländerfeindlicher Äußerungen ebenfalls vor Kurzem seinen Job als Vorsitzender des Rechtsausschusses im Bundestag verloren hat, wurde sogar zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Brandner nutzte seine Bewerbungsrede, um die Demonstranten vor der Halle als „pinken Straßenmob“, „asozialen Gestalten“und „marodierende Straßenbanden“zu bezeichnen. Er bekam 61,9 Prozent der Stimmen und stehende Ovationen.