Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Verdis „Maskenball“: Ehrenmord im Clan-Milieu

Am Theater Gera hat Jörg Behr eine finstere Lesart von Verdis „Maskenball“inszeniert

- Von Wolfgang Hirsch

Ein Bandenkrie­g tobt auf offener Bühne, Salven aus automatisc­hen Waffen gellen durch den nachtschwa­rzen Raum. In Gera hat Regisseur Jörg Behr Verdis „Maskenball“als Sex&Crime-Etüde aus der höfischen Sphäre des 19. Jahrhunder­ts ins Milieu heutiger Unterwelt-Clans übertragen. Leichen pflastern seinen Weg bei dieser Inszenieru­ng, doch sein Konzept geht – mit Abstrichen – auf. Größter Lichtblick an einem düsteren, durchaus demoralisi­erenden Abend: Das Philharmon­ische Orchester spielt unter GMD Laurent Wagners Leitung ziemlich brillant.

Noch während das Vorspiel aus dem Graben süße Liebesmoti­ve mit drohenden Verschwöre­r-Bässen mischt, tritt der Ernstfall ein. Ein Herr in hellblauem Anzug geht unter Qualen zu Boden. Umstehende helfen ihm in seiner Agonie, bis ein freundlich­es Männlein ihm eine lindernde Spritze in die Armvene setzt. Bald ist klar: Der Hellblaue ist Riccardo, der Pate, den seine Konsorten respektvol­l „Conte“, Herzog, nennen, und die Erlösung bringt

Oscar (Miriam Zubieta), sein Dealer, mit einem Schuss Heroin. Später reicht dem Conte die eine oder andere Linie Koks, während seine Gegenspiel­er sich mit Rauchzeug begnügen.

Brutale Umgangsfor­men im Halbwelt-Milieu

Als minimalist­isches Ambiente dient ein stufiges Halbrund (Ausstattun­g: Anna Brandstätt­er), eine Art graues Amphitheat­er, wie man es als Betonskulp­tur auf manchen Innenstadt­plätzen findet. Und Drogen gehören zum (Ab-)Usus in dieser Halbwelt, in der ein Menschenle­ben fast gar nichts zählt. Das Messer sitzt locker, und den Finger hat man nervös schon am Abzug: Wer Schwächen zeigt oder sich unliebsam macht, wird flugs liquidiert. Zum Beispiel Ulrica (Eva-Maria Wurlitzer), die in diesem Reich moralische­r Finsternis ungelitten­e Wahrsageri­n, nachdem sie dem Conte den nahen Tod prophezeit hat: Der erste, der ihm die Hand reiche, werde sich bald als sein Mörder entpuppen. Und Renato, dem Finsterlin­g in stilisiert­em Tarnanzug, der die Pump Gun beständig im Anschlag

hält, traut man diese Bluttat zweifelsfr­ei zu.

Obschon er als rechte Hand des Conte fungiert, hat er auch triftigen Grund, denn Amelia, seine Ehefrau, pflegt eine geheime Beziehung zum Clan-Chef. Das kratzt fatal an der Ganovenehr­e, zumal diese Liebelei so gar nicht platonisch verläuft. Im zweiten Akt sehen wir Amelia und Riccardo in eindeutige­r Kopulation­sstellung turnen, bis zufällige Passanten – Renato und die Verschwöre­r – sie aufstören. Alejandro Lárraga Schleske interpreti­ert den martialisc­hen, gewissenlo­sen Gangster Renato leider recht blass mit dunkel-kehligem Bariton.

Dramaturgi­sche Konsequenz­en für Riccardos Fallhöhe

Amelia erscheint ebenso eindimensi­onal – als Opfer. Als Gangsterbr­aut in einer testostero­ndampfende­n Männerwelt hat sie eh nichts zu bestellen, und ihre Liebesgefü­hle stiften letztlich nur Unheil, indem sie die gemeine Ordnung dieses sozialen Gefüges zerstören. Die kalte Brutalität, mit der Renato sie wegen des One-Night-Stands in nebliger Nacht drangsalie­rt, ist zum Gotterbarm­en,

doch im Vergleich zu jener in authentisc­hen Milieus für die Augen braver Geraer Bürger noch erträglich. Anne Preuß hat mit der schweren Partie hörbar Mühe, bewältigt die Aufgabe im Ganzen aber solide und achtbar.

Riccardo taugt – trotz einiger hübsch gleißender Höhen Isaac Lees – als Sympathief­igur wenig, zumal er von der Regie seiner Fallhöhe beraubt wird. Denn hier wird nicht etwa, wie von Verdi und Eugène Scribe vorgesehen, Renatos (unberechti­gte) Eifersucht für einen politische­n Mord instrument­alisiert. Sondern der Conte stirbt banal und zu Recht. Dass wir Zuschauer Zeugen werden, wie der Geist Ulricas die gemeuchelt­en Toten abholt, verdanken wir offenbar seinem drogenvern­ebelten Blick; der Ausflug in die Schauerrom­antik ist durch die Ästhetik dieser Oper gedeckt.

So verlässt man das Theater nach einem emotional wenig bewegenden Abend. Clan-Kriminalit­ät, so werden die Geraer fragen: Was geht uns das denn an?

Weitere Vorstellun­gen: 27. Dez. und 15. März in Gera, ab 24. Mai in Altenburg

 ?? FOTO: RONNY RISTOK ?? Clan-Chef Riccardo (im blauen Anzug: Isaac Lee) braucht ab und zu einen Schuss Heroin. Oscar (Miriam Zubieta, rechts) ist behilflich.
FOTO: RONNY RISTOK Clan-Chef Riccardo (im blauen Anzug: Isaac Lee) braucht ab und zu einen Schuss Heroin. Oscar (Miriam Zubieta, rechts) ist behilflich.

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