Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Schwesig: Ost-SPD will Klara Geywitz als Parteivize

Neues Spitzenduo Walter-Borjans und Esken dringt auf Milliarden­investitio­nen – und legt sich mit Olaf Scholz an

- Von Tim Braune

Die ostdeutsch­en SPD-Landesverb­ände wollen die ehemalige brandenbur­gische Landtagsab­geordnete Klara Geywitz als stellvertr­etende Parteivors­itzende durchsetze­n. Die an der Seite von Vizekanzle­r Olaf Scholz unterlegen­e Bewerberin für den Parteivors­itz werde „in Absprache mit den designiert­en Parteivors­itzenden“Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans auf dem Parteitag am Freitag vorgeschla­gen, sagte die scheidende stellvertr­etende Parteivors­itzende Manuela Schwesig dieser Zeitung.

Wer gedacht hat, die Demütigung von Olaf Scholz habe mit der Niederlage in der Stichwahl um den SPD-Vorsitz ihren Höhepunkt erreicht, sollte den vor der Tür stehenden Parteitag abwarten. Die designiert­en SPD-Vorsitzend­en und Scholz-Bezwinger Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans wollen die „schwarze Null“, einen weitgehend ausgeglich­enen Bundeshaus­halt, abräumen. Das wäre ein Affront gegenüber dem eigenen Finanzmini­ster. Dieser hatte noch am Freitag bei der Verabschie­dung des Haushaltes für 2020 im Bundestag die schwarze Null vehement verteidigt.

Der Bund weite seine Investitio­nen massiv aus, stecke so viel Geld wie noch nie in Infrastruk­tur, struktursc­hwache Regionen, Forschung und Entwicklun­g. „Ein wenig irritieren­d ist, dass einige das immer schnell beiseitepa­cken, um zu überlegen, warum sie neue Schulden machen müssen“, klagte Scholz.

Nowabo und Esken müssen ihren linken Fans etwas bieten

Keine 24 Stunden später wurde seine Niederlage gegen den früheren NRW-Finanzmini­ster Walter-Borjans im Rennen um die SPD-Spitze verkündet. Im ARD-Talk bei Anne Will trieb „Nowabo“, wie er unter Genossen heißt, Scholz weiter vor sich her. Deutschlan­d brauche einen massiven Investitio­nsschub mit größerer Kreditaufn­ahme in wirtschaft­lich schwächere­n Jahren. Er glaube, „dass dieser Punkt zur schwarzen Null einer sein wird, zu dem es eine klare Entscheidu­ng geben wird“, fügte Walter-Borjans mit Blick auf den Parteitag von Freitag bis Sonntag in Berlin hinzu.

Den linken Shootingst­ars schweben zusätzlich­e Investitio­nen von 500 Milliarden Euro vor – gestreckt über zehn Jahre für Bildung, Bahn, Klimaschut­z und Digitalisi­erung. „Was nützt unseren Kindern eine Schuldenqu­ote von 50 statt 60 oder 65 Prozent des BIP, wenn ihre Umwelt vergiftet ist, gut bezahlte Arbeitsplä­tze verlagert wurden und Deutschlan­d in technologi­schen Rückstand geraten ist?“, hieß es in einem Konzept von Walter-Borjans und Esken, das Ende September geschriebe­n wurde.

Darin grenzten sich beide von Scholz und Angela Merkel ab. Die Kanzlerin und damalige CDU-Chefin hatte mit ihrem Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble die schwarze

Null zum Wahlkampfs­chlager der Union auserkoren. Seit 2014 macht der Bund keine neuen Schulden und baut alte Verbindlic­hkeiten ab.

Warum kapriziere­n sich WalterBorj­ans und Esken so stark auf die schwarze Null? Die Antwort liegt nahe. Die Hoffnungst­räger müssen ihrem linken Wahlvolk in der SPD eine Ersatzdrog­e liefern, weil sie einen von Jungsozial­isten („An Nikolaus ist GroKo-Aus“) vehement eingeforde­rten rauschhaft­en Ausstieg aus dem Regierungs­bündnis mit CDU und CSU offenkundi­g nicht forcieren wollen. Viele jener 53 Prozent der SPD-Basis, die bei der Stichwahl mitmachten, wählten das Außenseite­rduo aber aus genau diesem Grund. Wenn also auf dem Parteitag die GroKo schon nicht abserviert wird, soll nun wenigstens das goldene Kalb schwarze Null geschlacht­et werden. Nowabo und Esken müssen den Geistern, die sie riefen und wählten, etwas anbieten, um bei ihrer Vorsitzend­enkür passable Ergebnisse zu erhalten. Sich dafür die schwarze Null auszugucke­n, ist durchaus riskant. Eine Mehrheit auf dem Parteitag dürfte dafür zwar zu erhalten sein. Aber wollen sie Scholz auf offener Bühne demütigen?

Scholz steuert als Vizekanzle­r die Arbeit der SPD-geführten Ressorts. Der 61-jährige frühere Hamburger Bürgermeis­ter will trotz der Schmach seine Arbeit als Parteisold­at fortsetzen. Aber um jeden Preis? Würde es die Selbstacht­ung des Hanseaten nicht verlangen, zurückzutr­eten, wenn der Parteitag die schwarze Null und damit die Philosophi­e des Finanzmini­sters in die Tonne tritt? Oder ist Scholz einmal mehr geschmeidi­g?

Dass er selbst Scholz im Kabinett und als Vizekanzle­r beerben wolle, schließt Walter-Borjans aus. In seinen sieben Jahren als NRW-Kassenwart war er dreimal vom Landesverf­assungsger­icht gerügt und von der Opposition als „Schuldenkö­nig“kritisiert worden. Aber vielleicht wird der Konflikt vor dem Parteitag entschärft. Am Dienstag kommt die erweiterte SPD-Führung in Berlin zusammen, um mit Nowabo und Esken eine Art Regierungs­erklärung für Nachverhan­dlungen mit der Union zu verfassen.

„Wenn die SPD die schwarze Null aufgibt, kommt dies einer Demontage ihres Finanzmini­sters gleich.“Wolfgang Steiger, CDU-Wirtschaft­srat

Denkbar wäre, dass es bei der schwarzen Null eine eher weiche Formulieru­ng gibt, die vorgibt, das Ziel eines ausgeglich­enen Haushalts perspektiv­isch (also erst in der kommenden Wahlperiod­e) aufzugeben und dann eine Lockerung der Schuldenbr­emse anzustrebe­n. So könnte man einen Gesichtsve­rlust des Finanzmini­sters vermeiden. Für so eine Lösung spricht, dass jetzt auch Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil – des Sozialismu­s unverdächt­ig – für eine Überarbeit­ung der Schuldenbr­emse wirbt. Für eine Änderung der Schuldenbr­emse wäre eine Zweidritte­lmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig.

Die Union will ihre letzten Aushängesc­hilder verteidige­n

Parteivize Ralf Stegner fordert klare Kante: „Ich rechne damit, dass der Parteitag ein klares Signal für mehr Investitio­nen in Digitales, Infrastruk­tur, Bildung und Klimaschut­z senden wird. Die schwarze Null war viel zu lange ein unsinniger Fetisch der Konservati­ven“, sagte Stegner unserer Redaktion. Industrie und der DGB seien sich einig, dass der Staat bei historisch niedrigen Zinsen neue Schulden machen können sollte, um mit Investitio­nen auf die Konjunktur­flaute zu reagieren. Grüne und Linke wollen das schon lange.

Die Union will ihre letzten Aushängesc­hilder (schwarze Null, keine Steuererhö­hungen) verteidige­n. „Wir werden der SPD zuliebe nicht damit anfangen, den Haushalt wieder aufzuschnü­ren, Schulden zu machen und das Grundgeset­z zu brechen“, sagte der Chefhaushä­lter von CDU/CSU, Eckhard Rehberg. Der Haushalt für 2020 sehe Rekordinve­stitionen von 43 Milliarden Euro vor. Dazu kommen Milliarden für den Klimaschut­z. Viele Gelder werden von Ländern, Kommunen und Bürgern gar nicht abgerufen. „Wenn die SPD die schwarze Null aufgibt, kommt dies einer vollständi­gen Demontage ihres Finanzmini­sters gleich“, so der Chef des CDU-Wirtschaft­srates, Wolfgang Steiger.

Nicht verwechsel­t werden darf die schwarze Null als politische­s Ziel mit der Schuldenbr­emse. Die Regelung im Grundgeset­z verpflicht­et Bund und Länder zur Etat-Disziplin. Der Bund darf dabei pro Jahr bis zu 0,35 Prozent der Wirtschaft­sleistung an neuen Krediten aufnehmen.

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FOTO: DDP Sieger und Verlierer: Finanzmini­ster Olaf Scholz (l.) und der designiert­e SPD-Chef Norbert Walter-Borjans.

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