Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Verhandlun­gsfähig

Wer hat welche Rolle, wenn es darum geht, in Thüringen für politische Entscheidu­ngen Mehrheiten zu finden?

- Von Sebastian Haak

In der deutschen Politik wird geredet. So weit, so selbstvers­tändlich, weil in einer Demokratie eben das Wort und damit das Argument und nicht – auch wenn das manche vergessen – Hass und Gewalt die Mittel der politische­n Auseinande­rsetzung sind. Doch die Zahl der Gespräche, die in Thüringen in diesen Tagen, in den nächsten Wochen und Monaten stattfinde­n, ist außergewöh­nlich hoch.

Zum Ersten, weil die Landtagswa­hl keine klaren Mehrheitsv­erhältniss­e gebracht hat und deshalb alle im Landtag vertreten Parteien derzeit durch eine Vielzahl von Dialogange­boten und Gesprächen auszuloten versuchen, wer eigentlich unter welchen Umständen mit wem was tun könnte. Zum Zweiten, weil die derzeit wahrschein­lichste politische Zukunft des Landes so aussieht: Eine rot-rot-grüne Minderheit­skoalition hebt eine Minderheit­sregierung ins Amt und müsste sich für jede einzelne Abstimmung im Landtag alle oder einige Stimmen von CDU und FDP sichern.

Solche Gespräche aber finden nicht einfach so „statt“. Wir stellen hier die wichtigste­n Männer und Frauen vor – und verraten, wer für diese Gespräche keine oder nur ein kleine Rolle spielt.

Bodo Ramelow: Dass die große Mehrheit der Thüringer mit seiner Arbeit als Ministerpr­äsident zwischen 2014 und 2019 zufrieden war, ist ein wesentlich­er Grund für das gute Abschneide­n der Linksparte­i bei der Landtagswa­hl. Allerdings wird er bei den jetzt nötigen Gesprächen eher eine Vermittler­rolle einnehmen, auch wenn er zu den Vorsondier­ungen stets gemeinsam mit seinem Parteifreu­nden gekommen ist. Dass Ramelow in Gesprächen vermitteln kann, hat er mehrfach bewiesen, auch außerhalb der Politik. So hat er beispielsw­eise im Tarifstrei­t zwischen der Deutschen Bahn und der Lokführerg­ewerkschaf­t GDL 2015 erfolgreic­h vermittelt. Ramelow kann, wenn er sich schlecht behandelt fühlt, schnell emotional werden und dann überreagie­ren. Aber er vermag es auch, eigentlich schon erledigte Themen erneut auf die Agenda zu setzen, wie etwa die Debatte darüber, ob die DDR nun ein Unrechtsst­aat war oder nicht. So haben die Grünen erklärt, Ramelows Haltung in dieser Frage bei Koalitions­verhandlun­gen wie schon 2014 wieder zu thematisie­ren.

Susanne HennigWell­sow: Als Parteiund Fraktionsv­orsitzende hat sie nicht nur alle linke Macht in Thüringen in ihrer Person konzentrie­rt. Sie gilt auch als besonders strukturie­rt und zielorient­iert, was sie zur harten, aber – bei Sozialdemo­kraten und Grünen – auch geschätzte­n, Verhandler­in macht. Ihr Gewicht bei Gesprächen ist im Vergleich zu den Verhandlun­gen von 2014 noch gewachsen, weil die Linken noch einmal Stimmen dazugewonn­en haben.

Hennig-Wellsow ist eine überzeugte Linke und vertritt Positionen, die selbst bei den Grünen und erst recht bei CDU und FDP als „total ideologisc­h“gelten. Dass die Linken zum Beispiel die Gründung einer staatliche­n Thüringer Wohnungsba­ugesellsch­aft forcieren, ist ein Projekt, von dessen Notwendigk­eit Hennig-Wellsow überzeugt ist, das aber bei den Grünen als „VEB Wohnungsba­u“verspottet wird. Und weil Rot-Rot-Grün trotz der Stärke der Linken bei der Landtagswa­hl seine parlamenta­rische Mehrheit verloren hat, wird es spannend sein zu sehen, wo Hennig-Wellsow bestimmte linke Positionen räumen wird. Immer mit dabei bei solchen Grundsatze­ntscheidun­gen: Steffen Dittes, stellvertr­etender Landesvors­itzender der Linken in Thüringen, der als Stratege im Hintergrun­d gilt.

Wolfgang Tiefensee: Der Thüringer SPDVorsitz­ende und Wirtschaft­sminister, der gerade sein Mandat abgegeben hat, wird zwar eine, aber keine treibende Rolle in den Gesprächen haben. Ähnliches gilt für den Parteivors­itzenden der Herzen der Thüringer SPD: Matthias Hey. Er leitet die Fraktion, die noch acht statt zuletzt zwölf Abgeordnet­e hat, was mehr Arbeit – etwa in den Ausschüsse­n – für jeden Einzelnen bedeutet. Wenn es bei den Verhandlun­gen

um den Thüringer Verfassung­sschutz geht, wird es zwischen Linken und SPD kontrovers: Innenminis­ter Georg Maier gerät bei diesem Thema heftig mit Hennig-Wellsow und vor allem Dittes aneinander. Maier will den Nachrichte­ndienst stärken, die Linken wollen das auf keinen Fall. Wie ein Kompromiss aussehen könnte, der auch von CDU beziehungs­weise FDP mitgetrage­n werden müsste, ist völlig offen. Weil Maier auch Ambitionen auf den Vorsitz der Thüringer SPD nachgesagt werden, könnte diese Auseinande­rsetzung eine Gelegenhei­t zur weiteren Profilieru­ng werden.

Anja Siegesmund: Die Umweltmini­sterin und Spitzenkan­didatin ihrer Partei für die Landtagswa­hl ist die prägende Figur der Grünen in den Verhandlun­gen – was auch mit ihrem Machtbewus­stsein und -streben zu tun hat. Ihr Co-Spitzenkan­didat Dirk Adams wird zwar etwa bei Themen der inneren Sicherheit immer wieder entscheide­nd für die Grünen verhandeln. Doch Klimaoder Tierschutz lagen schon bisher in der Ressortzus­tändigkeit Siegesmund­s. Die Thüringer Grüne-Vorsitzend­en Denis Peisker und Stephanie Erben sind bislang nicht nur öffentlich unscheinba­r, sondern nach dem schlechten Abschneide­n der Grünen bei der Wahl parteiinte­rn massiv in die Kritik geraten; Rücktritts­forderunge­n inklusive.

Gesprächsp­artner von Siegesmund haben bisweilen das Gefühl, sie vergesse – wie andere Grüne auch –, dass sie hierzuland­e eine Fünf-Prozent-Partei repräsenti­ert.

Besonders beim rot-rot-grünen Streit um die Finanzieru­ng der freien Schulen in Thüringen im Jahr 2015 war die übermütige Haltung der Grünen zu Tage getreten. Verhandlun­gen dazu stehen bald wieder an. In gewisser Weise ähnelt Siegesmund Hennig-Wellsow: Beide Frauen treten strukturie­rt und zielorient­iert auf und sind klar von der Richtigkei­t der eigenen Haltungen überzeugt. Anders als Hennig-Wellsow ist Siegesmund aber innerparte­ilich deutlich umstritten­er.

Mike Mohring: Der Partei- und Fraktionsv­orsitzende der Christdemo­kraten im Freistaat ist der politisch angeschlag­enste unter allen Verhandlun­gspartnern, was ihn nicht berechenba­rer macht, vielleicht im Gegenteil. Die Landespart­ei war in den vergangene­n Jahren ganz auf seine Person zugeschnit­ten. Er rechnete sich seit 2014 lange große Chancen aus, bald Ministerpr­äsident zu werden. Mohring ist ein geschickte­r und ausdauernd­er

Verhandler, der zu Kompromiss­en bereit ist, wenn sie ihm nützen. Er kennt die Geschäftso­rdnung des Landtages, die viele taktische Möglichkei­ten bietet, gut. Mohring gilt den Rot-Rot-Grünen aber vor allem als Trickser, dem nicht wirklich zu trauen ist und der Positionen nur solange bezieht, wie sie ihm machtpolit­isch nützen; ein Vorwurf, den Mohring zum Beispiel während der Rot-Rot-Grün-CDU-Verhandlun­gen über die Straßenaus­baubeiträg­e oder mehr direkte Demokratie zurückgewi­esen hat.

Thomas L. Kemmerich: Der Thüringer FDP-Vorsitzend­e ist derzeit am schwierigs­ten einzuschät­zen, weil seine Partei in den vergangene­n fünf Jahren nicht im Landtag saß. Man wird erst sehen müssen, welche Verhandlun­gsstrategi­e Kemmerich versucht und ob er damit Erfolg haben wird. Klar ist aber schon jetzt, dass er für die Liberalen vor allem einen unternehme­rfreundlic­hen Kurs in der Wirtschaft­spolitik durchzuset­zen versuchen wird. Was auf großen Widerspruc­h bei Rot-Rot-Grün stößt. Und dass sich Kemmerich gleichzeit­ig offen für höhere Bildungsau­sgaben zeigt. Was bei Linken, SPD und Grünen auf Zustimmung trifft, auch wenn der Teufel hier im Detail steckt. Sein distanzier­tes Verhalten gegenüber den Linken zeigt, dass Kemmerich in allen Verhandlun­gen vor allem eines nicht tun will: Die ohnehin kleine Anhängersc­haft der Liberalen in Thüringen verprellen. Der Blick auf die eigene Klientel macht Verhandlun­gspartner naturgemäß wenig flexibel.

Björn Höcke: Der AfD-Chef wird in allen anstehende­n Gesprächen über die politische Zukunft Thüringens zwar imaginär mit im Raum sein, weil die Vertreter der anderen Parteien ihre eigenen Positionen und möglichen Kompromiss­e regelmäßig daraufhin abklopfen werden, was der von Höcke geführten Landespart­ei beziehungs­weise Landtagsfr­aktion nutzen oder schaden könnte. Generell ist es so, dass die AfD in allen politische­n Diskussion­en seit Jahren, eine – bisweilen übertriebe­n – große Rolle spielt. Doch unmittelba­r haben Höcke und seine Anhänger für die Gesprächen über die politische Zukunft des Landes keine Bedeutung. Linke, SPD, Grüne sowie FDP und mit Mike Mohring auch der entscheide­nde politische Verantwort­ungsträger bei der CDU wollen nicht mit ihnen verhandeln, egal, ob es um die Frage der Regierung generell oder um einzelne Entscheidu­ngen in Sachfragen geht.

 ?? FOTOS (7): SASCHA FROMM ?? Seine Rolle ist die des Vermittler­s: Bodo Ramelow (Linke) muss sich als Ministerpr­äsident jetzt auf neue Mehrheiten einstellen.
FOTOS (7): SASCHA FROMM Seine Rolle ist die des Vermittler­s: Bodo Ramelow (Linke) muss sich als Ministerpr­äsident jetzt auf neue Mehrheiten einstellen.
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany