Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Aufstand gegen den „Mafia-Staat“

Malta: Zwei Jahre nach dem Mord an der Journalist­in Daphne Caruana Galizia kommt die Regierung in immer größere Bedrängnis

- Von Bettina Gabbe und Michael Backfisch

„Mafia, Mafia“, „Kriminelle“, „Gerechtigk­eit“. Die Wut der Demonstran­ten bricht sich in diesen Tagen Bahn – auch am Montag wieder. Malta erlebt die schwerste politische Krise seit Jahrzehnte­n. Tausende Menschen in dem kleinsten EU-Land gehen auf die Straße und protestier­en gegen korrupte Politiker und einen „Mafia-Staat“. Sie halten Bilder der ermordeten Investigat­ivjournali­stin Daphne Caruana Galizia hoch. Sie verlangen Gerechtigk­eit für einen Mord, dessen Aufklärung die Regierung in Valletta die letzten zwei Jahre offensicht­lich verschlepp­t hat – wenn sie ihn nicht gar vertuschen wollte. Nach Tagen voller spektakulä­rer Enthüllung­en hat Premiermin­ister Joseph Muscat seinen Rücktritt für Januar angekündig­t.

Caruana Galizia hatte über Geldwäsche recherchie­rt

Caruana Galizia wurde im Oktober 2017 durch eine Autobombe in der Nähe ihres Hauses auf der kleinen Mittelmeer­insel ermordet. Sie hatte in ihrem Blog Korruption und Vetternwir­tschaft in Politik und Wirtschaft des Landes angeprange­rt und zu den sogenannte­n Panama Papers über Steuer- und Geldwäsche-Delikte recherchie­rt. Zwar wurden drei Männer angeklagt, den Mord ausgeführt zu haben. Doch wer waren die Drahtziehe­r? Seit zwei Jahren ist kaum etwas passiert, das zur Aufklärung beigetrage­n hätte.

Nun könnte zumindest ein Hintermann entlarvt werden. Und dies erschütter­t die Regierung bis ins Mark: Denn der Mann hatte auch Kontakte bis in die obersten Schaltstel­len der Macht. Im Zentrum steht der Unternehme­r Yorgen Fenech, der am Sonnabend einer Mittätersc­haft beschuldig­t und angeklagt wurde. Der kahlköpfig­e, Zigaretten rauchende Mann mit Nadelstrei­fenanzug und Sonnenbril­le könnte einem Gangsterfi­lm entsprunge­n sein. Er war auf einer Luxusyacht festgenomm­en worden, als er angeblich flüchten wollte. Er hatte vor, Straffreih­eit gegen Informatio­nen zu dem Mord einzutausc­hen – das blieb ihm verwehrt. Er beteuert seine Unschuld.

Fenech ist Direktor eines Konsortium­s, das 2013 von der Regierung einen Auftrag bekam, ein Gaskraftwe­rk zu bauen. 2018 kam heraus, dass ihm auch die geheime Offshore-Gesellscha­ft 17 Black gehörte. Caruana Galizia hatte Monate vor ihrem Tod über 17 Black geschriebe­n.

Der Gipfel: Fenech will offenbar wissen, dass auch der damalige Kabinettsc­hef des Premiers, Keith Schembri, in den Mord verwickelt war – also einer der engsten Mitarbeite­r Muscats. Schembri wurde auch festgenomm­en, aber wieder freigelass­en. Auch er gibt sich unschuldig. Die Empörung in der Bevölkerun­g

ist riesig. „In dieser unglaublic­hen Woche der Gerechtigk­eit für meine Mutter tauchen immer mehr Beweise auf, dass die mächtigste Figur in der maltesisch­en Regierung an ihrer Ermordung beteiligt war und die Position nutzte, den Mord zu vertuschen“, twitterte Andrew Caruana Galizia.

Auch zwei Minister stolperten über die Affäre: Tourismusm­inister Konrad Mizzi und Wirtschaft­sminister Chris Cardona. Die Enthüllung­sjournalis­tin hatte unter anderem Schembri und Mizzi bezichtigt, Schmiergel­der von Fenech angenommen zu haben.

Drei Männer wurden wegen des Mordes bereits als Täter vor Gericht gestellt. In der Hoffnung auf Straffreih­eit lieferte offenbar ein Taxifahrer den Behörden den Namen Fenechs. Um sich selbst vor Strafverfo­lgung zu schützen, belastet dieser nun seinerseit­s Muscats bisherigen Stabschef Keith Schembri. Der enge Vertraute des Ministerpr­äsidenten

sei der Auftraggeb­er für den Mord an der Journalist­in gewesen, sagte Fenech aus, nachdem Anklage gegen ihn erhoben worden war. Sollte er wegen Mittätersc­haft an dem Mord verurteilt werden, droht dem Geschäftsm­ann eine lebenslang­e Haftstrafe.

Während Fenech in U-Haft sitzt, befindet sich Schembri weiter auf freiem Fuß, obwohl er möglicherw­eise der Auftraggeb­er des Attentats war. Der mittlerwei­le zurückgetr­etene Tourismusm­inister Mizzi fädelte 2013 als Energiemin­ister den millionens­chweren Auftrag für das Gaskraftwe­rk an Fenech mit ein. Auf Facebook betont der Ex-Minister nun seine ungebroche­ne Loyalität gegenüber Premiermin­ister Muscat. Und fügt hinzu: „Unser Projekt ist noch am Leben.“Auf welches Projekt er sich damit bezieht – ob für das Wohl Maltas oder die eigene Bereicheru­ng –, ließ Mizzi offen.

Die Stimmung im Volk kocht. „Die Politik ist auf dem tiefsten Punkt angekommen. Wir hatten gute und schlechte Premiermin­ister, aber niemals eine Regierung, die in einen Auftragsmo­rd verwickelt war“, sagt Autor Manuel Delia, der ein Buch über den Fall geschriebe­n hat. „Malta hat internatio­nal einen so schlechten Ruf wie nie zuvor.“Auch die EU will nun genauer hinschauen. An diesem Dienstag wird eine parteiüber­greifende Gruppe von Europaabge­ordneten in Valletta eintreffen, um sich in dem Mordfall zu informiere­n.

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FOTO: UNCREDITED / DPA Druck der Straße: In Maltas Hauptstadt Valletta werfen Tausende Demonstran­ten ihrer Regierung Vertuschun­g beim Mord an der Enthüllung­sjournalis­tin Daphne Caruana Galizia vor.

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