Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Neuer Ärger in der CDU
Eichsfeld-Landrat rechnet mit seiner Partei ab
Der Eichsfelder CDU-Landrat Werner Henning fordert eine grundlegende Erneuerung seiner Partei auf der Basis christlicher Werte. Falls der CDU eine solche Reform nicht gelinge, bleibe sie ein „Spielfeld für politische Marktschreier“ohne „substanzielle
Glaubwürdigkeit“, schreibt der Kommunalpolitiker in seinem Gastbeitrag. Es stelle sich am Ende auch die Existenzfrage, warnt er davor, dass die CDU im Lande womöglich entbehrlich werde. Henning ist seit Ende 1989 Landrat im katholisch geprägten Eichsfeld. Jüngst warb er für eine Zusammenarbeit mit der Linken im Land.
Die künftige SPD-Doppelspitze aus Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sagt einen raschen Ausstieg aus der großen Koalition ab. Auf dem Parteitag an diesem Freitag, wo die beiden GroKoKritiker nach ihrem Sieg im Mitgliederentscheid als Vorsitzende gewählt werden, soll in der Bewertung der Halbzeitbilanz nicht über den Fortbestand der Bundesregierung abgestimmt werden. Darauf verständigte sich das designierte Führungsduo nach stundenlangen Beratungen gemeinsam mit der engeren Parteiführung, der Spitze der Bundestagsfraktion, den Bundesministern und Ministerpräsidenten. „Klar ist: Wir wollen nicht Hals über Kopf aus der großen Koalition raus“, sagten die designierten CoChefs am Dienstag.
Auf dem Parteitag will die SPD aber zahlreiche Nachforderungen zum Koalitionsvertrag erheben und darüber mit den Spitzen von CDU und CSU verhandeln. Die Bundestagsabgeordnete Esken und der frühere NRW-Finanzminister WalterBorjans hatten die Stichwahl um den Parteivorsitz mit 53 : 45 Prozent gegen Finanzminister Olaf Scholz und Klara Geywitz gewonnen. Viele Parteilinke und der Parteinachwuchs von den Jusos hatten WalterBorjans und Esken in der klaren Erwartung gewählt, dass diese alsbald die Koalition beenden. Davon ist nach Intervention des „Partei-Establishments“nun keine Rede mehr: „Weder der Verbleib in einer Koalition noch der Austritt aus ihr sind ein Selbstzweck. Für uns steht nicht die Frage im Vordergrund, ob wir die Koalition weiterführen oder beenden“, heißt es in einem Entwurf für den Leitantrag der Parteispitze.
Die SPD ist zuversichtlich, der Union Zugeständnisse abzuringen
Die Bürger erwarteten von der SPD „Antworten im Hier und Jetzt“. Die programmatische Weiterentwicklung dürfe die Partei deshalb nicht davon abhalten, „das zu tun, was aktuell geboten ist“. Dafür wolle die SPD die im Koalitionsvertrag verankerte Revisionsklausel nutzen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist zu Gesprächen bereit. CDU-Vize Volker Bouffier reagiert verhalten optimistisch auf die Weichenstellungen der neuen SPD-Führung. „Das ist jedenfalls nicht das, was Kevin Kühnert immer gewollt hat“, sagte Bouffier unserer Redaktion. Die CDU bleibe bei ihrer Linie, dass es für Nachverhandlungen des Koalitionsvertrags keine Notwendigkeit gebe. Ähnlich hatten sich zuvor auch schon CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und CSU-Chef Markus Söder geäußert.
Die SPD ist dennoch zuversichtlich, der Union Zugeständnisse abzuringen, um einen Bruch der Koalition abzuwenden. Im Leitantrag, der am Freitag den Parteitagsdelegierten zur Abstimmung vorgelegt werden soll, heißt es, dass Esken und Walter-Borjans beauftragt werden sollen, „in Abstimmung mit der SPD-Bundestagsfraktion und unseren Ministerinnen und Ministern im Koalitionsausschuss mit CDU/ CSU Gespräche über die neuen Vorhaben zu den beschriebenen aktuellen Herausforderungen zu führen“. Danach werde der Parteivorstand bewerten, „ob die drängenden Aufgaben in dieser Koalition zu bewältigen sind“. Nach Einschätzung aus SPD-Kreisen kann dieser Prozess eher Monate als Wochen dauern.
Für Verärgerung sorgte in der SPD die Ansage von Kramp-Karrenbauer, dass die Grundrenten-Einigung so lange auf Eis liege, bis die SPD sich klar zur Koalition bekenne. Juso-Chef Kevin Kühnert, der Parteivize werden will, sprach von „Erpressung“.
Konkret will die SPD mit der Union höhere Investitionen des Bundes und ein schärferes Klimapaket erreichen. Beim Klima gehen die designierten Vorsitzenden deutlich auf Distanz zu den Ergebnissen, die Finanzminister Olaf Scholz und die kommissarische SPD-Chefin Malu Dreyer mit der Union vereinbart hatten. „Bei der Ausgestaltung des CO2-Preises haben wir eine Steuerlösung in Verbindung mit einer Pro-Kopf-Klimaprämie favorisiert. Das haben wir nicht durchgesetzt. Der Kompromiss ist ein CO2Zertifikatehandelssystem, das aber aufgrund eines Fixpreises bis 2025 wie eine Steuer wirkt. Die soziale Kompensation über die Pendlerpauschale erreicht nur einen Teil der Betroffenen und ist unzulänglich.“Der Bundesrat hatte das vom Bundestag schon beschlossene Klimapaket aufgehalten. Im Vermittlungsausschuss verhandeln nun Bund und Länder. Im Gespräch ist, den CO2-Einstiegspreis von bisher zehn Euro auf 25 Euro pro Tonne anzuheben.
Die schwarze Null steht zur Disposition
In der Finanzpolitik sieht die SPD über zehn Jahre einen zusätzlichen Investitionsbedarf von 450 Milliarden Euro bei Bund, Ländern und Kommunen. Es sei unrealistisch, diese Investitionen allein durch Umschichtung in den bestehenden Etats zu finanzieren. Der Staat dürfe nicht nur nach Kassenlage investieren. „In diesem Sinne dürfen stetige Investitionen nicht an dogmatischen Positionen wie Schäubles schwarzer Null scheitern.“Finanzminister Scholz, der Walter-Borjans und Esken in der Stichwahl unterlag, hat die von seinem CDU-Vorgänger Wolfgang Schäuble geerbte schwarze Null stets verteidigt. Die derzeit gewählte Formulierung könnte dafür sorgen, dass Scholz gesichtswahrend den Parteitag übersteht.
„Weder der Verbleib in einer Koalition noch der Austritt aus ihr sind ein Selbstzweck.“Aus dem Entwurf für den Leitantrag zum Parteitag