Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Auftragskiller aus Russland?
Bundesanwaltschaft übernimmt nach dem Mord an einem Georgier in Berlin die Ermittlungen – Täter agierte offenbar unter falscher Identität
Gleich im ersten Moment soll den Ermittlern etwas aufgefallen sein. Etwas, das ihnen merkwürdig vorkam. Vadim S., der gerade festgenommen wurde, weil er einen Mord begangen haben soll, will nicht mit einem Anwalt sprechen, nicht mit seiner Familie. Sondern mit der russischen Botschaft.
Der russische Staatsbürger Vadim S. wird verdächtigt, Ende August den Georgier Zelimkhan Khangoshvili mitten am Tag im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen zu haben. Schon von Beginn an hatten die Ermittler einen Verdacht: Der Mord könnte politisch motiviert sein. Die Indizienlage aber reichte bislang nicht aus, um den Verdacht zu erhärten. Und der Verdacht ist gravierend: Staatsterrorismus.
Vergleich der biometrischen Daten ergab Ähnlichkeiten
Jetzt steht nach Berichten des „Spiegels“eine Übernahme des Falls durch die Generalbundesanwaltschaft unmittelbar bevor. Recherchen unserer Redaktion bestätigen, dass die Ermittler in Karlsruhe den
Fall übernehmen wollen – womöglich schon in diesen Tagen. Die Strafverfolger haben ausreichend Hinweise für einen Anfangsverdacht gesammelt: Russische staatliche Stellen könnten hinter dem Tiergarten-Mord stecken. Der mutmaßliche Mörder sitzt immer noch in Untersuchungshaft. In Berlin ermittelt die 7. Mordkommission. Nach Informationen unserer Redaktion haben Berliner Ermittler schon länger auf die Übernahme durch den Bundesanwalt gewartet. Viele Hinweise und Indizien, gerade über die Vergangenheit des Täters, könne man auf lokaler Ebene nicht verifizieren.
Und diese Vergangenheit scheint brisant: Denn tatsächlich soll es sich bei Vadim S. um Vadim K. handeln, der eine neue Identität angenommen hat. Dieser entscheidenden Spur gehen die Strafverfolgungsbehörden jetzt nach. Nach Informationen unserer Redaktion soll Vadim K. im Sommer 2013 einen Geschäftsmann in Moskau ermordet haben. Die russischen Sicherheitsbehörden schrieben K. zur internationalen Fahndung aus. Im Juli 2015 aber wird die Fahndung nach Vadim K. offenbar durch die russischen Stellen gelöscht.
Die deutschen Ermittler konnten nun durch einen Vergleich der biometrischen Daten der damaligen Fahndungsbilder eine hohe Ähnlichkeit mit dem in Berlin festgenommenen Tatverdächtigen feststellen – möglicherweise ein entscheidendes Puzzleteil für die bevorstehende Übernahme des Falls durch die Generalbundesanwaltschaft.
„Staatsfeind“Khangoshvili entging offenbar mehreren Mordanschlägen
Auffällig ist auch: Im September 2015, nur wenige Wochen nach der Einstellung der internationalen Fahndung, soll der mutmaßliche Tiergarten-Mörder einen russischen Inlandspass erhalten haben – Vadim S., eine Tarnidentität, um Auftragsmorde zu begehen? Noch etwas fiel den Behörden auf: Kurz vor der Tat war Vadim K. über Paris in die Europäische Union eingereist – und hatte zuvor ein Schengen-Visum beantragt. Auf dem Visumsantrag gibt S. seinen Arbeitgeber an und eine dazugehörige Faxnummer. Es ist offenbar eine Nummer, die Ermittler mehreren russischen Firmen im Energiesektor zuordnen konnten, die unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums stehen. Auch das: auffällig. Ob die Indizien für eine Anklageerhebung reichen, ist derzeit offen.
Khangoshvili galt als „Staatsfeind“. Er selbst hatte bei seinem Asylantrag 2017 bei den deutschen Behörden angegeben, dass mehrfach Mordanschläge auf ihn verübt worden seien, auch zur Zeit, als der gebürtige Tschetschene Khangoshvili in Georgien gelebt habe. Er hatte unter anderem im Tschetschenien-Krieg gegen das russische Militär gekämpft. Als ein Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge den Georgier 2017 fragte, was er befürchte, wenn er zurück nach Russland müsse, soll K. laut einem Bericht von tagesschau.de gesagt haben: „Die russischen Organe werden einen Mord inszenieren.“
Ein Sprecher der russischen Regierung hatte wenige Tage nach der Tat jede Verbindung bestritten. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass der Verdacht naheliegt, dass Putin und seine Regierung einen Auftragsmord verantworten. Auch der Mord an dem Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko oder die Vergiftung Sergej Skripals und dessen Tochter sorgten für internationale Spannungen.