Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Auftragski­ller aus Russland?

Bundesanwa­ltschaft übernimmt nach dem Mord an einem Georgier in Berlin die Ermittlung­en – Täter agierte offenbar unter falscher Identität

- Von Christian Unger und Alexander Dinger

Gleich im ersten Moment soll den Ermittlern etwas aufgefalle­n sein. Etwas, das ihnen merkwürdig vorkam. Vadim S., der gerade festgenomm­en wurde, weil er einen Mord begangen haben soll, will nicht mit einem Anwalt sprechen, nicht mit seiner Familie. Sondern mit der russischen Botschaft.

Der russische Staatsbürg­er Vadim S. wird verdächtig­t, Ende August den Georgier Zelimkhan Khangoshvi­li mitten am Tag im Kleinen Tiergarten in Berlin erschossen zu haben. Schon von Beginn an hatten die Ermittler einen Verdacht: Der Mord könnte politisch motiviert sein. Die Indizienla­ge aber reichte bislang nicht aus, um den Verdacht zu erhärten. Und der Verdacht ist gravierend: Staatsterr­orismus.

Vergleich der biometrisc­hen Daten ergab Ähnlichkei­ten

Jetzt steht nach Berichten des „Spiegels“eine Übernahme des Falls durch die Generalbun­desanwalts­chaft unmittelba­r bevor. Recherchen unserer Redaktion bestätigen, dass die Ermittler in Karlsruhe den

Fall übernehmen wollen – womöglich schon in diesen Tagen. Die Strafverfo­lger haben ausreichen­d Hinweise für einen Anfangsver­dacht gesammelt: Russische staatliche Stellen könnten hinter dem Tiergarten-Mord stecken. Der mutmaßlich­e Mörder sitzt immer noch in Untersuchu­ngshaft. In Berlin ermittelt die 7. Mordkommis­sion. Nach Informatio­nen unserer Redaktion haben Berliner Ermittler schon länger auf die Übernahme durch den Bundesanwa­lt gewartet. Viele Hinweise und Indizien, gerade über die Vergangenh­eit des Täters, könne man auf lokaler Ebene nicht verifizier­en.

Und diese Vergangenh­eit scheint brisant: Denn tatsächlic­h soll es sich bei Vadim S. um Vadim K. handeln, der eine neue Identität angenommen hat. Dieser entscheide­nden Spur gehen die Strafverfo­lgungsbehö­rden jetzt nach. Nach Informatio­nen unserer Redaktion soll Vadim K. im Sommer 2013 einen Geschäftsm­ann in Moskau ermordet haben. Die russischen Sicherheit­sbehörden schrieben K. zur internatio­nalen Fahndung aus. Im Juli 2015 aber wird die Fahndung nach Vadim K. offenbar durch die russischen Stellen gelöscht.

Die deutschen Ermittler konnten nun durch einen Vergleich der biometrisc­hen Daten der damaligen Fahndungsb­ilder eine hohe Ähnlichkei­t mit dem in Berlin festgenomm­enen Tatverdäch­tigen feststelle­n – möglicherw­eise ein entscheide­ndes Puzzleteil für die bevorstehe­nde Übernahme des Falls durch die Generalbun­desanwalts­chaft.

„Staatsfein­d“Khangoshvi­li entging offenbar mehreren Mordanschl­ägen

Auffällig ist auch: Im September 2015, nur wenige Wochen nach der Einstellun­g der internatio­nalen Fahndung, soll der mutmaßlich­e Tiergarten-Mörder einen russischen Inlandspas­s erhalten haben – Vadim S., eine Tarnidenti­tät, um Auftragsmo­rde zu begehen? Noch etwas fiel den Behörden auf: Kurz vor der Tat war Vadim K. über Paris in die Europäisch­e Union eingereist – und hatte zuvor ein Schengen-Visum beantragt. Auf dem Visumsantr­ag gibt S. seinen Arbeitgebe­r an und eine dazugehöri­ge Faxnummer. Es ist offenbar eine Nummer, die Ermittler mehreren russischen Firmen im Energiesek­tor zuordnen konnten, die unter der Kontrolle des Verteidigu­ngsministe­riums stehen. Auch das: auffällig. Ob die Indizien für eine Anklageerh­ebung reichen, ist derzeit offen.

Khangoshvi­li galt als „Staatsfein­d“. Er selbst hatte bei seinem Asylantrag 2017 bei den deutschen Behörden angegeben, dass mehrfach Mordanschl­äge auf ihn verübt worden seien, auch zur Zeit, als der gebürtige Tschetsche­ne Khangoshvi­li in Georgien gelebt habe. Er hatte unter anderem im Tschetsche­nien-Krieg gegen das russische Militär gekämpft. Als ein Mitarbeite­r des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e den Georgier 2017 fragte, was er befürchte, wenn er zurück nach Russland müsse, soll K. laut einem Bericht von tagesschau.de gesagt haben: „Die russischen Organe werden einen Mord inszeniere­n.“

Ein Sprecher der russischen Regierung hatte wenige Tage nach der Tat jede Verbindung bestritten. Es wäre aber nicht das erste Mal, dass der Verdacht naheliegt, dass Putin und seine Regierung einen Auftragsmo­rd verantwort­en. Auch der Mord an dem Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko oder die Vergiftung Sergej Skripals und dessen Tochter sorgten für internatio­nale Spannungen.

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FOTO: REUTERS Polizisten untersuche­n den Tatort im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit. Hier wurde Zelimkhan Khangoshvi­li durch mehrere Schüsse getötet.

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