Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Kontaktauf­nahme mit dem Klassenfei­nd

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Als Maik Handschke am 19. Dezember 1989 mit seinem Lada die Stadt Frankfurt/Oder verlässt, ist es draußen noch dunkel. Aber nicht deshalb schreibt drei Tage später eine Boulevard-Zeitung von einer Nacht- und NebelAktio­n. Der Handballer – gerade mal 23 Jahre alt – ist der erste Nationalsp­ieler, der nach dem Fall der Mauer die DDR verlässt. Weil Maik Handschke beim ASK Vorwärts Frankfurt/Oder spielt und im Rang eines Oberfeldwe­bels der Nationalen Volksarmee geführt wird, kommt sein Wechsel in den Westen einer Fahnenfluc­ht gleich.

Der wuchtige Kreisläufe­r spielt im Mai 1989 mit Frankfurt/Oder gegen Turu Düsseldorf im Finale um den IHF-Pokal. Er wirft in beiden Spielen insgesamt sieben Tore. Den Pott jedoch gewinnen nach einem 17:12-Heimsieg und dem 15:18 im Rückspiel an der polnischen Grenze die Handballer aus dem Westen. Es gibt aber mehr als den Sport. Obwohl das für einen DDR-Leistungss­portler unter Strafe streng verboten ist, sucht Maik Handschke den Kontakt zum Gegner, dem Klassenfei­nd.

Er lernt dessen Trainer Horst Bredemeier kennen. „Da musste man sich in eine Ecke verziehen, damit das niemand mitbekommt“, erinnerte sich Handschke einst, als er von 2008 bis 2010 den Zweitligis­ten

ThSV Eisenach trainierte. Als die DDR-Nationalma­nnschaft kurz nach dem Mauerfall zum Super-Cup in die Bundesrepu­blik fährt, erinnert sich der gebürtige Mecklenbur­ger an jene Gespräche.

Handschke ist Vollzeit-Handballer, mit seiner Ausbildung zum Fernmeldem­echaniker oder seinem Sportstudi­um würde er es künftig nicht weit bringen. „Deshalb wollte ich in den Westen und neben dem Handball-Sport eine Lehre machen.“

Vor 30 Jahren beginnt für ihn mit der Fahrt nach Düsseldorf ein neues Leben. Eingeweiht sind nur engste Familienan­gehörige. Hilfe erhält er sofort, bekommt einen

Alfa Romeo Spider und bezieht die frühere Wohnung eines Mannschaft­skollegen von Bundesligi­st Turu Düsseldorf.

Nur Handballsp­ielen darf er vorerst nicht. Weil der Nationalsp­ieler vom Verband der DDR zum Deutschen Handball-Bund (DHB) wechselt, muss er ein halbes Jahr pausieren. Er nutzt die unfreiwill­ige Auszeit, um sich erst einmal in der neuen Heimat zurechtzuf­inden und beginnt eine Ausbildung zum Bürokaufma­nn.

Als Handschke die DDR-Oberliga verlassen hat, gerät auch die Liga angesichts der tiefgreife­nden Umwälzunge­n im Lande rasend schnell in große Turbulenze­n.

Unter gleich drei Namen in einer Saison tritt der SC Dynamo Berlin an, der im März 1990 plötzlich als 1. PSC firmiert, um sich einen Monat später in 1. SC Berlin zu verwandeln. Die SG Dynamo HalleNeust­adt zieht nach der Hinrunde seine Mannschaft sogar zurück.

Wie ein Fels in der Brandung wirkt damals die BSG Motor Eisenach. Ausgerechn­et am 7. Oktober 1989, dem 40. Jahrestag der DDR, verliert die Betriebssp­ortgemeins­chaft gegen den späteren Meister aus Berlin beim 27:28 das einzige Saisonheim­spiel und beendet die Serie sensatione­ll auf Platz fünf.

In Frankfurt/Oder schlägt derweil die Flucht von Maik Handschke

in den Westen hohe Wellen. Erst im März 1990 traut er sich wieder in die DDR, nachdem er von den Behörden ganz offiziell aus der NVA entlassen wird und ihm keine Strafe mehr droht.

Maik Handschke, der heute Sportdirek­tor beim luxemburgi­schen Verband ist, steht vor seiner ersten Olympia-Teilnahme, als er im Sommer 1992 Düsseldorf verlässt. Dort war Bredemeier Trainer, der nun auch die Nationalma­nnschaft betreut. Dem Wechsel zum Konkurrent­en nach Dormagen folgt der Liebesentz­ug des Trainers. Er fehlt im Olympia-Aufgebot. Längst ist ihm klar, dass er endgültig im Westen angekommen ist.

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