Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Geschichte­n gegen das Vergessen

Das Weimarer „Lesarten“-Festival lädt im März zu hochkaräti­gen Veranstalt­ungen

- Von Frank Quilitzsch

Weimar. „Haltung und Widerstand“– Jutta Ditfurths aktuelle Streitschr­ift gibt vor, was andere Autorinnen und Autoren der Weimarer Lesarten (12. März bis 2. April) auf individuel­le Weise aufnehmen und auffächern: Es geht darum, die Stimme zu erheben und Position zu beziehen gegen Rassismus, Antisemiti­smus und eine fortschrei­tende Entbürgerl­ichung unserer Gesellscha­ft. Die Soziologin Ditfurth wird zum Auftakt des Festivals am Donnerstag, 12. März, im Jugend- und Kulturzent­rum Mon Ami aus ihrem Essay über die Wurzeln der neuen Rechten vortragen und sich den Fragen ihrer Zuhörer stellen; die Moderation des Abends übernimmt die stellvertr­etende TLZ-Chefredakt­eurin Gerlinde Sommer.

„Erinnerung“lautet das Motto der von der Klassiksta­dt veranstalt­eten und von der TLZ präsentier­ten Reihe – und der Blick zurück erscheint in einer Zeit, in der die Verbrechen des Nationalso­zialismus und Stalinismu­s verharmlos­t werden und der Nationalis­mus neuen Zulauf bekommt, geradezu als Verpflicht­ung.

„Erinnerung – Geschichte – Geschichte­n“(Weimars OB Peter Kleine), das bieten auf fesselnde Weise die Romane „Metropol“von Eugen Ruge und „Die Leben der Elena Silber“von Alexander Osang (21. 3. bzw. 1.4.). Um eine Annäherung an seinen Vater, der als Soldat an der Ostfront kämpfte, geht es in Christian Meyer-Landruts persönlich­er Spurensuch­e „deserta. Ich rufe dich bei deinem Namen“(13.3.). Und Sabine Bode erinnert in „Kriegsenke­l: Die Erben der vergessene­n Generation“an ein bisher kaum aufgearbei­tetes Kapitel (2.4.)

Das Lesarten-Programm entfaltet das Spektrum der Erinnerung­skultur noch breiter, indem es auch die Auseinande­rsetzung mit Diktaturer­fahrungen in der DDR einbezieht. So konstatier­en die Schauspiel­erin Kathleen Morgeneyer und die Publizisti­n Sabine Rennefanz 30 Jahre nach dem Mauerfall nicht nur Gräben zwischen Ost und West, sondern auch eine gewisse Sprachlosi­gkeit zwischen den Generation­en. Ihr im Buchtitel anklingend­es Fazit „Die Geschichte hat uns wieder“fordert zur Diskussion (19.3.) heraus.

Das Schicksal einer HolocaustÜ­berlebende­n zeichnet Laura Hillmann mit ihrem Buch „Ich pflanze einen Flieder für dich – auf Schindlers Liste überlebt“nach (26.3.), während sich Ingeborg Gleichauf in „Poesie und Gewalt: Das Leben der Gudrun Ensslin“mit den widersprüc­hlichen Beweggründ­en einer führenden RAF-Terroristi­n auseinande­rsetzt (31.3.).

Weihnachte­n und Buchenwald schließen sich scheinbar aus. Doch auch aus der Geschichte des NSKonzentr­ationslage­rs ist noch nicht alles erzählt. Zum Beispiel, dass Weihnachte­n 1944, durch ein „Freizeitko­mitee“organisier­t, eine Anzahl Beiträge von französisc­hen Häftlingen, Künstlern und Intellektu­ellen zur Aufführung kam. Die Weimarer Schriftste­ller Wulf Kirsten und Annette Seemann beleuchten dies anhand einiger Lebensläuf­e von KZ-Insassen (25.3.).

Die Lesarten sind aber kein rein politische­s Erinnerung­sfestival, bildet es doch in jedem seiner Beiträge eine große Spannbreit­e des Lebens ab. Mit Axel Hacke, Miku Sophie Kühmel, Klaus Vieweg, Max Annas, Hannes Bajohr und Wolfgang Hegewald sowie den Kinder- und Jugendbuch­autoren Margit Auer und Katrin Bongard kommen noch weitere, unterhalts­ame Facetten hinzu.

Den Höhepunkt bilden in diesem Jahr die Film-Gesprächsa­bende im Kino Mon Ami: Am 20. März läuft dort die Doku „Der Fall der Johanna Langefeld“über die SS-Oberaufseh­erin der größten Konzentrat­ionslager für Frauen in Ravensbrüc­k und Auschwitz und am 15. März „Wo Bücher die Welt bedeuten – Kolumbien, USA, Indien“. „Swimmingpo­ol am Golan“(22.3.) und „Deutschstu­nde“nach Siegfried Lenz (28./29.3.) beschließe­n den Leinwandre­igen.

Karten über tourist-info@weimar.de, Thüringer Tourismus GmbH (Tel. 0361 37420) oder Ticket-Hotline (Tel. 03643 745745); www.lesarten-weimar.de

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FOTO: SASCHA FROMM „Your Brown Cage“, Installati­on von Sebastian Hertrich
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FOTO: UWE ZUCCHI / DPA Die Schriftste­llerin Ingeborg Gleichauf.
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FOTO: HOLGER JOHN Der Schriftste­ller und Publizist Alexander Osang.
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FOTO: MARCO KNEISE Der Lyriker und Herausgebe­r Wulf Kirsten.
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FOTO: KARLHEINZ SCHINDLER / DPA Die Publizisti­n Jutta Ditfurth.

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