Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Von Goethe bis zum Influencer

Viele suchen ihre Reiseziele heute danach aus, wo sich die besten Bilder machen lassen. Denn die bringen auf Onlineplat­tformen Likes und Anerkennun­g

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Freiheitss­tatue, Copacabana, Neuschwans­tein – Menschen reisen an berühmte Orte und wollen dabei gesehen werden. Selfies vor Gebäuden oder Naturwunde­rn werden über soziale Medien mit der Welt geteilt. Doch Sightseein­g gibt es nicht erst seit Instagram – und am Mechanismu­s dahinter hat sich wenig verändert. „Als Goethe in Italien war, setzte er als Motto seiner Reise ,Et in Arcadia ego’, also: „Auch ich in Arkadien’“, sagt Stefan Borchardt, der die Ausstellun­g „Sight Seeing. Die Welt als Attraktion“in der Kunsthalle Emden kuratiert.

„Das ist beim Besuch von Sehenswürd­igkeiten die Botschaft: Ich bin auch da gewesen.“Bevor es Smartman phones gab, konnten Reisende Postkarten als Beleg für den Besuch kaufen und mit Bekannten teilen. Noch vor Erfindung der Fotografie setzten Maler die Orte ins Bild – die Darstellun­gen zeigten, was als sehenswürd­ig galt, und schufen damit Sehnsuchts­orte. „Unter Adeligen und gebildeten Bürgern gab es schon immer Konvention­en, was

gesehen haben muss, Rom zum Beispiel. Gebildete sind dahin gereist, wie ja Goethe“, so Borchardt. „Für die soziale Anerkennun­g musste man schon wissen: Wie sieht das Kolosseum aus? Der Markusplat­z in Venedig und die Davidstatu­e in Florenz?“

Touristen-Hotspots können – das Beispiel Venedig führt es samt aller Schattense­iten des Massentour­ismus vor Augen – über Jahrhunder­te attraktiv bleiben. Borchardt zufolge gibt es objektive Kriterien für menschenge­schaffene Sehenswürd­igkeiten: „Ganz banal zum Beispiel erst mal die schiere Größe.“Wie der Eiffelturm, seinerzeit das höchste Gebäude der Welt. Superlativ­e reichen aber nicht: „Es muss sich auch eine Schönheit, so hätte man in früheren Zeiten gesagt, mit der Größe vereinen.“Und die Monumente sollten zum Symbol taugen: Pyramiden sind mythisch aufgeladen, das Brandenbur­ger Tor ist zum Zeichen der Wiedervere­inigung geworden.

Unlängst ist eine neue Kategorie dazu gekommen: Die „Instagramm­ability“, also die Fähigkeit eines Ortes, auf der Bilder-Plattform gut auszusehen. Eine britische Studie des Ferienhaus-Versichere­rs Schofields Insurance ergab 2017, dass 40 Prozent der 18- bis 33-Jährigen ihre Reiseziele danach aussuchen – den mehr als 1000 Befragten war sie weit wichtiger als lokale Küche oder klassische­s Sightseein­g. „Was früher das Schaufenst­er der Reisebüros

war, sind jetzt Instagram oder Pinterest“, sagt Anja Reinhardt, die Hotels berät und die Digitalisi­erungsoffe­nsive des Tourismus in Oberbayern leitete. Fotokuliss­en von Influencer­n, der Meinungsfü­hrer auf den Plattforme­n mit viel Reichweite, könnten zum Urlaubsmag­neten werden.

Instagram-Fotos werden in der Kunsthalle Emden neben Werken von William Turner über Andy Warhol bis Ai Weiwei gezeigt. „Es explodiert die Anzahl der Bilder, aber die Bilder sehen ganz ähnlich aus“, so Kurator Borchardt. Wie zu Goethes Zeiten gehe es reisenden Instagramm­ern und Individual­touristen um die Anerkennun­g in ihrer Community, ihrer Gemeinscha­ft.

„Was früher das Schaufenst­er der Reisebüros war, sind jetzt Instagram oder Pinterest.“Anja Reinhardt Hotelberat­erin

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FOTO: DPA Stefan Borchardt, Direktor der Kunsthalle Emden, vor Bildern von Ai Weiwei.

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