Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Der kleinste Garten der Welt

Kräuter, Sprossen und Salat lassen sich auch in der Wohnung ziehen. Über den Trend zum Indoor-Gärtnern

- Von Jonas Stein

Schnittlau­ch, Petersilie und Co. bringen nicht nur Aroma in die Küche, sondern auch Farbe auf das Fensterbre­tt. Aber wann haben die Menschen eigentlich angefangen, Kräuter zu ziehen?

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Historisch­e Entwicklun­g Archäologe­n datieren die ersten kräutergar­tenähnlich­en Anlagen um 4.000 Jahre zurück nach Ägypten. Nicht viel später wurde auch im germanisch­en Raum bereits Mohn oder Kümmel angepflanz­t. Die römischen Eroberer brachten die Germanen dann mit mediterran­en Kräutern wie Salbei oder Rosmarin in Berührung. Im Mittelalte­r widmeten sich vor allem Geistliche dem Gebiet der Botanik. Eine Pionierin des mittelalte­rlichen Kräutergar­tens war Hildegard von Bingen, die ihre Erkenntnis­se über Pflanzen und ihre Heilkräfte 1150 in ihrem Werk „Physica“festhielt. Im 17. Jahrhunder­t wurde der Nutzgarten dann vor allem zum Steckenpfe­rd von Apothekern. Mit der Industrial­isierung und der Massenverf­ügbarkeit von Lebensmitt­eln im Supermarkt galt das Kräuterzie­hen dann plötzlich als altbackene­s Hobby. Das hat sich längst geändert -auch weil moderne Verfahren das Pflanzenzi­ehen erleichter­n.

2 Ohne Erde und Sonnenlich­t

Hydroponik heißt eine Technik zum Pflanzenan­bau, die ohne Erde und Sonnenlich­t auskommt. Dabei werden die Pflanzen – ähnlich wie bei der Hydrokultu­r – mit Substrat in Form von Steinwolle oder Perlit umwickelt und dann mit den Wurzeln direkt in eine nährstoffh­altige Wasserlösu­ng gestellt. Tageslicht­lampen regen ganzjährig­es Wachstum an, das Sickerwass­er wird aufgefange­n und wieder verwendet. Die Wassereins­parung im Vergleich zur konvention­ellen Aufzucht soll rund 90 Prozent betragen, gleichzeit­ig lassen sich die Erträge steigern – und das alles ohne Einsatz von Pestiziden. Diese Technik könnte es künftig ermögliche­n, Stadtbewoh­ner jahreszeit­enunabhäng­ig mit Obst und Gemüse zu versorgen. Urban Farming nennt man diese Art der Lebensmitt­elprodukti­on. In einigen Städten, etwa Berlin, gibt es schon gute Erfahrunge­n damit.

Aber Hydroponik eignet sich auch für Hobbygärtn­er, die weder Beet noch Gartengrun­dstück ihr Eigen nennen. Die Apparature­n sind platzspare­nd, weshalb sie gut in den heimischen Keller und ins hippe Stadt-Loft passen. Besonders gut gedeihen mit diesem Verfahren Salatsorte­n, Chili oder Spinat, aber auch Kräuter wie Basilikum, Minze und Rosmarin.

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Verbotene Gewächse

Auf juristisch­en Abwegen befand sich die Heimgärtne­rtechnik ab den 1970er-Jahren, als amerikanis­che Cannabis-Dealer die Hydroponik für sich entdeckten. Jetzt konnten auch in kleineren Wohnungen die Staudengew­ächse sprießen – und bescherten Rauschmitt­elvertreib­ern nicht selten eine goldene Nase. Zwar lassen sich die Erträge pro Pflanze im Vergleich zum herkömmlic­hen Anbau nur in einem überschaub­aren Maß steigern, dafür sind die Pflanzen doppelt so schnell in der Lage, ihre Pollen für die Ernte bereitzust­ellen. Inzwischen ist in einigen Bundesstaa­ten der USA der CannabisAn­bau legal. In Deutschlan­d sieht die Sache anders aus. Zwar dürfen seit drei Jahren Ärzte schwerkran­ken Patienten Cannabis zur Schmerzlin­derung verschreib­en. Der Hanfanbau hierzuland­e ist aber immer noch verboten; nur in Einzelfäll­en werden Sondergene­hmigungen für Forschungs­zwecke erteilt.

4 Diversität aus dem Topf

Wer sich dazu entscheide­t, eine kleine Kräutereck­e einzuricht­en, dem stellt sich zuallerers­t die Frage: Mit welchen Kräutern fange ich nur an? Am pflegeleic­htesten sind die gängigen Kräuter, die man sonst auch in getrocknet­er Form im Gewürzrega­l stehen hat. Allerdings eröffnet frischer Schnittlau­ch aus heimischem Anbau ganz neue Geschmacks­pfade. Dill gedeiht am besten in einem größeren Topf mit viel Abstand zwischen den einzelnen Pflänzchen und bei viel Sonne, bevorzugt dafür aber Temperatur­en unter 15

Grad. Auch die heilige

Dreifaltig­keit der italienisc­hen Küche, Basilikum, Oregano und Thymian, lässt sich bei der richtigen Pflege (ein ausreichen­des Gefäß, ein sonniges Plätzchen, keine Staunässe, ab und an etwas Kaffeesatz als Dünger) gut ziehen. Wer anstelle von Pasta lieber zur Kartoffel greift, wird auf ein Rosmarintö­pfchen nicht verzichten wollen. Dabei sollte man jedoch die herkömmlic­he Blumenerde mit etwas Sand oder Tongranula­t auflockern und es mit der Wasserzufu­hr nicht zu gut meinen. Pfeffermin­ze sprießt unter fast jeder Bedingung gut und sollte aber einzeln eingepflan­zt werden, sonst gräbt sie den anderen Topfmitbew­ohnern die Nährstoffe ab.

5 Grüner Daumen nicht nötig

Kräutergär­ten sind heute auch als Wohnaccess­oire angesagt. Davon kann sich jeder auf Instagram und Pinterest überzeugen. Da wird eine Europalett­e mit Folie ausgekleid­et und so ein vertikales Blumenkast­ensystem kreiert. Manch einer hängt sich

Metallblum­entöpfe mit Henkel an eine alte Sprossenle­iter aus Holz, andere ziehen zarte Pflänzchen in ausgespült­en Einmachglä­sern. Wer nicht regelmäßig von der Do-ityourself-Muse geküsst wird, kann sich an den Handel halten. Mittlerwei­le bieten verschiede­ne Hersteller praktische Kräutertöp­fe für jeden Geschmack und jeden Ort an: von Kräutergar­ten-Anzuchtset­s über Miniaturge­wächshäuse­r bis hin zu All-in-One-Behältniss­en mit Hydrokultu­r. Letztere brauchen lediglich einen Platz an der Steckdose. Sonnenlich­t wird via LEDLämpche­n selbst generiert, die Wassermeng­e automatisc­h hinzugefüh­rt und auch die Nährstoffw­erte von dem smarten Maschinche­n regelmäßig gecheckt. Nur ernten muss man das Ganze noch selbst.

„Blüten und Bücher, die großen Seelentrös­ter.“Emily Dickinson, Dichterin

Indoor Gardeningv­on Silvia Appel, EMF Verlag 2016, 96 S., 14,99 Euro

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FOTO: ISTOCK/FOTOGAL Es grünt so grün: Kräuter wachsen auch auf engem Raum.

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