Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Ehrliche Aufarbeitung
Seit dem Tod des US-Amerikaners George Floyd, der durch Polizeigewalt starb, ist die Welt in Aufruhr. Millionen Menschen gehen mit dem Ruf „Black Lives Matter“weltweit auf die Straßen. „Schwarze Leben zählen“– beschämend, dass man dies im Jahr 2020 hervorheben muss. Alle Menschen sind gleich – überall auf der Welt.
Was kann eine Gesellschaft dagegen tun?
In Deutschland diskutieren die Fraktionen im Bundestag, ob der Begriff „Rasse“im deutschen Grundgesetz noch zeitgemäß ist oder nicht. Nun mag man den Vorschlägen von Grünen und FDP folgen und „Rasse“durch „Ethnie“oder „ethnische Herkunft“ersetzen. Doch die Diskussion um die Sprache birgt die Gefahr des SichZurücklehnens. Entschließt sich der Bundestag mit Zwei-DrittelMehrheit, den Begriff zu streichen oder zu ersetzen – der alltägliche Rassismus wäre dadurch nicht gebannt.
Wirkliches Umdenken geht anders und beginnt ganz einfach: Beim Ernst nehmen der Menschen, die sich diskriminiert fühlen. Mütter, die ihren Kindern erklären, dass sie – obwohl hier geboren – sich darauf einstellen müssen, dass Menschen sie im Laufe des Erwachsenwerdens beleidigen, weil ihr Hautton eine Nuance dunkler ist. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bleibt weit hinter ihrer Bedeutung zurück. Sie muss stärker publik gemacht und mit prominenten Köpfen besetzt werden. Sie braucht mehr Einfluss, mehr Mitarbeiter.
Nötig ist auch eine ehrliche Aufarbeitung des deutschen und europäischen Kolonialismus. In Schulen und der in öffentlichen Diskussion. Während des Herero-und-Nama-Kriegs im damaligen DeutschSüdwestafrika beging die deutsche Kolonialmacht einen Massenmord, den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Ist das irgendwo mehr als ein Absatz im Geschichtsbuch? Wichtig wäre es!