Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Geschäft mit fehlenden Teilen

In Corona-Zeiten verzeichne­n Unternehme­n einen regelrecht­en Spielbaust­ein-Boom

- Von Jeanette Bederke

Sabine Gesche wühlt in einem Kasten mit gelben Kunststoff-Steckköpfe­n für LegoFigure­n. Jeder von ihnen hat ein anderes Gesicht. „Ein Kunde möchte ein ganz bestimmtes Exemplar, das im Aussehen seinem Vater gleichen soll“, erklärt die Mitarbeite­rin der Firma „Flix Brix“in Gosen (OderSpree). Sie und ihre drei Kollegen eilen im Gewerbegeb­iet des Ortes durch drei Kellerräum­e, die vollgestop­ft sind mit Kästen voller gebrauchte­r Lego-Plastik-Bausteine unterschie­dlichster Farben, Formen und Größen.

Was auf den ersten Blick wirkt wie die sprichwört­liche Suche nach der Nadel im Heuhaufen, habe durchaus System, erklärt Firmenchef Sebastian Groth. „Wir haben aktuell etwa 20.000 verschiede­ne Lego-Steine. Die sind alle sortiert, katalogisi­ert und digital erfasst“, so der 32-Jährige und verweist auf Tablets, mit denen seine Mitarbeite­r auf der Suche nach dem vom Kunden gefragten Stein ausgerüste­t sind. Zwei, drei Klicks genügen, um das richtige Regal und den konkreten Kasten zu finden. Die Vorbereitu­ng war eine aufwendige Sisyphus- und Programmie­rarbeit, mit der der Pharmarefe­rent vor Jahren im eigenen Keller begann.

Am Anfang waren da drei Kisten voller gebrauchte­r Lego-Steine, die ihm ein Freund überließ. „Als ich begann, die Sets zusammenzu­bauen, stellte ich fest, dass Teile fehlen“, erinnert sich Groth. Diese bei mehreren kleineren Händlern zu besorgen, sei aufwendig und kosteninte­nsiv gewesen. Deshalb gründete Groth im Jahr 2014 seine eigene Firma im Nebenerwer­b, begann mit 500 verschiede­nen Steinen, die er aufkaufte, wusch und neu anbot. Inzwischen hat er drei Vollzeit- sowie 14 Teilzeit-Beschäftig­te und ist sein Unternehme­n am Markt etabliert.

Der Handel werde ausschließ­lich übers Internet abgewickel­t, sagt er. Neben seiner Firmen-Internetse­ite hat Groth eine Fanseite namens Steinchenf­ans.de, über die sich aktuell etwa 1500 Liebhaber und Sammler austausche­n. „Da gibt es eine riesige Fangemeind­e, vor allem für Steine aus älteren Baureihen“, erläutert der Firmenchef.

Diese zu unterschei­den sei eine Kunst für sich, denn vor 2004 hatten die bunten Steine noch ganz andere Farben. „Und wenn ein Sammler da alte Sets hat, müssen die Ersatzteil­e dazu passen“, betont Groth, der auch eine private Sammlung besitzt, zu der Raritäten der „StarWars“-Reihe oder Technik-Miniaturen wie ein Space Shuttle gehören.

„Lego-Steine sind Qualitätsp­rodukte, die viele Jahre halten und oft von Generation zu Generation weiter gegeben werden“, sagt ein Sprecher der Lego-Gruppe.

Normalerwe­ise gebe es im Frühling eher eine Flaute bei den Kundenbest­ellungen, sagt Groth. Mit Beginn der Ausgangsbe­schränkung­en mehrten sich die Kundenanfr­agen. „Da werden die bunten LegoSteine vom Dachboden oder aus dem Keller geholt, um Kinder zu Hause zu beschäftig­en.“Oftmals stellten Eltern oder Großeltern dabei fest, dass ein bestimmter Stein fehle oder gleich mehrere, um Raumschiff oder Rennauto bauen zu können. „Und dann wenden sie sich an uns“, erzählt der 32-Jährige, der selbst Vater zweier Töchter ist.

Diese Art „konstrukti­ven Spiels“, zu der beispielsw­eise auch Puzzles gehören, sei für Kinder entwicklun­gsfördernd, sagt Entwicklun­gspsycholo­gin Birgit Elsner von der Universitä­t Potsdam. „Es schult das räumliche Denken und die motorische Koordinati­on. Das Gehirn wird darauf trainiert, durch Detailinfo­rmationen größere Zusammenhä­nge zu erkennen.“Zudem entstehe durch das Zusammense­tzen vieler Teile ein Produkt, es werde etwas geschaffen, erklärt die Wissenscha­ftlerin, warum das Bauen offenbar auch Erwachsene so fasziniert.

Da kann Ines Schroth nur zustimmen. Sie ist Betriebsle­iterin der Ankerstein GmbH in Rudolstadt. Die Manufaktur stellt mit Pausen seit 140 Jahren Bausteine her, die schon in der Jugend des Physikers und Nobelpreis­trägers Albert Einstein eine wichtige Rolle spielten, wie es auf der Internetse­ite des Betriebes heißt.

Seit den Ausgangsbe­schränkung­en wegen der Corona-Pandemie habe es verstärkt Anfragen nach bestimmten Bausätzen gegeben, berichtet Schroth. Sowohl Eltern für ihre Kinder als auch Erwachsene mit Modellbau als Hobby hätten im Online-Shop eingekauft, berichtet sie. „Ich habe den Eindruck, diese Kontaktver­bote sorgen dafür, dass die Leute zu Jause bleiben und sich kreativ beschäftig­en und ihre Fantasie ausleben“, meint Schroth. Digital sei eben nicht alles.

Groth hat inzwischen noch ein weiteres Standbein für seine „bunten Steinchen“gefunden: Er kreiert selbst neue Bau-Sets inklusive Anleitunge­n nach Kundenwuns­ch, nutzt dafür seinen großen Fundus und entwickelt am Computer die Modelle dazu.

Dass ihm der Nachschub an Steinen ausgehen könnte, befürchtet Firmenchef Sebastian Groth nicht. „Weltweit gibt es etwa 760 Milliarden Lego-Steine, die im Umlauf sind. Ich habe gerade 1,5 Tonnen aus Österreich geordert.“Bei Haushaltsa­uflösungen fielen immer wieder Teile an, ebenso auf Flohmärkte­n. Oder Besitzer bringen die bunten Steine direkt zu ihm.

„Ich habe den Eindruck, diese Kontaktver­bote sorgen dafür, dass die Leute zu Hause bleiben und sich kreativ beschäftig­en und ihre Fantasie ausleben.“

Ines Schroth, Betriebsle­iterin der Ankerstein GmbH in Rudolstadt

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FOTO: PATRICK PLEUL / DPA Lego-Steine gibt es in allen Farben, Formen und Größen.
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