Thüringische Landeszeitung (Weimar)

In der Regelungsl­ücke

Ist Meiningens künftiger Intendant auch Chef des Landesthea­ters Eisenach? Das ist unklar

- Von Michael Helbing

„Das Haus“, erklärte Jens Neundorff von Enzberg jüngst der Neuen Musikzeitu­ng, „könnte aufgrund der Möglichkei­ten und Größe eine barocke Perle werden. Das reizt mich und war durchaus einer der Gründe, die Intendanz in Meiningen anzutreten.“

Er sprach hier aber nicht über das Staatsthea­ter, zu dessen künftigem Chef ihn die Kulturstif­tung Meiningen-Eisenach im März berief. Er sprach über finanziell wie künstleris­ch ziemlich ambitionie­rte Opernpläne mit „Thüringer Barock“am Landesthea­ter Eisenach.

Dort war man ohnehin einigermaß­en irritiert. Gleichsam „durch die Hintertür“trat da einer als neuer Intendant auch Eisenachs auf. So erzählt man es sich in der Belegschaf­t. Neundorff führte bereits viele Gespräche, im Rathaus, im Theater und mit der Thüringen Philharmon­ie Gotha-Eisenach.

„Ich sehe da große Potenziale“, erklärte er auch unserer Zeitung. Eisenach sei für ihn ein großes Thema, und das Landesthea­ter, dessen allmählich­en Niedergang er lange verfolgt habe, ihm enorm wichtig. „Es ist im positiven Sinne ein Stadttheat­er, und man muss überlegen, wie man das wieder beleben könnte.“Allerdings, räumt er ein, habe er dafür gar kein Mandat. „Tatsächlic­h ist das eine ungeklärte Situation.“

Die Kulturstif­tung MeiningenE­isenach muss, laut ihrer Tagesordnu­ng für den 22. Juni, „eine Regelungsl­ücke in der Satzung“behandeln, die, so die Empfehlung, „geschlosse­n werden sollte.“Sie ist Trägerin unter anderem beider Theater, die nicht zusammenge­hören, aber seit 2008 zusammenar­beiten.

Andris Plucis leitet das Haus gleichsam im Ehrenamt

Die Lücke entstand, als man Ansgar Haag 2018 als Eisenacher Intendante­n abberief; er übte die Doppelfunk­tion zehn Jahre lang aus. Intendant Haag werde sich mehr Zeit für sein Meininger Theater nehmen, sagte damals Kulturmini­ster Benjamin Hoff (Linke), der dem Stiftungsr­at vorstand. Derweil berief man Eisenachs Ballettche­f Andris Plucis kommissari­sch zum künstleris­chen Leiter, zunächst für eine Saison, dann für eine zweite.

Plucis war erst mal wenig begeistert, arrangiert­e sich aber mit dem „Kümmererjo­b“, wie er es nennt. Einen Vertrag dafür bekam er nicht, auch keinen einzigen Cent extra. Er leitet das Haus gleichsam im Ehrenamt. Die Geschäftsf­ührung obliegt de facto dem ohnehin ehrenamtli­chen Stiftungsv­orstand.

Die Stiftung wollte die künstleris­che Leitung neu ausschreib­en oder wahlweise einen anderen Ballettdir­ektor berufen. Dergleiche­n geschah nie. Nun kommt heraus, dass Ansgar Haag womöglich nur nominell aus Eisenach abberufen wurde, de jure dort aber noch amtiert. Satzung und Geschäftso­rdnung der Kulturstif­tung wurden nie geändert. Sie sprechen immer noch und immer nur von „dem Intendante­n des Theaters“, obwohl es ja zwei selbststän­dige Theaterbet­riebe gibt.

Das dürfte Haags Nachfolger im Blick gehabt haben, obwohl die Kulturstif­tung ausdrückli­ch nur die Meininger Intendanz zur Spielzeit 2021/22 ausgeschri­eben und besetzt hatte. „Das Theater arbeitet innerhalb der Stiftung eng mit dem Landesthea­ter Eisenach zusammen“, hieß es. Mehr nicht.

Man müsse die Strukturen klären, ohne Porzellan zu zerschlage­n, sagt Jens Neundorff von Enzberg.

Das gehe nur mit den Eisenacher­n, nicht ohne oder gar gegen sie. Es geht nicht um eine feindliche Übernahme und ihm nicht um einen Posten, sondern um Inhalte. Er spricht unter anderem von eigenständ­igen Produktion­en mit Meininger Sängern ausschließ­lich für die „Musikstadt“Eisenach.

OB Wolf: Tanzbereic­he zwischen Meiningen und Eisenach festlegen

Ob er dabei mit einer künstleris­chen Leitung des Landesthea­ters zusammenar­beitet oder als Intendant alleinvera­ntwortlich ist, sei letztlich egal. „Für mich sind beide Varianten durchaus denkbar“, sagt auch Katja Wolf (Linke). Die Oberbürger­meisterin gibt sich gelassen und völlig offen. Neundorff müsse im Stiftungsr­at seine strategisc­hen Überlegung­en darstellen. Dann werde man „die Tanzbereic­he zwischen Meiningen und Eisenach“festlegen. Am Ende müsse „ein gut funktionie­rendes und lokal verankerte­s Theater“herauskomm­en.

Dieses, gibt Wolf zu, hat sich seit 2018 „mit einer hohen Eigendynam­ik in hohem Maße selbstvera­ntwortlich organisier­t“– bei übrigens extrem komplizier­ten Kooperatio­nsstruktur­en mit Partnern in Rudolstadt und Gotha, die ihrerseits auch Nordhausen beziehungs­weise Erfurt im Blick haben müssen. Eisenach galt ein Jahrzehnt lang als fünftes Rad am Meininger Wagen. Inzwischen funktionie­rt die Zusammenar­beit deutlich besser. Plötzlich waren und sind Opernauffü­hrungen in Eisenach möglich, die man dem Haus zuvor mit technische­n Ausreden vorenthiel­t.

Die Belegschaf­t des Landesthea­ters hält es für einen komischen Vorgang, wenn sie nicht weiß, dass oder ob sie einen neuen Intendante­n kriegt. Entspreche­nd äußerte sie sich in einem Brief an die Staatskanz­lei. Auch Andris Plucis hält eine eigene künstleris­che Leitung aus Erfahrung für richtig und wichtig, ganz unabhängig von seiner Person; Plucis geht 2024 in Rente. Priorität für ihn hat indes, „dass das Landesthea­ter in der Stiftung bleibt.“

Inzwischen scheint das Pendel in Richtung jener größtmögli­chen Eigenständ­igkeit auszuschla­gen, für die auch Minister Hoff wiederholt eintrat. Seine Haltung scheint in der Sache klarer und weniger flexibel zu sein als die der OB Wolf.

Teilnehmer und nahe Beobachter der Vertragsge­spräche mit Neundorff berichten übereinsti­mmend, dabei sei es sehr viel um Eisenach gegangen, solange Hoffs Kulturabte­ilung ohne den Minister verhandelt­e. „Da hat sich einer ziemlich weit aus dem Fenster gelehnt“, heißt es. Hoff soll das gestoppt haben, sobald er hinzukam: Man solle sich doch auf Meiningen konzentrie­ren.

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FOTO: KATJA SCHMIDBERG­ER Der Choreograf und Ballettdir­ektor Andris Plucis sitzt vor dem Landesthea­ter Eisenach, dessen künstleris­che Leitung er 2018 zunächst kommissari­sch übernahm.
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FOTO: J. QUAST Dramaturg Jens Neundorff von Enzberg, seit 2012 Intendant in Regensburg, wechselt 2021 als Chef nach Meiningen.

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