Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Über 60 Wirklich alles für die Katz?

- Frank Quilitzsch über eine Beziehung voller Missverstä­ndnisse

Liebe P., es tut mir leid, ich habe alles falsch gemacht. Jetzt erst weiß ich, dass ich nichts über dich weiß. Leider kann ich’s nicht mehr ändern. Wir haben jahrelang aneinander vorbei gelebt.

Aber wir können ja reden.

Schon wieder so ein Missverstä­ndnis. Wieso tue ich so, als sprächen wir dieselbe Sprache?

Du sagst Miau, und ich denke: Hunger.

Du kratzt an der Tür, und ich denke: Du willst zu mir.

Du schnurrst, und ich denke: Du willst schmusen.

Irrtümer auf der ganzen Linie! Wie oft habe ich dich gestreiche­lt, am Kopf, auf dem Rücken und am liebsten auf dem Bauch, und immer wenn du schnurrtes­t, glaubte ich, du fühltest dich wohl. Dabei ist Schnurren auch eine Methode, mit der du dich in einer stressigen Situation selbst beruhigst, lese ich in einer Studie. Lass das, wolltest du mir sagen, und ich habe trotzdem weiter gemacht.

Oder wenn ich auf dem Sofa lag und einen spannenden Film verfolgte, hast du dich vor mich hingesetzt und mich unentwegt angestarrt. Bis ich dich packte und sanft zu mir hinauf zog.

Aber das wolltest du gar nicht. Steh auf! wolltest du mir sagen. Verschwind­e! Ich will dort liegen!

Noch so ein Missverstä­ndnis: Immer wenn ich von der Arbeit kam, sprangst du mir freudig entgegen und riebst deinen Kopf an meinen Beinen. Um mich zu begrüßen, wie ich glaubte. Dabei wolltest du nur wissen, wo ich war, und mich mit deinen Duftdrüsen markieren. Jetzt riechst du wieder wie ich und gehörst zu meinem Revier, sollte das bedeuten.

Du hast recht, Alter schützt nicht vor Unwissenhe­it. Ich hätte mich viel, viel früher schlau machen müssen. Vermutlich wusstest du von Anfang an, was für ein großer Egoist ich bin.

Wieso eigentlich halte ich mich noch immer für den Weiseren? Du bist im Mai 16 geworden, das entspricht nach der neuesten Umrechnung­smethode etwa 80 Menschenja­hren. Und obwohl ich dich schon mit zehn Wochen zu mir geholt habe, müsste ich dich heute eigentlich höflich fragen, ob du mir das Du anbieten willst.

Liebe P., ich danke Ihnen, dass Sie mich so lange in Ihrem Revier geduldet haben.

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