Thüringische Landeszeitung (Weimar)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

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Wir machen auch ein Menü zum Sonderprei­s für unsere Kapitäne“, erzählte dieser gerade. „Sie sollen bei uns ein zweites Zuhause haben. Außerdem können sie sich hier auch ein wenig ausruhen.“Er wies auf die Liege hinter dem Vorhang.

„Aber ...“Stadler zögerte, bevor er die Frage stellte, die ihm schon seit einigen Minuten auf der Zunge lag.

„Frag nur“, ermunterte ihn Paolini.

„Aber, warum tut ihr das alles?“„Eine seltsame Frage“, wunderte sich Paolini und formuliert­e langsam. „Weil wir unsere Traditione­n bewahren wollen. Weil wir unsere Alten ehren. Weil es das ist, was diese Insel ausmacht. Du solltest mal zur kommen. Da sind alle Einwohner hier unten im Hafen. Da könntest du wirklich etwas über Traditione­n lernen, etwas, was nicht im Reiseführe­r steht.“

Stadler nickte bedächtig. „Ja, ich glaube schon“, sagte er schließlic­h. „Lass uns einen Grappa trinken“, schlug der Wirt vor. „Hast du so viel Zeit?“

„Ja, eine gute Idee“, stimmte Stadler zu.

Natürlich hatte auch der Aufenthalt­sraum für die Kapitäne einen Ausgang. Diesmal ging es nach der Tür gleich einige Stufen bergab, und sie kamen in einen langen Flur, in dem links zunächst die Küche, dann die Toiletten lagen. Die Tür geradeaus stand offen, sie führte wieder auf die Straße hinaus. Und durch die Tür rechter Hand kamen sie seitlich der Bar wieder in den Gastraum. In diesem hatte sich inzwischen eine Handvoll Gäste eingefunde­n, die von einem Mädchen bedient wurde, das sich sichtbar noch im Schüleralt­er befand.

„Meine Tochter Claudia“, stellte Paolini vor.

Claudia machte einen artigen kleinen Knicks, und ihr Vater schenkte zwei Grappa ein. Als die beiden Männer versonnen die Stiele ihrer Gläser drehten, machte Stadler dem Wirt ein Kompliment:

„Also ich bin wirklich sehr beeindruck­t. Das habe ich nicht erwartet, als ich ... das hier gesehen habe.“Er zeigte mit dem Glas auf die Regale im Gastraum.

„Ja“, freute sich Paolini. „Das habe ich gemerkt. Deswegen habe ich dir auch gleich alles gezeigt.“Sie prosteten sich zu, tranken einen Schluck. „Sag mal, bist du ein

Schriftste­ller oder ein Buchhändle­r?“

Stadler lachte. „Ganz dicht dran. Ich bin Journalist.“

„Eh“, Paolini freute sich. „Und schreibst du über die Insel?“

Stadler roch noch mal an seinem Schnaps und feilte dabei an einer Antwort. „Ich glaube nicht“, sagte er dann. „Aber ich komme auf jeden Fall wieder. Diese Bücher von den Seefahrern, diese Memoiren ... was geschieht mit ihnen?“

„Du kannst sie kaufen.“

„Wie? Ich kann einfach hier reinspazie­ren und so ein Unikat mitnehmen.“

„Nun ja“, Paolini wackelte mit der Hand. „Billig sind sie nicht.“

Wollte er sich bitten lassen? Wollte er verhandeln?

„Na komm schon.“Stadler stieß ihn mit der Schulter an.

„Also es gibt drei Preise“, begann Paolini.

Stadler nickte und der Wirt senkte die Stimme.

„Am teuersten sind die Handschrif­ten.

1800 Euro zahlst du dafür.“

Stadler pfiff leise durch die Zähne und überschlug blitzschne­ll.

„Für ein Unikat? Das ist doch eigentlich unbezahlba­r.“

„Du sagst es, mein Freund. Wir garantiere­n auch, dass es nur ein Exemplar gibt. Aber die Blätter sind eingescann­t und der Verfasser hat die einzige Kopie.“

„Und da kriegt er nur 1800 Euro gewisserma­ßen für sein Lebenswerk?“

„Nein.“Paolini schüttelte den Kopf. „Er kriegt nur 900 Euro. 700 gehen an die Genossensc­haft und 200 bleiben für die Unkosten und so weiter bei mir.“

„Und bei den maschinege­tippten Manuskript­en?“

„Da ist es ähnlich, die kosten aber nur 900 Euro. Dafür gibt es von jedem fünf Exemplare.“

„Was ist dann die dritte Preisklass­e?“

„Die dritte Preisklass­e sind die Erinnerung­en, von denen wir beliebig viele Kopien verkaufen dürfen. Die kosten 199 Euro pro Stück. Das ist ja alles immer noch Handarbeit, gewisserma­ßen. Auch der Buchbinder will bezahlt sein.“Paolini sprach, als wolle er sich entschuldi­gen.

„Ist schon gut, ich denke, der Preis geht in Ordnung“, sagte Stadler rasch.

„Möchtest du so einen Band kaufen?“, fragte Paolini, und jetzt klang er wieder genau wie der türkische Teppichhän­dler.

Stadler schüttelte den Kopf, stürzte den Rest von seinem Grappa hinunter und klopfte auf das Buch in seiner Hand. „Für heute bleibt es wohl bei diesem hier und bei den Getränken. Aber ich würde gerne wiederkomm­en.“

„Nun, der Grappa geht aufs Haus. Und für das Buch müssen wir nach hinten gehen, das läuft über eine andere Kasse.“

Stadler warf für den zwei Euro auf den Tresen und folgte dem Wirt.

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