Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Pionierin Olympias

Heidi Schüller sprach 1972 als erste Frau bei Sommerspie­len den olympische­n Eid. Heute wird sie 70

- Von Christoph Leuchtenbe­rg

Heidi Schüller war als Hürdenspri­nterin und Weitspring­erin eine Wucht, als Ärztin eine Kapazität, als Fernseh-Moderatori­n populär. Es waren aber 34 schlichte Worte, die die Alleskönne­rin aus Passau zu Weltbekann­theit führten: 1972 sprach sie in München als erste Frau bei Sommerspie­len den olympische­n Eid. Längst blickt Schüller, die heute 70 Jahre alt wird, mit gemischten Gefühlen zurück.

„Im Namen aller Teilnehmer verspreche ich, dass wir uns bei den Olympische­n Spielen als loyale Wettkämpfe­r erweisen, ihre Regeln achten und teilnehmen im ritterlisc­hon chen Geist zum Ruhme des Sports und zur Ehre unserer Mannschaft­en“, verkündete die 22-Jährige am 26. August 1972 im Olympiasta­dion. Der Tragweite sei sie sich da nicht bewusst gewesen, sagt sie.

Die italienisc­he Skirennläu­ferin Giuliana Minuzzo 1956 in Cortina d’Ampezzo und US-Eiskunstlä­uferin Carol Heiss 1960 in Squaw Valley hatten vor Schüller bei Winterspie­len das Verspreche­n der Aktiven in die Welt gesandt. Bei den populärere­n Sommerspie­len war Schüller die erste eidspreche­nde Athletin – und blieb bis Teresa Edwards 1996 in Atlanta die einzige.

Zehn Tage nach der Eröffnungs­feier von München ermordeten palästinen­sische Terroriste­n elf israelisch­e Sportler, IOC-Präsident Avery Brundage sprach darauf fünf Worte, die weit mehr nachwirkte­n als die 34 Schüllers. „Ich hätte eigentlich zu dem ,The Games must go on’ was sagen müssen“, sagt Schüller. Brundages Ausspruch sei „unerträgli­ch“gewesen, aber nicht überrasche­nd, „denn er hatte die Fernsehrec­hte alle weiterverk­auft, die konnten ja gar nicht zurück.“

Sportlich verliefen die Spiele für Schüller durchwachs­en, im Weitsprung wurde sie beim umjubelten Gold Heide Rosendahls Fünfte. Nach den Spielen beendete sie noch blutjung ihre aktive Karriere.

Schüller wurde Ärztin, Autorin, moderierte TV-Formate wie „Talk im Turm“und gründete die Initiative „Wir gegen Doping“mit. Sie plädierte für einen Boykott der Sommerspie­le 2008 in Peking, schoss 2013 gegen den neuen IOC-Präsidente­n Thomas Bach („Falscher Mann am falschen Platz.“). Den Eid, das erklärte sie bereits 2008, würde sie nicht mehr sprechen.

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FOTO: IMAGO Heidi Schüller 2008 als FernsehMod­eratorin

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