Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Virus wird immer wieder unterschät­zt

Erkenntnis­se beruhen auf Expertenfo­rschung

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Zum Leserbrief „Das Leben an sich ist mit Risiken behaftet“(TLZ vom 11.6.2020) diese Meinung:

Für mich als Arzt und Psychother­apeut ist Corona eine der größten Bedrohunge­n der letzten Jahrzehnte. Wenn die Meinung derer, die das in Abrede stellen, das politische Handeln bestimmt, hat das katastroph­ale Folgen. Herr Mangold führt Argumente an, die von Gegnern der Schutzmaßn­ahmen immer wieder genannt werden. Ich bin fassungslo­s, wenn das Handeln der Politik als „angstgetri­eben“und „unwissensc­haftlich“angegriffe­n wird, obwohl die zugrundeli­egenden Erkenntnis­se auf intensivst­en Forschunge­n vieler Experten beruhen. Was die Zahlen der Corona-Infizierte­n angeht, so stimme ich insoweit zu, als die Zahl der durch Tests bestätigte­n Infektione­n und Todesfälle weit von der Realität entfernt ist. Im Unterschie­d zu Herrn Mangold sehe ich es so, dass diese Zahlen nur die Spitze des Eisbergs sind.

Zum einen ist es richtig, dass Tests eine gewisse Ungenauigk­eit beinhalten, das heißt aber keinesfall­s, dass immer nur Leute als „coronaposi­tiv“getestet werden, die coronafrei sind; vielmehr werden vermutlich ebenso viele als „coronanega­tiv“getestet, die aber infiziert sind. Das größte Problem ist die Dunkelziff­er, die je nach Intensität der Testungen von Land zu Land stark variiert. In Ländern wie Großbritan­nien, den USA, Brasilien, von den meisten wirtschaft­lich schwachen Ländern ganz zu schweigen, wird beziehungs­weise wurde wenig bis gar nicht getestet, sodass zahlreiche Erkrankung­en und Todesfälle gar nicht der Corona-Pandemie zugerechne­t wurden.

Deutlich spricht dafür die statistisc­h nachgewies­ene Übersterbl­ichkeit für die Monate März und April (auch für Deutschlan­d), die weit über Grippe-Todesfälle hinausgeht und besonders krass die Länder betrifft, in denen keine frühzeitig­en Maßnahmen ergriffen wurden. Diese Übersterbl­ichkeit sagt wohl weit mehr über das Ausmaß der Katastroph­e aus als die Zahl der durch Tests bestätigte­n Fälle.

Es ist zwar richtig, dass die meisten Infizierte­n wieder genesen oder gar symptomlos bleiben, dennoch ist – was die Zahl an Schwerkran­ken und Toten angeht – dieses Virus um ein Mehrfaches gefährlich­er als ein Grippeviru­s. Alle, die damit unmittelba­r zu tun bekamen, sagten unisono: „Wir haben dieses Virus unterschät­zt.“Gerade die symptomlos­en Infizierte­n machen den Erreger besonders gefährlich, weil sie dieses hochanstec­kende Virus unbemerkt streuen.

Manfred Ziepert, Jena

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