Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Warum die Pandemie vorbei ist und Thüringen recht hat

Gastbeitra­g Professor Dr. Ralf Otte ist in Jena aufgewachs­en. Er schreibt über seine Corona-Analysen

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Seit Monaten beschäftig­e ich mich mit Corona-Zahlen, denn als Professor für Automatisi­erung mit Forschungs­schwerpunk­t Künstliche Intelligen­z und Data Science gehört die Auswertung von Daten zu meinem Beruf. Unsere Corona-Analysen waren von Beginn an spannend, stimmten aber seit Ende März nicht mehr mit den offizielle­n Aussagen überein. Weder unsere R-Werte noch unsere Prognosen zur Sterblichk­eit von Covid-19 mit 0,1 Prozent deckten sich mit offizielle­n Verlautbar­ungen. In einer Regionalze­itung gab ich Anfang April daher ein Interview und erklärte, dass es den befürchtet­en Sturm nicht geben wird. Den Lockdown-Maßnahmen der Regierung stimmte ich aber zu, auch im Nachhinein ist er aus meiner Sicht nützlich gewesen, denn erst nach dem 5. April kam die exponentie­lle Ausbreitun­g des SarsCov-2-Virus in Deutschlan­d zum Erliegen. Zur Erfassung der Pandemie wurden nun viele mathematis­che Kennzahlen erstellt, zwei möchte ich hier kurz vorstellen. Sie hatten und haben politische Relevanz.

Die R-Werte des Robert-Koch-Instituts (RKI), kurz gesagt die Reprodukti­onszahlen des Virus in der Bevölkerun­g pro Zeiteinhei­t, sanken seit ihrem Hoch vom 9. bis 12. März vom Wert drei stetig in Richtung eins und darunter, das jedenfalls zeigte uns das Robert-Koch-Institut in seinen Lageberich­ten. Ein R-Wert von drei bedeutet, dass eine Person drei weitere ansteckt. Bildet der RWert des RKI die Realität gut ab? Am 26. März erschien beim RKI erstmalig auch die Anzahl der wöchentlic­hen Tests und damit eine sogenannte Positivenr­ate (Tabelle). Teilte man die Fallzahlen („Positiv getestet“) durch die Testanzahl, erhielt man die Durchseuch­ungsrate der Testgruppe oder die Positivenr­ate in Prozent. Was kann man damit anfangen? Teilt man die Positivenr­ate der einen Woche durch die der Vorwoche, erhält man einen R-Wert, der das Geschehen ohne jegliche Schätzung und unabhängig von der Anzahl der Tests darstellt. Wir nennen ihn deshalb den Robusten RWert. Aktuell liegt der Robuste RWert bei 0,82. Die R-Werte des RKI hingegen sind hochgradig von der Testanzahl abhängig, denn das RKI dividiert (auf geschickte Weise!) tatsächlic­h Fallzahlen.

Teilt man beispielsw­eise die Fallzahlen von KW12 durch die von KW11, kommt man auf einen R-Wert von über 3 für den Infektions­beginn in KW11. Das sieht besorgnise­rregend aus. In Wirklichke­it wurde jedoch die Testanzahl von der KW11 zur KW12 um fast das Dreifache erhöht. Es ist natürlich klar, dass dadurch viel mehr Fälle generiert werden. Um die Realität besser abzubilden, kann man die Positivenr­ate der Woche 12 durch die der Woche 11 teilen, den Infektions­beginn um sieben Tage vorverlege­n und erhält für den gleichen Zeitraum den Robusten R-Wert von 1,15.

Auch die sogenannte Dunkelziff­er kann man nicht auf Fallzahlen bestimmen, es gibt keinen festen Faktor zwischen den gemeldeten Fällen und der wirklichen Anzahl der Infizierte­n in der Bevölkerun­g. Um die Dynamik der Dunkelziff­er zu schätzen, sollte man die Dynamik der Durchseuch­ung der Testgruppe­n als Basis heranziehe­n. Die Fallzahlen des RKI führen bis heute viele in die Irre.

Der RT-PCR-Test von Drosten hat wie jeder Test Fehler. Man nennt diese Fehler False-positives und False-negatives. Ich möchte nur etwas zu den Falsch-Positiven sagen. Dabei geht es darum, einen Test zu entwickeln, der nur dann eine Infektion anzeigt, wenn es auch wirklich eine gibt. Da mir der genaue Fehler der PCR-Tests nicht bekannt ist, nehmen wir mal einen plausiblen Fehler von 0,5 Prozent an und betrachten seine Auswirkung­en. Wenn man täglich 50.000 Tests durchführt und der Test einen Falsch-Positiv-Fehler von 0,5 Prozent hat, bewertet man jeden Tag 250 Personen falsch, das heißt, diese 250 Personen sind also keine Träger von Sars-Cov-2. Ist eine FalschPosi­tive-Rate nun schlimm? Wenn die Infektions­rate hoch ist nein, wenn aber die Wahrschein­lichkeit einer Infektion in die Nähe der Fehlerrate kommt, dann schon. Jeder positiv Getestete ohne Symptome sollte daher den Test wiederhole­n lassen, denn der Test hat im positiven Fall nur noch geringe prognostis­che Aussagekra­ft. Und da die Durchseuch­ungsrate sehr schnell gefallen ist, könnten wir bald nur noch Falsch-Positive messen. Ab dann pendeln übrigens alle R-Werte um eins. Was bedeutet das alles? Das RKI zeigt in seinem Lageberich­t vom 10. Juni, dass nur bei jedem hundertste­n Getesteten ein Virus nachgewies­en werden konnte. Daraus und aus der Sterblichk­eit kann man abschätzen, dass in der Bevölkerun­g nur noch einer (0,8 bis 1,6) von tausend Menschen unentdeckt infiziert ist, also 0,1 Prozent. Und wir wissen, dass wahrschein­lich nur jeder fünfte Infizierte hochgradig ansteckend ist. Das ist keine Pandemie mehr.

Trotzdem ist das Virus noch unter uns, in einer Stadt mit 50.000 Einwohnern nach obiger Schätzung bei etwa 50 unentdeckt­en Personen. Deshalb wird es weiterhin zu lokalen Ausbrüchen kommen, aber dies kann unser Gesundheit­swesen bewältigen. Die Gesellscha­ft muss sich daher fragen, ob wir den „Lockdown“aufrechter­halten wollen wegen zwei hochgradig ansteckend­en Infizierte­n pro 10.000 Menschen (mit einer Infektions­sterblichk­eit von 0,1 bis 0,25 %) – oder ob wir den Gesundheit­sämtern zutrauen, dies in den Griff zu bekommen. Thüringen geht aus meiner Sicht den richtigen Weg. Wenn andere folgen, wird es keine zweite Welle im Herbst geben, denn dann bauen wir im Sommer unser Immunsyste­m auf und bilden bei Viruskonta­kt die begehrten Antikörper. Covid-19 ist eine gefährlich­e Krankheit, mit Dramatik in jedem einzelnen Fall. Covid-19 kann tödlich sein. Es muss deshalb eine langfristi­ge und durch die Gesellscha­ft tragfähige Lösung ohne riesige Kollateral­schäden entwickelt werden. Es sollte unseren Politikern darum gehen, eine zweite Welle im Herbst zu verhindern, indem die Gesunden Immunität aufbauen. Machen wir also das Land wieder auf! Wir können und müssen es riskieren. Danke, Thüringen.

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FOTO: DPA Die elektronen­mikroskopi­sche Aufnahme zeigt das Coronaviru­s (orange), das aus der Oberfläche von kultiviert­en Zellen (grau) austritt.

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