Thüringische Landeszeitung (Weimar)
„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger
Fortsetzungsroman – Folge 83
Und fast immer haben die älteren Herren jüngere Partnerinnen gewählt. Oder war es vielleicht umgekehrt, haben die jungen Frauen gewählt und erlagen die älteren Männer deren Verführungskünsten?
Viele Männer machten sich dabei zu Narren, nicht nur Schauspieler und Sportler. Vielen der jungen Frauen sah man die Motive ihrer Wahl schon an der Nasenspitze an. Manchmal merkte man es auch an ihrem Intellekt. Glaubten diese Männer denn wirklich, dass die jungen Dinger sie lieben würden? Lächerlich. Die waren auf Publicity aus. Und auf Geld. Geld und Ansehen waren schon immer starke Triebkräfte in solchen ungleichen Beziehungen. Ach ja, Macht kam auch noch dazu.
Dann waren da noch die testosterongesteuerten Reichen, die eine junge Frau an ihrer Seite brauchten wie eine edle Uhr am Handgelenk – nur zum Angeben und zum Streicheln ihres Egos. Eine Art Selbstbefriedigung
in Anwesenheit des anderen Geschlechtes.
In Italien, einem Land, von dem er sich sicher war, dass es den klassischen Playboy erfunden hat, musste man überhaupt nicht lange suchen. Bei Silvio Berlusconi, da war sich Stadler sicher, waren es genau 20 Jahre Altersunterschied. Und zwar bei der Ehefrau. Das Bunga-BungaMädchen, das er sich wohl gekauft hatte, war ja selbst noch keine 18. Und Flavio Briatore erst. Ein Industrieller, der das Playboy-Image noch mehr pflegte als seine graue Mähne. Das Model Heidi Klum hatte ihn zwischen ihren zwei Ehen erobert, vielleicht war es auch umgekehrt, und sich von ihm schwängern lassen. Das müsste 2003 gewesen sein – Stadler war schon ein paar Jahre in Rom und der Fall machte gerade in der Boulevardpresse richtig Schlagzeilen. Heute ist Briatore mit der 30 Jahre jüngeren Elisabetta Gregoraci verheiratet, die ihm im Vorjahr Söhnchen Falcone geschenkt hat. Ein geläumerkwürdigerweise terter Playboy, so wie einst Gunter Sachs, der sich in späten Jahren noch als Fotograf einen Namen gemacht hat? Wer weiß das schon?
Aber wie war es bei ihm selbst, fragte er sich. Ein Playboy war er gewiss nicht, und Geld konnte es auch nicht sein, was ihn für Carlotta attraktiv machte. Was war es also? Stadler stand auf, was ihm heute schwer fiel, und betrachtete sich im Spiegel. Nicht wie ein eitler Gockel, sondern eher wie ein Naturforscher, der beim Spaziergang eine seltene Art entdeckt hatte. Aber es gab keinen Zweifel: Es konnte auch nichts Körperliches sein, was Carlotta an ihm begehrenswert fand. Sicherlich, er war nicht gerade ein Ausbund an Hässlichkeit, er war groß gewachsen und stattlich, hatte kein unangenehmes Äußeres. Doch er schleppte bestimmt 20 Kilogramm zu viel mit sich herum, er hatte weißes und dünnes Haar, man sah ihm jedes einzelne seiner 54 Jahre an, kurz, er fand nichts an sich, was eine junge Frau anziehend finden konnte. Höchstens seine Lippen, dachte er in einem Anflug von Koketterie. Sie waren groß und weich, und er glaubte, ganz passabel küssen zu können.
Was also treibt eine junge Frau zu einem alten Mann?
Schließlich, es gab prominente Paare, denen der Altersunterschied scheinbar nichts anhaben konnte. War nicht Michael Douglas 25 Jahre älter als Catherine Zeta-Jones. Und waren sie nicht ungeachtet dieses Unterschiedes ein Herz und eine Seele, auch wenn sich die Medien zu Beginn der Beziehung vor Häme schier zerfetzt haben. Hubert Burda und Maria Furtwängler waren, so glaubte er sich zu erinnern, noch weiter auseinander. Und waren die nicht ein durchaus ernstzunehmendes, ein seriöses Paar? Ein Paar, dem man nun wirklich nicht unterstellen konnte, nur auf Schlagzeilen aus zu sein?
Einen Sonderfall schließlich stellten wohl Jopie Heesters und dessen zweite Frau Simone Rethel dar. Er war schon fast 90, als die beiden heirateten, sie war noch keine 50 Jahre alt. Stadler war geneigt, den beiden Liebe zu unterstellen. Heesters war sicherlich nicht arm – aber er galt auch nicht als einer, dessen Millionen junge Frauen in Scharen anlockten. Und mit 90 war man dann doch ein bisschen das, was man flapsig als „weg vom Fenster“bezeichnete. Wäre Heesters Frau eine Altenpflegerin gewesen, man hätte auch noch andere Motive hinterfragen können. Doch sie war Schauspielerin, selbst einigermaßen erfolgreich, und so kam eigentlich nur noch Liebe infrage.
Wo aber kommt sie her, so eine Liebe, wenn der Altersunterschied doch so groß ist? Stadler wollte keine Antwort auf diese Frage einfallen, dabei war er doch offenbar nun selbst von so einer seltsamen Liebesgeschichte betroffen. War er das wirklich?
Er trat auf den Balkon hinaus. Wieder blickte er übers Meer, das hier auf der Insel allgegenwärtig war.
Stadler hatte einmal in München so ein Pärchen kennengelernt. Sie war eine junge Literaturwissenschaftlerin, die sich gelegentlich in Buchrezensionen versuchte, die dann in der Feuilleton-Redaktion des Boten landeten.