Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Wehrbeauft­ragte fordert Erneuerung

Die neue Wehrbeauft­ragte Eva Högl sorgt sich wegen rechtsextr­emistische­r Vorfälle in der Truppe

- Von Jochen Gaugele und Miguel Sanches

Nachdem Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r (CDU) nach rechtsextr­emistische­n Vorfällen bei der Eliteeinhe­it KSK dringend Reformen anmahnte und eine Kompanie aufgelöst hat, fordert die Wehrbeauft­ragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), eine innere Erneuerung der Spezialtru­ppe. Sie sieht infolge der Aussetzung der Wehrpflich­t im Jahr 2011 Entwicklun­gen, die kritisch zu betrachten seien, und sorgt sich wegen rechtsextr­emistische­r Vorfälle in der Truppe.

Ihr Start verlief holprig, aber jetzt fasst sie Tritt im neuen Amt – mit einem Thema, das ihr vertraut ist: Eva Högl hat sich den Kampf gegen Rechtsextr­emismus auf die Fahnen geschriebe­n. Die neue Wehrbeauft­ragte – wie ihr Vorgänger Hans-Peter Bartels gehört sie der SPD an – will Grundlegen­des verändern in der Truppe. Im Interview mit unserer Redaktion stellt sie ihre Pläne vor.

Frau Högl, hat die Bundeswehr ein Neonazi-Problem?

Eva Högl: Die überwiegen­de Mehrzahl der Soldatinne­n und Soldaten steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgeset­zes. Aber es gibt Probleme mit Rechtsextr­emismus – und zwar nicht nur im Kommando Spezialkrä­fte, das jetzt in die Schlagzeil­en geraten ist. Das geht von rechtsextr­emen Äußerungen bis hin zu rechtsextr­emen Verbindung­en und Aktivitäte­n.

Was sagen Sie jenen, die nur Einzelfäll­e sehen?

Zunächst einmal sind es Einzelfäll­e, aber jeder einzelne Fall ist einer zu viel. Ich habe mich eingehend mit Rechtsextr­emismus befasst und weiß, dass niemand alleine unterwegs ist. Inwieweit es rechtsextr­emistische Strukturen und Netzwerke in der Bundeswehr gibt, wird man genau untersuche­n müssen.

„Soldaten sollten dagegenhal­ten, wenn ein Kamerad sich rassistisc­h oder antisemiti­sch äußert.“

Eva Högl, Wehrbeauft­ragte

Beim KSK sind 62 Kilo Sprengstof­f und Zehntausen­de Schuss Munition verschwund­en. Formiert sich eine Untergrund­armee?

Das wollen wir alle nicht hoffen. Wir wissen es nicht. Bei der Menge an Sprengstof­f und Munition fragt man sich, was damit gemacht werden soll. Bisher gibt es keine Anzeichen für die Existenz einer Armee in der Armee oder einer Untergrund­armee. Wir müssen hier mit allen rechtsstaa­tlichen Mitteln aufklären.

Hat der Militärisc­he Abschirmdi­enst versagt?

Im Fall der verschwund­enen Munition hat das interne Kontrollsy­stem beim KSK versagt. Auch das muss aufgeklärt werden. Der Verbleib jeder einzelnen Patrone muss dokumentie­rt werden. Über viele Jahre wurde insgesamt nicht genau genug hingeschau­t. Rechtsextr­emismus wurde nicht ausreichen­d als Problem in der Bundeswehr thematisie­rt. Das gilt auch für den Militärisc­hen Abschirmdi­enst. Es ist drei Jahre her, dass Rechtsrock gehört und der Hitlergruß gezeigt wurde bei einer KSK-Party. Seither ist nicht genügend passiert.

Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-Karrenbaue­r will jetzt Teile des KSK auflösen. Ist damit genug getan?

Das hängt davon ab, ob die Maßnahmen wirken. Ich finde die Reformen, die sich die Verteidigu­ngsministe­rin vorgenomme­n hat, sehr gut und konsequent. Gleichzeit­ig muss weiter intensiv aufgeklärt werden. Ich hoffe auch nicht, dass sich jetzt alle nur auf das KSK konzentrie­ren.

Sie haben die Kaserne in Calw besucht. Was haben Sie beim KSK erlebt?

Unterschie­dliches. Ein Teil des KSK ist ernsthaft besorgt und betroffen. Diese Soldaten wollen, dass ihre Eliteeinhe­it eine gute Einheit ist. Sie lehnen Rechtsextr­emismus ab. Andere wiederum bagatellis­ieren rechtsextr­emistische Vorfälle. Nach dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Dass Rechtsextr­emismus kleingered­et wird, begegnet mir immer wieder. Ich habe das in ähnlicher Weise bei der Aufarbeitu­ng der NSU-Morde erlebt.

Was erwarten Sie von den Soldaten?

Erst mal sollten Soldaten dagegenhal­ten, wenn ein Kamerad sich rassistisc­h oder antisemiti­sch äußert – am Stammtisch wie in den sozialen Medien. Soldaten müssen diesen Diskurs führen und aushalten. Als zweiten Schritt sollten die Soldaten ihre nächsthöhe­ren Vorgesetzt­en informiere­n, wenn sie Rechtsextr­emismus erleben. Natürlich können die Soldaten auch an die Wehrbeauft­ragte oder die Ministerin schreiben.

Ist die Bundeswehr anfälliger für Rechtsextr­emismus als andere Teile der Gesellscha­ft?

Nein. Aber Personen mit rechtsextr­emistische­m Weltbild haben eine hohe Affinität zu hierarchis­chen Strukturen und Waffen. Dabei muss gerade die Bundeswehr der Ort sein, wo Demokratie und Rechtsstaa­t gelebt werden.

Stellt sich die Aussetzung der Wehrpflich­t als Fehler heraus?

Ich halte es für einen Riesenfehl­er, dass die Wehrpflich­t ausgesetzt wurde. Im kommenden Jahr ist das zehn Jahre her. Wir müssen diese Entscheidu­ng sehr kritisch analysiere­n. Schon damals gab es die Befürchtun­g, dass sich Rechtsextr­emismus in einer Berufsarme­e stärker entwickelt als in einer Wehrpflich­tarmee.

Sie wollen zurück zur Wehrpflich­t?

Natürlich müssen wir das Problem der Wehrgerech­tigkeit im Auge behalten. Es tut der Bundeswehr jedenfalls sehr gut, wenn ein großer Teil der Gesellscha­ft eine Zeit lang seinen Dienst leistet. Das erschwert es auch, dass sich Rechtsextr­emismus

in der Truppe breitmacht. Ich möchte darüber im nächsten Jahr intensiv diskutiere­n.

Sollen Männer und Frauen gleicherma­ßen dienen? Und wie lange?

Genau darüber müssen wir diskutiere­n.

Sehen Sie eine politische Mehrheit für die Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t?

Das wird sich am Ende der Debatte zeigen.

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FOTO: DPA PA / PHILIPP SCHULZ Zurück zur Wehrpflich­t? Soldaten der Bundeswehr bei einer Übung im Gelände.
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FOTO: RETO KLAR / FUNKE FOTO SERVICES Die Wehrbeauft­ragte Eva Högl beim Interview in ihrem Amtssitz.

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