Thüringische Landeszeitung (Weimar)
Wehrbeauftragte fordert Erneuerung
Die neue Wehrbeauftragte Eva Högl sorgt sich wegen rechtsextremistischer Vorfälle in der Truppe
Nachdem Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nach rechtsextremistischen Vorfällen bei der Eliteeinheit KSK dringend Reformen anmahnte und eine Kompanie aufgelöst hat, fordert die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), eine innere Erneuerung der Spezialtruppe. Sie sieht infolge der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 Entwicklungen, die kritisch zu betrachten seien, und sorgt sich wegen rechtsextremistischer Vorfälle in der Truppe.
Ihr Start verlief holprig, aber jetzt fasst sie Tritt im neuen Amt – mit einem Thema, das ihr vertraut ist: Eva Högl hat sich den Kampf gegen Rechtsextremismus auf die Fahnen geschrieben. Die neue Wehrbeauftragte – wie ihr Vorgänger Hans-Peter Bartels gehört sie der SPD an – will Grundlegendes verändern in der Truppe. Im Interview mit unserer Redaktion stellt sie ihre Pläne vor.
Frau Högl, hat die Bundeswehr ein Neonazi-Problem?
Eva Högl: Die überwiegende Mehrzahl der Soldatinnen und Soldaten steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Aber es gibt Probleme mit Rechtsextremismus – und zwar nicht nur im Kommando Spezialkräfte, das jetzt in die Schlagzeilen geraten ist. Das geht von rechtsextremen Äußerungen bis hin zu rechtsextremen Verbindungen und Aktivitäten.
Was sagen Sie jenen, die nur Einzelfälle sehen?
Zunächst einmal sind es Einzelfälle, aber jeder einzelne Fall ist einer zu viel. Ich habe mich eingehend mit Rechtsextremismus befasst und weiß, dass niemand alleine unterwegs ist. Inwieweit es rechtsextremistische Strukturen und Netzwerke in der Bundeswehr gibt, wird man genau untersuchen müssen.
„Soldaten sollten dagegenhalten, wenn ein Kamerad sich rassistisch oder antisemitisch äußert.“
Eva Högl, Wehrbeauftragte
Beim KSK sind 62 Kilo Sprengstoff und Zehntausende Schuss Munition verschwunden. Formiert sich eine Untergrundarmee?
Das wollen wir alle nicht hoffen. Wir wissen es nicht. Bei der Menge an Sprengstoff und Munition fragt man sich, was damit gemacht werden soll. Bisher gibt es keine Anzeichen für die Existenz einer Armee in der Armee oder einer Untergrundarmee. Wir müssen hier mit allen rechtsstaatlichen Mitteln aufklären.
Hat der Militärische Abschirmdienst versagt?
Im Fall der verschwundenen Munition hat das interne Kontrollsystem beim KSK versagt. Auch das muss aufgeklärt werden. Der Verbleib jeder einzelnen Patrone muss dokumentiert werden. Über viele Jahre wurde insgesamt nicht genau genug hingeschaut. Rechtsextremismus wurde nicht ausreichend als Problem in der Bundeswehr thematisiert. Das gilt auch für den Militärischen Abschirmdienst. Es ist drei Jahre her, dass Rechtsrock gehört und der Hitlergruß gezeigt wurde bei einer KSK-Party. Seither ist nicht genügend passiert.
Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer will jetzt Teile des KSK auflösen. Ist damit genug getan?
Das hängt davon ab, ob die Maßnahmen wirken. Ich finde die Reformen, die sich die Verteidigungsministerin vorgenommen hat, sehr gut und konsequent. Gleichzeitig muss weiter intensiv aufgeklärt werden. Ich hoffe auch nicht, dass sich jetzt alle nur auf das KSK konzentrieren.
Sie haben die Kaserne in Calw besucht. Was haben Sie beim KSK erlebt?
Unterschiedliches. Ein Teil des KSK ist ernsthaft besorgt und betroffen. Diese Soldaten wollen, dass ihre Eliteeinheit eine gute Einheit ist. Sie lehnen Rechtsextremismus ab. Andere wiederum bagatellisieren rechtsextremistische Vorfälle. Nach dem Motto „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“. Dass Rechtsextremismus kleingeredet wird, begegnet mir immer wieder. Ich habe das in ähnlicher Weise bei der Aufarbeitung der NSU-Morde erlebt.
Was erwarten Sie von den Soldaten?
Erst mal sollten Soldaten dagegenhalten, wenn ein Kamerad sich rassistisch oder antisemitisch äußert – am Stammtisch wie in den sozialen Medien. Soldaten müssen diesen Diskurs führen und aushalten. Als zweiten Schritt sollten die Soldaten ihre nächsthöheren Vorgesetzten informieren, wenn sie Rechtsextremismus erleben. Natürlich können die Soldaten auch an die Wehrbeauftragte oder die Ministerin schreiben.
Ist die Bundeswehr anfälliger für Rechtsextremismus als andere Teile der Gesellschaft?
Nein. Aber Personen mit rechtsextremistischem Weltbild haben eine hohe Affinität zu hierarchischen Strukturen und Waffen. Dabei muss gerade die Bundeswehr der Ort sein, wo Demokratie und Rechtsstaat gelebt werden.
Stellt sich die Aussetzung der Wehrpflicht als Fehler heraus?
Ich halte es für einen Riesenfehler, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Im kommenden Jahr ist das zehn Jahre her. Wir müssen diese Entscheidung sehr kritisch analysieren. Schon damals gab es die Befürchtung, dass sich Rechtsextremismus in einer Berufsarmee stärker entwickelt als in einer Wehrpflichtarmee.
Sie wollen zurück zur Wehrpflicht?
Natürlich müssen wir das Problem der Wehrgerechtigkeit im Auge behalten. Es tut der Bundeswehr jedenfalls sehr gut, wenn ein großer Teil der Gesellschaft eine Zeit lang seinen Dienst leistet. Das erschwert es auch, dass sich Rechtsextremismus
in der Truppe breitmacht. Ich möchte darüber im nächsten Jahr intensiv diskutieren.
Sollen Männer und Frauen gleichermaßen dienen? Und wie lange?
Genau darüber müssen wir diskutieren.
Sehen Sie eine politische Mehrheit für die Wiedereinführung der Wehrpflicht?
Das wird sich am Ende der Debatte zeigen.