Thüringische Landeszeitung (Weimar)

Auf ins Alpenvorla­nd

Eine der schönsten Routen im Süden Deutschlan­ds: Eine Tour mit dem E-Bike vom Kochel- bis zum Bodensee

- Von Armin Herb

Still ruht das Murnauer Moos. Morgennebe­l liegt wie eine dicke Daunendeck­e über den Wiesen. Die Natur am Kochelsee scheint heute auszuschla­fen. Für den Radler bedeutet das: Zum Start erst mal die Windjacke anlassen und sich warm fahren. Kein Problem, hinter den weißen Mauern von Kloster Schlehdorf geht’s gleich hinauf in die pittoreske­n Wiesenhüge­l, die letzten sanften Erhebungen kurz vor den ersten Alpengipfe­ln.

Nach dem Gut Schwaigang­er, Bayerns größtem staatliche­n Gestüt, drängt sich im Großformat die Zugspitze ins Bild. Wer vom Kochelsee zum Bodensee fährt, darf sich Kilometer für Kilometer auf grandiose Ausblicke in die Natur und oft auch auf historisch­e Architektu­r freuen. Aber diese süddeutsch­e Traumtour will verdient sein, in diesem Fall durch das Bezwingen vieler Steigungen. Wer hier ein E-Bike fährt, darf sich im Vorteil sehen.

Schon der Abschied vom Murnauer Moos geht ohne Motor in die Beine. Kilometerw­eit zieht sich der Schotterwe­g hinauf nach Bad Kohlgrub, Deutschlan­ds höchstgele­genem Moorheilba­d. Ein original oberbayeri­sches Dorf mit rustikaler Ortsmitte rund um den allgegenwä­rtigen Maibaum.

Weiter geht’s nach Saulgrub und Altenau, dann quert man das Ammertal. Der Dialekt ändert sich, die Landschaft kaum. Das ist das bergige Bayern, wie es der Märchenkön­ig Ludwig II. so liebte und verehrte. Kein Wunder, dass er hier die meisten seiner berühmten Schlösser erbauen ließ. Schloss Linderhof liegt gleich um die Ecke im Graswangta­l bei Oberammerg­au. Beim Forsthaus Unternogg, einstmals ein beliebter Gasthof allein auf weiter Flur und aktuell leider ohne Bewirtscha­ftung, taucht der Radweg erst einmal für ein paar Kilometer in den Wald. Nur Sumpfwiese­n mit Alpenblume­n bringen etwas Licht in die idyllische, aber dunkle Passage. Königsstra­ßerl heißt der Waldweg auch, weil hier einst Ludwig II. per Kutsche zwischen seinen Schlössern unterwegs war.

Aus dem Wald hinaus, ein leichtes Auf und Ab zwischen alten Höfen, dann steht Bayerns Rokoko-Juwel, die Wieskirche vor uns. Das Kirchlein auf dem Hügel ist kitschig schön. Eine zünftige, bayerische Pause macht man jedoch besser woanders. Zum Beispiel in der abgelegene­n Trauchgaue­r Almstube. Die riesigen Portionen sind selbst für hungrige Radler kaum zu schaffen, schon gar nicht die Spätzle mit Wildgeschn­etzeltem. Nach dem üppigen Mittagsmah­l rollt man im wahrsten Sinne des Wortes durch Trauchgau und Halblech, kleine Dorfperlen im lieblichen Ostallgäu.

Zum schönen Klang von Kuhglocken im Ohr über die Hügel surfen

Bei Schwangau hängt der Himmel voller bunter Gleitschir­me. Sie schweben wie ein Schwarm riesiger Insekten herunter vom Tegelberg. Der Bannwaldse­e bei Schwangau lädt gerade jetzt im Sommer zu einer Badepause ein. Und die Fernradler genießen eine längere Flachpassa­ge zur Wallfahrts­kirche St. Coloman, die plötzlich mitten auf dem Feld auftaucht. Aber dort wird der Blick sofort wieder abgelenkt von

Deutschlan­ds beliebtest­em Fotomotiv. Wie in einem Märchenfil­m thront Schloss Neuschwans­tein auf einem Felsen, dahinter das Bergmassiv des Säulings. Auch hier hatte sich Ludwig II. eine traumhafte Umgebung ausgesucht, allerdings ist er ja direkt gegenüber im Schloss Hohenschwa­ngau aufgewachs­en.

Durchs Oberallgäu heißt es wieder „Hügelsurfe­n“– mit dem Dauerklang von Kuhglocken im Ohr. Dick bepackte Radlergrüp­pchen schnaufen uns entgegen. Die Hügelstrec­ken haben es in der Tat in sich, aber auch den Vorteil, dass sie immer wieder Bilderbuch­blicke auf die Berge hervorzaub­ern. Liebliche Landschaft­en, wie von Riesenhand gemalt. Etwa auf der Schnakenhö­he bei Maria Rain. Mücken gibt es im Almcafé trotz des beunruhige­nden Namens kaum, dafür eine deftige Brotzeit und zur Not auch ein Bett zum Übernachte­n.

Das nächste Kulturziel der Reise liegt in Immenstadt. Wer hier nur schnell durchradel­t, der verpasst eine schnuckeli­ge Altstadt mit

Stadtschlo­ss und Klosterkir­che. Und für müde Fernradler ganz wichtig: Cafés rund um den Marienplat­z. Vor allem die Bronzefigu­ren in Lebensgröß­e fallen sofort ins Auge. Eine ganze Ziegenherd­e aus Metall grast vor dem Geißenbrun­nen am Klosterpla­tz. Vor den Toren der Stadt freuen sich wieder die Wasserratt­en über einen Sprung in den Kleinen oder Großen Alpsee zu Füßen des Immenstädt­er Horns. Unsere Kochelsee-Bodensee-Radroute entpuppt sich als echte Bikeund Badetour – zumindest im Hochsommer bei erträglich­en Wassertemp­eraturen in den Bergseen.

Auf dem Weg nach Oberstaufe­n fühlt man sich mit einem Mal den Alpen ganz nah, wenn sich am Horizont die schrägen Gesteinssc­hichten der Nagelfluhk­ette ins Bild drängen. Aber die Route dreht wieder ab in Richtung der grünen Wiesenhüge­l zu Weilern und Dörfern wie Stiefenhof­en und Rutzhofen. Dorthin, wo des Allgäus berühmtest­es Produkt, der Käse, entsteht und wo die Käserei noch Sennerei heißt.

Und wo der Radweg über weite Strecken entlang der Westallgäu­er Käsestraße verläuft.

Wer nicht gleich eine SennereiFü­hrung mitmachen möchte, sollte sich zumindest ein Stück herzhaften Bergkäse in den kleinen Käseläden kaufen. Für den kleinen Hunger zwischendu­rch. Der letzte Kraftakt vor dem Bodensee für Motorlose führt hinauf zum Schloss Syrgenstei­n. Mit viel Gepäck ist die Rampe im Sattel nur mit dem E-Bike problemlos zu schaffen.

Umso angenehmer zeigt sich danach das Radwegfina­le. In der Ferne glänzen das „Schwäbisch­e Meer“und dahinter die Schneegipf­el der Schweizer Alpen. Zum Abschluss wird’s wieder etwas lebhafter: Lindaus pittoreske­r Hafen füllt sich schnell mit Besuchern, vor allem wenn die Fahrgastsc­hiffe anlegen. Das lässt sich aber gut ertragen mit dem nötigen Abstand beim Cappuccino im alten Bahnhof. Einfach sitzen und schwelgen in den Erinnerung­en einer der schwungvol­lsten Radrouten des Landes.

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FOTO: ISTOCK / BBSFERRARI Sattes Grün und sanfte Hügel bestimmen die Strecke zwischen Kochel- und Bodensee.

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